völlige Gleichheit zu erhalten möglich war. Z. E. Ottfrieds Vorrede zu seinem Evangelio hebt so an:
Ludouuig ther snello Thes Uuisduames follo E'r Ostarrichi richtet al so Frankono Kuning scal u. s. w.
Nun haben zwar einige, als Huet, in seinem Buche vom Ur- sprunge der Romane, den Ursprung der Reime den Arabern zuschreiben wollen, welche sie im achten Jahrhunderte nach Spanien gebracht haben sollen: welchem auch Campanella beypflichtet. Gyrald holet sie aus Sicilien her, und Claude Fauchet aus Provence in Franckreich. Andre wollen diese Kunst gar den Rabbinen der Juden zueignen, die doch erst seit des David Kimchi Zeiten dergleichen zu machen angefan- gen; und es ohne Zweifel von den Europäischen Christen ge- lernt. Noch andre haben gar die Reime schon bey den alten Lateinern und Griechen finden wollen. Ob es nun wohl nicht zu leugnen ist, daß man nicht hier und dar einige solche Verße finden sollte, da sich entweder zwey am Ende, oder einer vor sich, in der Mitten und am Ende reimet: So ist doch dieses von ungefehr gekommen, und man hat wenigstens keine solche Schönheit darinn gesucht als die alten Deutschen. Die Ver- sus Leonini sind auch in Jtalien allererst im fünften Jahrhun- derte aufgekommen, und haben den Nahmen von einem ge- wissen Leonio Canonico, der sich damit zuerst hervorgethan. Damahls aber, wie bekannt ist, waren die deutschen Völcker schon eingefallen, und hatten also ihre Reimart mit sich dahin gebracht. Die Lateiner verliebten sich auch bey der einreissen- den Barbarey und dem Verfalle des guten Geschmackes so sehr ins Reimen, daß sie sich nicht satt reimen konnten. Es war nicht genug daß zwey Zeilen mit einander reimeten z. E.
Vt mens se videat posita caligine fumi; Quis vetat apposito lumen de lumine sumi?
Sondern es muste sich auch wohl Mittel und Ende eines Verßes reimen. Z. E.
Hic jacet Henricus semper pietatis amicus.
Kaum
Das I. Cap. Vom Urſprunge
voͤllige Gleichheit zu erhalten moͤglich war. Z. E. Ottfrieds Vorrede zu ſeinem Evangelio hebt ſo an:
Ludouuig ther ſnello Thes Uuisduames follo E’r Oſtarrichi richtet al ſo Frankono Kuning ſcal u. ſ. w.
Nun haben zwar einige, als Huet, in ſeinem Buche vom Ur- ſprunge der Romane, den Urſprung der Reime den Arabern zuſchreiben wollen, welche ſie im achten Jahrhunderte nach Spanien gebracht haben ſollen: welchem auch Campanella beypflichtet. Gyrald holet ſie aus Sicilien her, und Claude Fauchet aus Provence in Franckreich. Andre wollen dieſe Kunſt gar den Rabbinen der Juden zueignen, die doch erſt ſeit des David Kimchi Zeiten dergleichen zu machen angefan- gen; und es ohne Zweifel von den Europaͤiſchen Chriſten ge- lernt. Noch andre haben gar die Reime ſchon bey den alten Lateinern und Griechen finden wollen. Ob es nun wohl nicht zu leugnen iſt, daß man nicht hier und dar einige ſolche Verße finden ſollte, da ſich entweder zwey am Ende, oder einer vor ſich, in der Mitten und am Ende reimet: So iſt doch dieſes von ungefehr gekommen, und man hat wenigſtens keine ſolche Schoͤnheit darinn geſucht als die alten Deutſchen. Die Ver- ſus Leonini ſind auch in Jtalien allererſt im fuͤnften Jahrhun- derte aufgekommen, und haben den Nahmen von einem ge- wiſſen Leonio Canonico, der ſich damit zuerſt hervorgethan. Damahls aber, wie bekannt iſt, waren die deutſchen Voͤlcker ſchon eingefallen, und hatten alſo ihre Reimart mit ſich dahin gebracht. Die Lateiner verliebten ſich auch bey der einreiſſen- den Barbarey und dem Verfalle des guten Geſchmackes ſo ſehr ins Reimen, daß ſie ſich nicht ſatt reimen konnten. Es war nicht genug daß zwey Zeilen mit einander reimeten z. E.
Vt mens ſe videat poſita caligine fumi; Quis vetat appoſito lumen de lumine ſumi?
Sondern es muſte ſich auch wohl Mittel und Ende eines Verßes reimen. Z. E.
Hic jacet Henricus ſemper pietatis amicus.
Kaum
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Das I. Cap. Vom Urſprunge
voͤllige Gleichheit zu erhalten moͤglich war. Z. E. Ottfrieds
Vorrede zu ſeinem Evangelio hebt ſo an:
Ludouuig ther ſnello
Thes Uuisduames follo
E’r Oſtarrichi richtet al
ſo Frankono Kuning ſcal u. ſ. w.
Nun haben zwar einige, als Huet, in ſeinem Buche vom Ur-
ſprunge der Romane, den Urſprung der Reime den Arabern
zuſchreiben wollen, welche ſie im achten Jahrhunderte nach
Spanien gebracht haben ſollen: welchem auch Campanella
beypflichtet. Gyrald holet ſie aus Sicilien her, und Claude
Fauchet aus Provence in Franckreich. Andre wollen dieſe
Kunſt gar den Rabbinen der Juden zueignen, die doch erſt
ſeit des David Kimchi Zeiten dergleichen zu machen angefan-
gen; und es ohne Zweifel von den Europaͤiſchen Chriſten ge-
lernt. Noch andre haben gar die Reime ſchon bey den alten
Lateinern und Griechen finden wollen. Ob es nun wohl nicht
zu leugnen iſt, daß man nicht hier und dar einige ſolche Verße
finden ſollte, da ſich entweder zwey am Ende, oder einer vor
ſich, in der Mitten und am Ende reimet: So iſt doch dieſes
von ungefehr gekommen, und man hat wenigſtens keine ſolche
Schoͤnheit darinn geſucht als die alten Deutſchen. Die Ver-
ſus Leonini ſind auch in Jtalien allererſt im fuͤnften Jahrhun-
derte aufgekommen, und haben den Nahmen von einem ge-
wiſſen Leonio Canonico, der ſich damit zuerſt hervorgethan.
Damahls aber, wie bekannt iſt, waren die deutſchen Voͤlcker
ſchon eingefallen, und hatten alſo ihre Reimart mit ſich dahin
gebracht. Die Lateiner verliebten ſich auch bey der einreiſſen-
den Barbarey und dem Verfalle des guten Geſchmackes ſo
ſehr ins Reimen, daß ſie ſich nicht ſatt reimen konnten. Es
war nicht genug daß zwey Zeilen mit einander reimeten z. E.
Vt mens ſe videat poſita caligine fumi;
Quis vetat appoſito lumen de lumine ſumi?
Sondern es muſte ſich auch wohl Mittel und Ende eines
Verßes reimen. Z. E.
Hic jacet Henricus ſemper pietatis amicus.
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/92>, abgerufen am 28.11.2024.
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