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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Heine's Buch, wenn Ihr es denn wissen wollt, ist trotz aller Flecken,
Verirrungen und Grausamkeit immer noch ein Kunstwerk, welches Ihr
mit all' Eurer Gesinnungsprahlerei dennoch nie erreichen werdet.

Ueber die Vergebungen, die sich Heine gegen eine würdige Dame, die
Vergebungen die er sich gegen sich selbst zu Schulden kommen ließ, ist bereits
abgeurtheilt worden, mit Gerechtigkeit und mit Uebertreibung, mit Unpar¬
teilichkeit und mit Bosheit, mit edler Entrüstung aber auch mit höhnischer
Schadenfreude. Der äußeren Ehre eines beleidigten Gatten ist nach den con¬
ventionellen Anforderungen der Gesellschaft, Genugthuung geschehen. Wärmn
aber ist es alle diesen Unpartheiischen, Gerechten, Entrüsteten, noch nicht
eingefallen, auch die Lichtseite des Heine'schen Buches zu würdigen. Heine
hat gegen die Umgebung Börne's, gegen viele Nebenpersonen schwer gesün¬
digt; aber über den Haupthelden seines Buches hat er die schönsten Lichter sei¬
ner Poesie geworfen. Und Heine ist ein Poet! Wenn Gutzkows Buch das
ganze Leben Börne's zu seiner Aufgabe machte und es einheitlich und in sei¬
nem organischen Zusammenhange schilderte, so nahm Heine einige novellisti¬
sche Momente und Züge, und vergoldete sie mit allen: Reiz seiner phanta¬
stischen, von der gefühlreichsten Poesie und dem lebhaftesten Witz durchzuckten
Darstellung. Gutzkow schilderte als Kritiker und Denker, er schilderte den
historischen Börne; Heine schilderte als Dichter, willkührlich launenhaft,
wie ein dramatischer Poet, der die Geschichte und ihre Helden nach seiner
Anschauung modelt. Hierin liegt die Ursache der herrlichen unübertrefflichen
Glanzseiten dieses Buches und der abscheulichen unübertrefflichen Schattenseite
desselben. Heine's Börne ist wie Göthe's Egmont, schwächer und beschränk¬
ter als der wirkliche historische es war, aber poetischer und die Phantasie
aufstachelnd durch das Genie eines großen Dichters.

In so fern haben die beiden Bücher Heine's und Gutzkow's zur Ver¬
herrlichung dieses edlen Tribunen deutscher Freiheit beigetragen; wenn auch
jedes auf verschiedenem Wege.

Einen dritten wesentlichen Beitrag zur Charakteristik Börne's lieferte
die neue in Stuttgart erschienene mit einem Supplementbande vermehrte Ge¬
sammtausgabe seiner Schriften.

Wir sind eben kein großer Freund von jenen literarischen Aufkläubereien
die jeden Dintenkler den ein berühmter Schriftsteller auf die Wand oder auf
den Boden spritzte, sorgfältig abkratzen und ihn als einen kostbaren Schatz
der Gesammtausgabe seiner Schriften anhängen. Der größte Schriftsteller,
der größte Poet war am Ende doch nur ein Mensch, und er hat seine
schwachen Stunden, wie wir andern Staubgebornen. Auch das schönste
Weib darf sich in ungekämmten Haaren, in zerknitterten: Nachtgewande und
verschobener Haube nicht sehen lassen, ohne zu verlieren. Warum soll man

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Heine's Buch, wenn Ihr es denn wissen wollt, ist trotz aller Flecken,
Verirrungen und Grausamkeit immer noch ein Kunstwerk, welches Ihr
mit all' Eurer Gesinnungsprahlerei dennoch nie erreichen werdet.

Ueber die Vergebungen, die sich Heine gegen eine würdige Dame, die
Vergebungen die er sich gegen sich selbst zu Schulden kommen ließ, ist bereits
abgeurtheilt worden, mit Gerechtigkeit und mit Uebertreibung, mit Unpar¬
teilichkeit und mit Bosheit, mit edler Entrüstung aber auch mit höhnischer
Schadenfreude. Der äußeren Ehre eines beleidigten Gatten ist nach den con¬
ventionellen Anforderungen der Gesellschaft, Genugthuung geschehen. Wärmn
aber ist es alle diesen Unpartheiischen, Gerechten, Entrüsteten, noch nicht
eingefallen, auch die Lichtseite des Heine'schen Buches zu würdigen. Heine
hat gegen die Umgebung Börne's, gegen viele Nebenpersonen schwer gesün¬
digt; aber über den Haupthelden seines Buches hat er die schönsten Lichter sei¬
ner Poesie geworfen. Und Heine ist ein Poet! Wenn Gutzkows Buch das
ganze Leben Börne's zu seiner Aufgabe machte und es einheitlich und in sei¬
nem organischen Zusammenhange schilderte, so nahm Heine einige novellisti¬
sche Momente und Züge, und vergoldete sie mit allen: Reiz seiner phanta¬
stischen, von der gefühlreichsten Poesie und dem lebhaftesten Witz durchzuckten
Darstellung. Gutzkow schilderte als Kritiker und Denker, er schilderte den
historischen Börne; Heine schilderte als Dichter, willkührlich launenhaft,
wie ein dramatischer Poet, der die Geschichte und ihre Helden nach seiner
Anschauung modelt. Hierin liegt die Ursache der herrlichen unübertrefflichen
Glanzseiten dieses Buches und der abscheulichen unübertrefflichen Schattenseite
desselben. Heine's Börne ist wie Göthe's Egmont, schwächer und beschränk¬
ter als der wirkliche historische es war, aber poetischer und die Phantasie
aufstachelnd durch das Genie eines großen Dichters.

