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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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diese Tiefe und gönnt einen Blick in seinen Schooß, der in geheimnißvoller
Keuschheit die Geburt einer neuen Zeit in sich reifen zu lassen scheint.

In dem letzten Jahre waren es zwei Gelegenheiten, wo die öffentliche
Stimme in Deutschland mit einer gewissen eclatanten Heftigkeit zum Durch¬
bruch kam. Die Veranlassung dazu gab das Rheinlied und Heine's Buch
über Börne.

Die vielstimmige Abwehrung, welche Heine's Buch von allen Partheien
erlitt, die Protestationen und Verdammungsurtheile, die von allen Seiten
chorartig sich erhoben, geben wohl am besten den Standpunkt an, den Börne
in Mitte der Nation erhalten hat.

Und grade hier ist es am Orte einige versöhnende Worte über Heine's
Buch zu sagen. Grade, indem wir den edlen Namen Börne als Über¬
schrift dieser Zeilen brauchten, glauben wir ein würdiges Erinnerungsopfer
ihm zubringen, indem wir über den Mann, den die Welt seinen Feind
nennt, einige mildernde Worte schenken.

Deutschland hat seine Moden so gut wie Frankreich. Es gab eine Zeit
wo man es nicht wagen durfte den mindesten Tadel gegen Heine auszuspre¬
chen, ohne von der ganzen deutschen Journalistik gesteinigt zu werden. Heute
ist es grade umgekehrt; der schöne Zorn und die vielleicht zu entschuldigende
Leidenschaftlichkeit, mit welchen einige Führer unserer Literatur bei dem Er¬
scheinen des Heinischen Buches über Börne, den Bannstrahl dagegen schleu¬
derten, ist zum guten Tone geworden; jeder Geck von Zeitungsschreiber, je¬
der obscure literarische Gamin glaubt sich an Heines Namen seine Sporen
zu erobern. Es ist Brauch geworden, jeden Tag einige Injurien auf Heine
zu werfen, wie es Brauch ist, jeden Tag ein Paar gewichste Stiefel anzu¬
ziehen, und es giebt Literaten, die jener Mode sorgfältiger nachkommen als
dieser. Indem wir hier zu Gunsten Heine's sprechen, was treibt uns da¬
zu? Es ist wenig Popularität damit zu holen. Aber uns drängt unser in¬
neres Gefühl, das sich empört, wenn es das Haupt eines Dichters, dem
wir und mit uns alle Genossen unserer Jugend so viele wunderbar erregte
Stunden danken, ohne Aufhören als Zielscheibe sehen, nach welcher jede van-
dale Feder ihre gemeinen Bolzen schießt.

Der Zorn, der unsere Literatur im vorigen Jahre beseelte, hat ihr
wohl angestanden; aber die affenartige Manier, mit welcher unser literari¬
scher Nachtrab, die Splitter und Waffentrümmer, welche den Händen der
Führer entfallen, aufrafft, um sich damit zu brüsten, gleichfalls zu der Zahl
der Kämpfenden zu gehören, dieser vandalische Affenkampf ist gemein und
empörend.

diese Tiefe und gönnt einen Blick in seinen Schooß, der in geheimnißvoller
Keuschheit die Geburt einer neuen Zeit in sich reifen zu lassen scheint.

In dem letzten Jahre waren es zwei Gelegenheiten, wo die öffentliche
Stimme in Deutschland mit einer gewissen eclatanten Heftigkeit zum Durch¬
bruch kam. Die Veranlassung dazu gab das Rheinlied und Heine's Buch
über Börne.

Die vielstimmige Abwehrung, welche Heine's Buch von allen Partheien
erlitt, die Protestationen und Verdammungsurtheile, die von allen Seiten
chorartig sich erhoben, geben wohl am besten den Standpunkt an, den Börne
in Mitte der Nation erhalten hat.

Und grade hier ist es am Orte einige versöhnende Worte über Heine's
Buch zu sagen. Grade, indem wir den edlen Namen Börne als Über¬
schrift dieser Zeilen brauchten, glauben wir ein würdiges Erinnerungsopfer
ihm zubringen, indem wir über den Mann, den die Welt seinen Feind
nennt, einige mildernde Worte schenken.

