Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Des II Theils XI Capitel
nanders in eine zusammen geschmoltzen hat: welches aber
nicht zu loben ist.

Jn neuern Zeiten hatten sich die Jtaliener, Frantzosen
und Engelländer, so zu reden, um die Wette in Comö-
dien hervor gethan. Eine jede Nation ist ihrem Geschma-
cke gefolget, und also sind auch verschiedene Arten dadurch
zum Vorschein gekommen; die entweder besser oder schlech-
ter gerathen, nachdem sie den alten Griechen oder Römern
mehr oder weniger gefolget sind. Die Jtaliener, wie sie fast
durchgehends ein wollüstiges und weichliches Volck sind; al-
so haben auch ihre Poeten nichts als Roman-Streiche, Be-
trügereyen der Diener, und unendlich viel abgeschmackte
Natren-Possen in ihre Comödien gebracht. Harleckin und
Scaramutz sind die ewigen Haupt-Personen ihrer Schau-
Bühne: und diese ahmen nicht die Handlungen des gemei-
nen Lebens nach; sondern machen Streiche, die einem nicht
so arg träumen könnten. Ein Monden-Käyser, ein Spirito
Foletto,
ein Leder-Händler von Pergamo, und unzehliche an-
dre, davon das Theatre Italien voll ist, können uns diesen Ge-
schmack sattsam bekannt machen. Sie binden sich an keine
Einheit der Zeit und des Orts, ja offt ist nicht einmahl eine
rechte Haupt-Handlung in ihren Fabeln. Sie machen Pa-
rodien auf die ernsthafftesten Stücke, mitten zwischen ihren
andern Scenen; und erfüllen alles mit Geistern, Zaubereyen
und Gespensten. Kurtz, man kan von den unsinnigen Phan-
tasien und Schwärmereyen ihrer Poeten sagen:

Velut aegri somnia, vanae
Finguntur species, vt nec pes, nec caput vni
Reddatur formae.

Man ist auch dieser Jtalienischen Art schon so gewohnt, daß
man von dergleichen Burlesken nichts kluges mehr vermu-
thet: Und wenn man in dergleichen Comödien lachet; so ist
es nicht über die Thorheiten der darinn aufgeführen Perso-
nen, sondern über die närrischen Einfälle des Verfassers sol-
cher Spiele. Man lese nur, was St. Evremont von der
Comödie der Welschen in einer besondern Abhandlung vor
ein Urtheil gefället.

Die

Des II Theils XI Capitel
nanders in eine zuſammen geſchmoltzen hat: welches aber
nicht zu loben iſt.

Jn neuern Zeiten hatten ſich die Jtaliener, Frantzoſen
und Engellaͤnder, ſo zu reden, um die Wette in Comoͤ-
dien hervor gethan. Eine jede Nation iſt ihrem Geſchma-
cke gefolget, und alſo ſind auch verſchiedene Arten dadurch
zum Vorſchein gekommen; die entweder beſſer oder ſchlech-
ter gerathen, nachdem ſie den alten Griechen oder Roͤmern
mehr oder weniger gefolget ſind. Die Jtaliener, wie ſie faſt
durchgehends ein wolluͤſtiges und weichliches Volck ſind; al-
ſo haben auch ihre Poeten nichts als Roman-Streiche, Be-
truͤgereyen der Diener, und unendlich viel abgeſchmackte
Natren-Poſſen in ihre Comoͤdien gebracht. Harleckin und
Scaramutz ſind die ewigen Haupt-Perſonen ihrer Schau-
Buͤhne: und dieſe ahmen nicht die Handlungen des gemei-
nen Lebens nach; ſondern machen Streiche, die einem nicht
ſo arg traͤumen koͤnnten. Ein Monden-Kaͤyſer, ein Spirito
Foletto,
ein Leder-Haͤndler von Pergamo, und unzehliche an-
dre, davon das Theatre Italien voll iſt, koͤnnen uns dieſen Ge-
ſchmack ſattſam bekannt machen. Sie binden ſich an keine
Einheit der Zeit und des Orts, ja offt iſt nicht einmahl eine
rechte Haupt-Handlung in ihren Fabeln. Sie machen Pa-
rodien auf die ernſthaffteſten Stuͤcke, mitten zwiſchen ihren
andern Scenen; und erfuͤllen alles mit Geiſtern, Zaubereyen
und Geſpenſten. Kurtz, man kan von den unſinnigen Phan-
taſien und Schwaͤrmereyen ihrer Poeten ſagen:

Velut aegri ſomnia, vanae
Finguntur ſpecies, vt nec pes, nec caput vni
Reddatur formae.

