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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Willkühr so oder anders ausgefüllt werden. Indem die Literatoren Stock-
Werke heruntersteigen, steigen sie auch vom Gipfel ihres Ruhmes herunter.
Als sie noch arm waren, bettelten die Könige um ihren Beifall und kauf-
ten ihn nicht. Wenn ein ausgezeichneter Mann des Wissens und der Kunst
in eine Gesellschaft der großen Welt trat, so war dieß ein Ereigniß, wo¬
durch die Unterhaltung und die Vergnügungen eine andere Wendung nah¬
men; heute wendet keine Dame ihre Blicke um, wenn ein berühmter Dichter
angemeldet wird, und Niemand läßt sein Löffelchen Gefrornes sinken um
die weisen Reden des ersten Philosophen des Landes zu vernehmen. Im acht¬
zehnten Jahrhunderte nahmen die Schriftsteller einen so hohen Rang ein in
der Achtung der Mitwelt, daß sie ihre Meinungen nur fallen zu lassen brauch¬
ten, und alles eilte hin um die Wette, sie aufzulesen. Heute wo sie sich
auf die Oberfläche der Welt gestellt haben, werden ihre Meinungen lang¬
sam von Haus zu Haus umhergetragen, und kommen nur mühsam zu den
höheren Classen, die ihnen, ihrer Stellung gemäß, nicht gewogen sein dür¬
fen, und sie gewöhnlich mit Verachtung von sich weisen. Ehemals riß man
sich die neuesten Geisteserzeugnisse ausgezeichneter Schriftsteller aus den Händen,
heute bedarf er einer Prämie von 75000 Franken, um die Leute zu ermu¬
thigen, ein Meisterwerk zu lesen. -- Der Schriftstellerruhm ist Lotterie, und
das ist eine Demüthigung und eine bezeichnende Strafe für Menschen, die
hinter dem Wagen Fortuna's herlaufen.

Die Litteratoren sollen daran denken, ihre ehemalige Unabhängigkeit wie¬
der zu erobern, um ihre ehemalige Macht wieder zu erlangen. -- Kann
man seine eignen Leidenschaften nicht beherrschen, so ist es lächerliche Heu¬
chelei, sich anzustellen, als sei man der Meister von Königen. Ueberlaß
das Feld der Politik dem bösen Willen der Feinde des Fortschritts. Sie
sind stark, weil sie einig sind, und einig, weil Ihr ihnen Widerpart haltet.
Seit zwanzig Jahren hat Eure drohende Stellung diejenigen, welche die
Menschheit ausbeuten, gezwungen mit einander im Frieden zu leben, sich
zu schonen und in Betreff ihrer gegenseitigen Ansprüche eine in der Geschichte
beispiellose Nachgiebigkeit zu zeigen.

Zieht euch zurück, um sie sich einander Preis zu geben, und die gute
Sache wird ohne Kampf den Sieg davon tragen. Verjünget Eure Herzen
mit frischen Hoffnungen, härtet Eure verweichlichten Gemüther durch ernste
und gewissenhafte Studien. Der Geist kann sich bilden im Umgange der
Welt, die Seele nur in der Einsamkeit. Die Philippiken der neuern De¬
mosthenesse riechen nicht nach der Lampe, aber sie bleiben auch ohne Wir¬
kung. --

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Willkühr so oder anders ausgefüllt werden. Indem die Literatoren Stock-
Werke heruntersteigen, steigen sie auch vom Gipfel ihres Ruhmes herunter.
Als sie noch arm waren, bettelten die Könige um ihren Beifall und kauf-
ten ihn nicht. Wenn ein ausgezeichneter Mann des Wissens und der Kunst
in eine Gesellschaft der großen Welt trat, so war dieß ein Ereigniß, wo¬
durch die Unterhaltung und die Vergnügungen eine andere Wendung nah¬
men; heute wendet keine Dame ihre Blicke um, wenn ein berühmter Dichter
angemeldet wird, und Niemand läßt sein Löffelchen Gefrornes sinken um
die weisen Reden des ersten Philosophen des Landes zu vernehmen. Im acht¬
zehnten Jahrhunderte nahmen die Schriftsteller einen so hohen Rang ein in
der Achtung der Mitwelt, daß sie ihre Meinungen nur fallen zu lassen brauch¬
ten, und alles eilte hin um die Wette, sie aufzulesen. Heute wo sie sich
auf die Oberfläche der Welt gestellt haben, werden ihre Meinungen lang¬
sam von Haus zu Haus umhergetragen, und kommen nur mühsam zu den
höheren Classen, die ihnen, ihrer Stellung gemäß, nicht gewogen sein dür¬
fen, und sie gewöhnlich mit Verachtung von sich weisen. Ehemals riß man
sich die neuesten Geisteserzeugnisse ausgezeichneter Schriftsteller aus den Händen,
heute bedarf er einer Prämie von 75000 Franken, um die Leute zu ermu¬
thigen, ein Meisterwerk zu lesen. — Der Schriftstellerruhm ist Lotterie, und
das ist eine Demüthigung und eine bezeichnende Strafe für Menschen, die
hinter dem Wagen Fortuna's herlaufen.