Deutschland hat seine Moden so gut wie Frankreich. Es gab eine Zeit
wo man es nicht wagen durfte den mindesten Tadel gegen Heine auszuspre¬
chen, ohne von der ganzen deutschen Journalistik gesteinigt zu werden. Heute
ist es grade umgekehrt; der schöne Zorn und die vielleicht zu entschuldigende
Leidenschaftlichkeit, mit welchen einige Führer unserer Literatur bei dem Er¬
scheinen des Heinischen Buches über Börne, den Bannstrahl dagegen schleu¬
derten, ist zum guten Tone geworden; jeder Geck von Zeitungsschreiber, je¬
der obscure literarische Gamin glaubt sich an Heines Namen seine Sporen
zu erobern. Es ist Brauch geworden, jeden Tag einige Injurien auf Heine
zu werfen, wie es Brauch ist, jeden Tag ein Paar gewichste Stiefel anzu¬
ziehen, und es giebt Literaten, die jener Mode sorgfältiger nachkommen als
dieser. Indem wir hier zu Gunsten Heine's sprechen, was treibt uns da¬
zu? Es ist wenig Popularität damit zu holen. Aber uns drängt unser in¬
neres Gefühl, das sich empört, wenn es das Haupt eines Dichters, dem
wir und mit uns alle Genossen unserer Jugend so viele wunderbar erregte
Stunden danken, ohne Aufhören als Zielscheibe sehen, nach welcher jede van-
dale Feder ihre gemeinen Bolzen schießt.

Der Zorn, der unsere Literatur im vorigen Jahre beseelte, hat ihr
wohl angestanden; aber die affenartige Manier, mit welcher unser literari¬
scher Nachtrab, die Splitter und Waffentrümmer, welche den Händen der
Führer entfallen, aufrafft, um sich damit zu brüsten, gleichfalls zu der Zahl
der Kämpfenden zu gehören, dieser vandalische Affenkampf ist gemein und
empörend.

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[102/0110] diese Tiefe und gönnt einen Blick in seinen Schooß, der in geheimnißvoller Keuschheit die Geburt einer neuen Zeit in sich reifen zu lassen scheint. In dem letzten Jahre waren es zwei Gelegenheiten, wo die öffentliche Stimme in Deutschland mit einer gewissen eclatanten Heftigkeit zum Durch¬ bruch kam. Die Veranlassung dazu gab das Rheinlied und Heine's Buch über Börne. Die vielstimmige Abwehrung, welche Heine's Buch von allen Partheien erlitt, die Protestationen und Verdammungsurtheile, die von allen Seiten chorartig sich erhoben, geben wohl am besten den Standpunkt an, den Börne in Mitte der Nation erhalten hat. Und grade hier ist es am Orte einige versöhnende Worte über Heine's Buch zu sagen. Grade, indem wir den edlen Namen Börne als Über¬ schrift dieser Zeilen brauchten, glauben wir ein würdiges Erinnerungsopfer ihm zubringen, indem wir über den Mann, den die Welt seinen Feind nennt, einige mildernde Worte schenken. Deutschland hat seine Moden so gut wie Frankreich. Es gab eine Zeit wo man es nicht wagen durfte den mindesten Tadel gegen Heine auszuspre¬ chen, ohne von der ganzen deutschen Journalistik gesteinigt zu werden. Heute ist es grade umgekehrt; der schöne Zorn und die vielleicht zu entschuldigende Leidenschaftlichkeit, mit welchen einige Führer unserer Literatur bei dem Er¬ scheinen des Heinischen Buches über Börne, den Bannstrahl dagegen schleu¬ derten, ist zum guten Tone geworden; jeder Geck von Zeitungsschreiber, je¬ der obscure literarische Gamin glaubt sich an Heines Namen seine Sporen zu erobern. Es ist Brauch geworden, jeden Tag einige Injurien auf Heine zu werfen, wie es Brauch ist, jeden Tag ein Paar gewichste Stiefel anzu¬ ziehen, und es giebt Literaten, die jener Mode sorgfältiger nachkommen als dieser. Indem wir hier zu Gunsten Heine's sprechen, was treibt uns da¬ zu? Es ist wenig Popularität damit zu holen. Aber uns drängt unser in¬ neres Gefühl, das sich empört, wenn es das Haupt eines Dichters, dem wir und mit uns alle Genossen unserer Jugend so viele wunderbar erregte Stunden danken, ohne Aufhören als Zielscheibe sehen, nach welcher jede van- dale Feder ihre gemeinen Bolzen schießt. Der Zorn, der unsere Literatur im vorigen Jahre beseelte, hat ihr wohl angestanden; aber die affenartige Manier, mit welcher unser literari¬ scher Nachtrab, die Splitter und Waffentrümmer, welche den Händen der Führer entfallen, aufrafft, um sich damit zu brüsten, gleichfalls zu der Zahl der Kämpfenden zu gehören, dieser vandalische Affenkampf ist gemein und empörend.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/110>, abgerufen am 21.11.2024.