Man iſt auch dieſer Jtalieniſchen Art ſchon ſo gewohnt, daß
man von dergleichen Burlesken nichts kluges mehr vermu-
thet: Und wenn man in dergleichen Comoͤdien lachet; ſo iſt
es nicht uͤber die Thorheiten der darinn aufgefuͤhren Perſo-
nen, ſondern uͤber die naͤrriſchen Einfaͤlle des Verfaſſers ſol-
cher Spiele. Man leſe nur, was St. Evremont von der
Comoͤdie der Welſchen in einer beſondern Abhandlung vor
ein Urtheil gefaͤllet.

Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0618" n="590"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">XI</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
nanders in eine zu&#x017F;ammen ge&#x017F;chmoltzen hat: welches aber<lb/>
nicht zu loben i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Jn neuern Zeiten hatten &#x017F;ich die Jtaliener, Frantzo&#x017F;en<lb/>
und Engella&#x0364;nder, &#x017F;o zu reden, um die Wette in Como&#x0364;-<lb/>
dien hervor gethan. Eine jede Nation i&#x017F;t ihrem Ge&#x017F;chma-<lb/>
cke gefolget, und al&#x017F;o &#x017F;ind auch ver&#x017F;chiedene Arten dadurch<lb/>
zum Vor&#x017F;chein gekommen; die entweder be&#x017F;&#x017F;er oder &#x017F;chlech-<lb/>
ter gerathen, nachdem &#x017F;ie den alten Griechen oder Ro&#x0364;mern<lb/>
mehr oder weniger gefolget &#x017F;ind. Die Jtaliener, wie &#x017F;ie fa&#x017F;t<lb/>
durchgehends ein wollu&#x0364;&#x017F;tiges und weichliches Volck &#x017F;ind; al-<lb/>
&#x017F;o haben auch ihre Poeten nichts als Roman-Streiche, Be-<lb/>
tru&#x0364;gereyen der Diener, und unendlich viel abge&#x017F;chmackte<lb/>
Natren-Po&#x017F;&#x017F;en in ihre Como&#x0364;dien gebracht. Harleckin und<lb/>
Scaramutz &#x017F;ind die ewigen Haupt-Per&#x017F;onen ihrer Schau-<lb/>
Bu&#x0364;hne: und die&#x017F;e ahmen nicht die Handlungen des gemei-<lb/>
nen Lebens nach; &#x017F;ondern machen Streiche, die einem nicht<lb/>
&#x017F;o arg tra&#x0364;umen ko&#x0364;nnten. Ein Monden-Ka&#x0364;y&#x017F;er, ein <hi rendition="#aq">Spirito<lb/>
Foletto,</hi> ein Leder-Ha&#x0364;ndler von Pergamo, und unzehliche an-<lb/>
dre, davon das <hi rendition="#aq">Theatre Italien</hi> voll i&#x017F;t, ko&#x0364;nnen uns die&#x017F;en Ge-<lb/>
&#x017F;chmack &#x017F;att&#x017F;am bekannt machen. Sie binden &#x017F;ich an keine<lb/>
Einheit der Zeit und des Orts, ja offt i&#x017F;t nicht einmahl eine<lb/>
rechte Haupt-Handlung in ihren Fabeln. Sie machen Pa-<lb/>
rodien auf die ern&#x017F;thaffte&#x017F;ten Stu&#x0364;cke, mitten zwi&#x017F;chen ihren<lb/>
andern Scenen; und erfu&#x0364;llen alles mit Gei&#x017F;tern, Zaubereyen<lb/>
und Ge&#x017F;pen&#x017F;ten. Kurtz, man kan von den un&#x017F;innigen Phan-<lb/>
ta&#x017F;ien und Schwa&#x0364;rmereyen ihrer Poeten &#x017F;agen:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#et">Velut aegri &#x017F;omnia, vanae</hi> </hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Finguntur &#x017F;pecies, vt nec pes, nec caput vni</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Reddatur formae.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <p>Man i&#x017F;t auch die&#x017F;er Jtalieni&#x017F;chen Art &#x017F;chon &#x017F;o gewohnt, daß<lb/>