Die Litteratoren sollen daran denken, ihre ehemalige Unabhängigkeit wie¬
der zu erobern, um ihre ehemalige Macht wieder zu erlangen. — Kann
man seine eignen Leidenschaften nicht beherrschen, so ist es lächerliche Heu¬
chelei, sich anzustellen, als sei man der Meister von Königen. Ueberlaß
das Feld der Politik dem bösen Willen der Feinde des Fortschritts. Sie
sind stark, weil sie einig sind, und einig, weil Ihr ihnen Widerpart haltet.
Seit zwanzig Jahren hat Eure drohende Stellung diejenigen, welche die
Menschheit ausbeuten, gezwungen mit einander im Frieden zu leben, sich
zu schonen und in Betreff ihrer gegenseitigen Ansprüche eine in der Geschichte
beispiellose Nachgiebigkeit zu zeigen.

Zieht euch zurück, um sie sich einander Preis zu geben, und die gute
Sache wird ohne Kampf den Sieg davon tragen. Verjünget Eure Herzen
mit frischen Hoffnungen, härtet Eure verweichlichten Gemüther durch ernste
und gewissenhafte Studien. Der Geist kann sich bilden im Umgange der
Welt, die Seele nur in der Einsamkeit. Die Philippiken der neuern De¬
mosthenesse riechen nicht nach der Lampe, aber sie bleiben auch ohne Wir¬
kung. —

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[111/0119] Willkühr so oder anders ausgefüllt werden. Indem die Literatoren Stock- Werke heruntersteigen, steigen sie auch vom Gipfel ihres Ruhmes herunter. Als sie noch arm waren, bettelten die Könige um ihren Beifall und kauf- ten ihn nicht. Wenn ein ausgezeichneter Mann des Wissens und der Kunst in eine Gesellschaft der großen Welt trat, so war dieß ein Ereigniß, wo¬ durch die Unterhaltung und die Vergnügungen eine andere Wendung nah¬ men; heute wendet keine Dame ihre Blicke um, wenn ein berühmter Dichter angemeldet wird, und Niemand läßt sein Löffelchen Gefrornes sinken um die weisen Reden des ersten Philosophen des Landes zu vernehmen. Im acht¬ zehnten Jahrhunderte nahmen die Schriftsteller einen so hohen Rang ein in der Achtung der Mitwelt, daß sie ihre Meinungen nur fallen zu lassen brauch¬ ten, und alles eilte hin um die Wette, sie aufzulesen. Heute wo sie sich auf die Oberfläche der Welt gestellt haben, werden ihre Meinungen lang¬ sam von Haus zu Haus umhergetragen, und kommen nur mühsam zu den höheren Classen, die ihnen, ihrer Stellung gemäß, nicht gewogen sein dür¬ fen, und sie gewöhnlich mit Verachtung von sich weisen. Ehemals riß man sich die neuesten Geisteserzeugnisse ausgezeichneter Schriftsteller aus den Händen, heute bedarf er einer Prämie von 75000 Franken, um die Leute zu ermu¬ thigen, ein Meisterwerk zu lesen. — Der Schriftstellerruhm ist Lotterie, und das ist eine Demüthigung und eine bezeichnende Strafe für Menschen, die hinter dem Wagen Fortuna's herlaufen. Die Litteratoren sollen daran denken, ihre ehemalige Unabhängigkeit wie¬ der zu erobern, um ihre ehemalige Macht wieder zu erlangen. — Kann man seine eignen Leidenschaften nicht beherrschen, so ist es lächerliche Heu¬ chelei, sich anzustellen, als sei man der Meister von Königen. Ueberlaß das Feld der Politik dem bösen Willen der Feinde des Fortschritts. Sie sind stark, weil sie einig sind, und einig, weil Ihr ihnen Widerpart haltet. Seit zwanzig Jahren hat Eure drohende Stellung diejenigen, welche die Menschheit ausbeuten, gezwungen mit einander im Frieden zu leben, sich zu schonen und in Betreff ihrer gegenseitigen Ansprüche eine in der Geschichte beispiellose Nachgiebigkeit zu zeigen. Zieht euch zurück, um sie sich einander Preis zu geben, und die gute Sache wird ohne Kampf den Sieg davon tragen. Verjünget Eure Herzen mit frischen Hoffnungen, härtet Eure verweichlichten Gemüther durch ernste und gewissenhafte Studien. Der Geist kann sich bilden im Umgange der Welt, die Seele nur in der Einsamkeit. Die Philippiken der neuern De¬ mosthenesse riechen nicht nach der Lampe, aber sie bleiben auch ohne Wir¬ kung. — 15*

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/119>, abgerufen am 21.11.2024.