In so fern haben die beiden Bücher Heine's und Gutzkow's zur Ver¬
herrlichung dieses edlen Tribunen deutscher Freiheit beigetragen; wenn auch
jedes auf verschiedenem Wege.

Einen dritten wesentlichen Beitrag zur Charakteristik Börne's lieferte
die neue in Stuttgart erschienene mit einem Supplementbande vermehrte Ge¬
sammtausgabe seiner Schriften.

Wir sind eben kein großer Freund von jenen literarischen Aufkläubereien
die jeden Dintenkler den ein berühmter Schriftsteller auf die Wand oder auf
den Boden spritzte, sorgfältig abkratzen und ihn als einen kostbaren Schatz
der Gesammtausgabe seiner Schriften anhängen. Der größte Schriftsteller,
der größte Poet war am Ende doch nur ein Mensch, und er hat seine
schwachen Stunden, wie wir andern Staubgebornen. Auch das schönste
Weib darf sich in ungekämmten Haaren, in zerknitterten: Nachtgewande und
verschobener Haube nicht sehen lassen, ohne zu verlieren. Warum soll man

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[103/0111] Heine's Buch, wenn Ihr es denn wissen wollt, ist trotz aller Flecken, Verirrungen und Grausamkeit immer noch ein Kunstwerk, welches Ihr mit all' Eurer Gesinnungsprahlerei dennoch nie erreichen werdet. Ueber die Vergebungen, die sich Heine gegen eine würdige Dame, die Vergebungen die er sich gegen sich selbst zu Schulden kommen ließ, ist bereits abgeurtheilt worden, mit Gerechtigkeit und mit Uebertreibung, mit Unpar¬ teilichkeit und mit Bosheit, mit edler Entrüstung aber auch mit höhnischer Schadenfreude. Der äußeren Ehre eines beleidigten Gatten ist nach den con¬ ventionellen Anforderungen der Gesellschaft, Genugthuung geschehen. Wärmn aber ist es alle diesen Unpartheiischen, Gerechten, Entrüsteten, noch nicht eingefallen, auch die Lichtseite des Heine'schen Buches zu würdigen. Heine hat gegen die Umgebung Börne's, gegen viele Nebenpersonen schwer gesün¬ digt; aber über den Haupthelden seines Buches hat er die schönsten Lichter sei¬ ner Poesie geworfen. Und Heine ist ein Poet! Wenn Gutzkows Buch das ganze Leben Börne's zu seiner Aufgabe machte und es einheitlich und in sei¬ nem organischen Zusammenhange schilderte, so nahm Heine einige novellisti¬ sche Momente und Züge, und vergoldete sie mit allen: Reiz seiner phanta¬ stischen, von der gefühlreichsten Poesie und dem lebhaftesten Witz durchzuckten Darstellung. Gutzkow schilderte als Kritiker und Denker, er schilderte den historischen Börne; Heine schilderte als Dichter, willkührlich launenhaft, wie ein dramatischer Poet, der die Geschichte und ihre Helden nach seiner Anschauung modelt. Hierin liegt die Ursache der herrlichen unübertrefflichen Glanzseiten dieses Buches und der abscheulichen unübertrefflichen Schattenseite desselben. Heine's Börne ist wie Göthe's Egmont, schwächer und beschränk¬ ter als der wirkliche historische es war, aber poetischer und die Phantasie aufstachelnd durch das Genie eines großen Dichters. In so fern haben die beiden Bücher Heine's und Gutzkow's zur Ver¬ herrlichung dieses edlen Tribunen deutscher Freiheit beigetragen; wenn auch jedes auf verschiedenem Wege. Einen dritten wesentlichen Beitrag zur Charakteristik Börne's lieferte die neue in Stuttgart erschienene mit einem Supplementbande vermehrte Ge¬ sammtausgabe seiner Schriften. Wir sind eben kein großer Freund von jenen literarischen Aufkläubereien die jeden Dintenkler den ein berühmter Schriftsteller auf die Wand oder auf den Boden spritzte, sorgfältig abkratzen und ihn als einen kostbaren Schatz der Gesammtausgabe seiner Schriften anhängen. Der größte Schriftsteller, der größte Poet war am Ende doch nur ein Mensch, und er hat seine schwachen Stunden, wie wir andern Staubgebornen. Auch das schönste Weib darf sich in ungekämmten Haaren, in zerknitterten: Nachtgewande und verschobener Haube nicht sehen lassen, ohne zu verlieren. Warum soll man 14*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/111>, abgerufen am 21.11.2024.