man von dergleichen Burlesken nichts kluges mehr vermu-<lb/>
thet: Und wenn man in dergleichen Como&#x0364;dien lachet; &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
es nicht u&#x0364;ber die Thorheiten der darinn aufgefu&#x0364;hren Per&#x017F;o-<lb/>
nen, &#x017F;ondern u&#x0364;ber die na&#x0364;rri&#x017F;chen Einfa&#x0364;lle des Verfa&#x017F;&#x017F;ers &#x017F;ol-<lb/>
cher Spiele. Man le&#x017F;e nur, was St. Evremont von der<lb/>
Como&#x0364;die der Wel&#x017F;chen in einer be&#x017F;ondern Abhandlung vor<lb/>
ein Urtheil gefa&#x0364;llet.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[590/0618] Des II Theils XI Capitel nanders in eine zuſammen geſchmoltzen hat: welches aber nicht zu loben iſt. Jn neuern Zeiten hatten ſich die Jtaliener, Frantzoſen und Engellaͤnder, ſo zu reden, um die Wette in Comoͤ- dien hervor gethan. Eine jede Nation iſt ihrem Geſchma- cke gefolget, und alſo ſind auch verſchiedene Arten dadurch zum Vorſchein gekommen; die entweder beſſer oder ſchlech- ter gerathen, nachdem ſie den alten Griechen oder Roͤmern mehr oder weniger gefolget ſind. Die Jtaliener, wie ſie faſt durchgehends ein wolluͤſtiges und weichliches Volck ſind; al- ſo haben auch ihre Poeten nichts als Roman-Streiche, Be- truͤgereyen der Diener, und unendlich viel abgeſchmackte Natren-Poſſen in ihre Comoͤdien gebracht. Harleckin und Scaramutz ſind die ewigen Haupt-Perſonen ihrer Schau- Buͤhne: und dieſe ahmen nicht die Handlungen des gemei- nen Lebens nach; ſondern machen Streiche, die einem nicht ſo arg traͤumen koͤnnten. Ein Monden-Kaͤyſer, ein Spirito Foletto, ein Leder-Haͤndler von Pergamo, und unzehliche an- dre, davon das Theatre Italien voll iſt, koͤnnen uns dieſen Ge- ſchmack ſattſam bekannt machen. Sie binden ſich an keine Einheit der Zeit und des Orts, ja offt iſt nicht einmahl eine rechte Haupt-Handlung in ihren Fabeln. Sie machen Pa- rodien auf die ernſthaffteſten Stuͤcke, mitten zwiſchen ihren andern Scenen; und erfuͤllen alles mit Geiſtern, Zaubereyen und Geſpenſten. Kurtz, man kan von den unſinnigen Phan- taſien und Schwaͤrmereyen ihrer Poeten ſagen: Velut aegri ſomnia, vanae Finguntur ſpecies, vt nec pes, nec caput vni Reddatur formae. Man iſt auch dieſer Jtalieniſchen Art ſchon ſo gewohnt, daß man von dergleichen Burlesken nichts kluges mehr vermu- thet: Und wenn man in dergleichen Comoͤdien lachet; ſo iſt es nicht uͤber die Thorheiten der darinn aufgefuͤhren Perſo- nen, ſondern uͤber die naͤrriſchen Einfaͤlle des Verfaſſers ſol- cher Spiele. Man leſe nur, was St. Evremont von der Comoͤdie der Welſchen in einer beſondern Abhandlung vor ein Urtheil gefaͤllet. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/618
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/618>, abgerufen am 23.11.2024.