Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.Zur Würdigung der neuesten nationalen Bewegungen in Deutschland. Von Dr. J. Cr. Was kann Deutschland hoffen? In wiefern können die jetzigen Zu¬ Gewichtige, bedeutsame Fragen, nach deren Lösung die neueste Zeit *) Gewöhnlich nennt man revolutionär diejenige Meinung, die da glaubt, daß mit
Umwälzung des Bestehenden der Anfang gemacht werden müsse, wenn von Besser- werden die Sprache sein soll. Der Radicalismus glaubt dieß nicht, ohne darum eine geringere Summe von Freiheit zu verlangen. So versteht die publicistische Polemik in England und Frankreich diese Worte und in diesem Sinne nennt sich der National revolutionär. In Deutschland nennt man revolutionär jeden activen Widerstand gegen die Staatsgewalt; sehr mit Unrecht. Dann müßte man auch den mäßigen Dahlmann, der in seiner "Politik" das Recht des Widerstands lehrt und der kein Radi[ca]ler ist, einen Revolutionär nennen. Zur Würdigung der neuesten nationalen Bewegungen in Deutschland. Von Dr. J. Cr. Was kann Deutschland hoffen? In wiefern können die jetzigen Zu¬ Gewichtige, bedeutsame Fragen, nach deren Lösung die neueste Zeit *) Gewöhnlich nennt man revolutionär diejenige Meinung, die da glaubt, daß mit
Umwälzung des Bestehenden der Anfang gemacht werden müsse, wenn von Besser- werden die Sprache sein soll. Der Radicalismus glaubt dieß nicht, ohne darum eine geringere Summe von Freiheit zu verlangen. So versteht die publicistische Polemik in England und Frankreich diese Worte und in diesem Sinne nennt sich der National revolutionär. In Deutschland nennt man revolutionär jeden activen Widerstand gegen die Staatsgewalt; sehr mit Unrecht. Dann müßte man auch den mäßigen Dahlmann, der in seiner „Politik“ das Recht des Widerstands lehrt und der kein Radi[ca]ler ist, einen Revolutionär nennen. <TEI> <text> <body> <pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179504" facs="#f0121" n="113"/> <div n="1"> <head>Zur Würdigung der neuesten nationalen Bewegungen<lb/> in Deutschland.<lb/><bibl>Von<lb/><author>Dr. J. Cr.</author></bibl><lb/></head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Was kann Deutschland hoffen? In wiefern können die jetzigen Zu¬<lb/> stände Grundlage einer schönen Zukunft, eines auf festen Säulen ruhenden<lb/> Gebäudes deutscher Kraft, deutscher Freiheit und Würde sein? Wie können<lb/> die Keime dieser Zukunft geweckt werden zu kräftiger, üppigwuchernder<lb/> Selbstentfaltung, auf daß Deutschland sich erhebe in seiner festen und herr¬<lb/> lichen Eigenthümlichkeit zur Einheit und zum Glanze?</p><lb/> <p>Gewichtige, bedeutsame Fragen, nach deren Lösung die neueste Zeit<lb/> aufgeregter, begehrlicher und auch hoffnungsreicher als je strebt. Eine in¬<lb/> nigere Wärme, ein bewußtseinvolles Streben, hat sich der Presse, der öffent¬<lb/> lichen Meinung und der einzelnen Geister bemächtigt. Jene kurzsichtigen Po¬<lb/> litiker aus dem Anfange der dreißiger Jahre, die so schnell an allem verzwei¬<lb/> felten, fangen an sich zu verlieren; ihre Tendenzen hatten sich bald erschöpft,<lb/> sie sind an ihrer Armuth und Einseitigkeit selbst bankrott geworden. Sie<lb/> wollten Resultate, ohne dafür eine Grundlage zu schaffen. Eine neue, nicht<lb/> minder radicale, wiewohl unrevolutionäre<note place="foot" n="*)">Gewöhnlich nennt man revolutionär diejenige Meinung, die da glaubt, daß mit<lb/> Umwälzung des Bestehenden der Anfang gemacht werden müsse, wenn von Besser-<lb/> werden die Sprache sein soll. Der Radicalismus glaubt dieß nicht, ohne darum eine<lb/> geringere Summe von Freiheit zu verlangen. So versteht die publicistische Polemik<lb/> in England und Frankreich diese Worte und in diesem Sinne nennt sich der National<lb/> revolutionär. In Deutschland nennt man revolutionär jeden activen Widerstand<lb/> gegen die Staatsgewalt; sehr mit Unrecht. Dann müßte man auch den mäßigen<lb/> Dahlmann, der in seiner „Politik“ das Recht des Widerstands lehrt und der kein<lb/> Radi<supplied>ca</supplied>ler ist, einen Revolutionär nennen.<lb/></note> Richtung gibt sich kund, die ohne<lb/> im Mindesten die Gebrechen zu verkennen, welche einzelnen deutschen Zuständen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [113/0121]
Zur Würdigung der neuesten nationalen Bewegungen
in Deutschland.
Von
Dr. J. Cr.
Was kann Deutschland hoffen? In wiefern können die jetzigen Zu¬
stände Grundlage einer schönen Zukunft, eines auf festen Säulen ruhenden
Gebäudes deutscher Kraft, deutscher Freiheit und Würde sein? Wie können
die Keime dieser Zukunft geweckt werden zu kräftiger, üppigwuchernder
Selbstentfaltung, auf daß Deutschland sich erhebe in seiner festen und herr¬
lichen Eigenthümlichkeit zur Einheit und zum Glanze?
Gewichtige, bedeutsame Fragen, nach deren Lösung die neueste Zeit
aufgeregter, begehrlicher und auch hoffnungsreicher als je strebt. Eine in¬
nigere Wärme, ein bewußtseinvolles Streben, hat sich der Presse, der öffent¬
lichen Meinung und der einzelnen Geister bemächtigt. Jene kurzsichtigen Po¬
litiker aus dem Anfange der dreißiger Jahre, die so schnell an allem verzwei¬
felten, fangen an sich zu verlieren; ihre Tendenzen hatten sich bald erschöpft,
sie sind an ihrer Armuth und Einseitigkeit selbst bankrott geworden. Sie
wollten Resultate, ohne dafür eine Grundlage zu schaffen. Eine neue, nicht
minder radicale, wiewohl unrevolutionäre *) Richtung gibt sich kund, die ohne
im Mindesten die Gebrechen zu verkennen, welche einzelnen deutschen Zuständen
*) Gewöhnlich nennt man revolutionär diejenige Meinung, die da glaubt, daß mit
Umwälzung des Bestehenden der Anfang gemacht werden müsse, wenn von Besser-
werden die Sprache sein soll. Der Radicalismus glaubt dieß nicht, ohne darum eine
geringere Summe von Freiheit zu verlangen. So versteht die publicistische Polemik
in England und Frankreich diese Worte und in diesem Sinne nennt sich der National
revolutionär. In Deutschland nennt man revolutionär jeden activen Widerstand
gegen die Staatsgewalt; sehr mit Unrecht. Dann müßte man auch den mäßigen
Dahlmann, der in seiner „Politik“ das Recht des Widerstands lehrt und der kein
Radicaler ist, einen Revolutionär nennen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-11-19T17:23:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1).
(2013-11-19T17:23:38Z)
Weitere Informationen:Art der Texterfassung: OCR.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |