Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.Reisebriefe von A. Weill. 3. Paris.Ist es gut zu reisen oder nicht? fragte man einst Rousseau. -- Darauf, versetzte Das Erste, was dem Reisenden aus Frankreich in Deutschland auffällt, ist das Das Zweite ist die Frische auf den Gesichtern der jungen Welt; besonders der Mädchen. Bei den Männern in Deutschland fällt es auf, daß sie entweder geputzt oder nach¬ Reisebriefe von A. Weill. 3. Paris.Ist es gut zu reisen oder nicht? fragte man einst Rousseau. — Darauf, versetzte Das Erste, was dem Reisenden aus Frankreich in Deutschland auffällt, ist das Das Zweite ist die Frische auf den Gesichtern der jungen Welt; besonders der Mädchen. Bei den Männern in Deutschland fällt es auf, daß sie entweder geputzt oder nach¬ <TEI> <text> <body> <pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179519" n="128" facs="#f0136"/> <div n="1"> <head>Reisebriefe<lb/><bibl>von<lb/><author>A. Weill</author>.</bibl></head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head>3.</head><lb/> <dateline rendition="#right">Paris.</dateline><lb/> <p>Ist es gut zu reisen oder nicht? fragte man einst Rousseau. — Darauf, versetzte<lb/> er, kann ich nicht antworten, fragen Sie mich aber, ob es gut sei gereist zu haben,<lb/> und ich antworte Ihnen kühn mit einem Ja. Ich möchte dasselbe von Deutschland<lb/> sagen, wenn man von Paris dahin und von dort aus wieder zurück geht. Nicht alle<lb/> Bemerkungen, die man macht, erfreuen das Herz; das Feuer, das leuchtet und erwärmt,<lb/> brennt auch sehr oft. <hi rendition="#g">Hier</hi> sieht man die Vortheile Deutschlands, in Deutschland die<lb/> Frankreichs, und namentlich der Stadt Paris. Aber gut ist es, wenn man von Zeit<lb/> zu Zeit sich aus dem gewöhnlichen Schlendrian des materiellen und geistigen Lebens<lb/> einer Nation herausreißt, um sich in einer anderen Sphäre zu bewegen. Der Geist<lb/> gewöhnt sich nur zu leicht an die Denkungsart seiner anregenden Umgebung. Der Geist<lb/> soll und muß reisen, eher noch als der Körper, sonst wird er zum Sklaven der Vorur¬<lb/> theile, zum Despoten seiner Umgebung, besonders so lange Bücher und Zeitungen nur<lb/> existiren, um das, was man denkt, unter Phrasen zu verbergen. Ich weiß nicht, ob<lb/> es gut ist in Deutschland zu leben, aber es ist gut darin gelebt zu haben, ich möchte<lb/> noch hinzufügen, es ist gut, darin zu sterben.</p><lb/> <p>Das Erste, was dem Reisenden aus Frankreich in Deutschland auffällt, ist das<lb/> Langsamfahren der Posten. Schon im Elsaß fühlt man das. Man sieht gleich, daß<lb/> man im Lande der Vorsicht ist, fast hätte ich gesagt der Vorsehung.</p><lb/> <p>Das Zweite ist die Frische auf den Gesichtern der jungen Welt; besonders der Mädchen.<lb/> Dagegen bemerkt man zugleich, daß die Frauen auffallend sich vernachlässigen. Es ist<lb/> einem deutschen Weibe fast unmöglich sich als Mädchen auszugeben. In Frankreich ist<lb/> man gewöhnt, alle Mädchen <hi rendition="#aq">à priori</hi> mit Madame anzusprechen, und die Weiber<lb/> werden umgekehrt wie Mädchen behandelt.</p><lb/> <p>Bei den Männern in Deutschland fällt es auf, daß sie entweder geputzt oder nach¬<lb/> lässig gekleidet gehen, in Frankreich ist man nie geputzt, aber immer elegant gekleidet.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [128/0136]
Reisebriefe
von
A. Weill.
3.
Paris.
Ist es gut zu reisen oder nicht? fragte man einst Rousseau. — Darauf, versetzte
er, kann ich nicht antworten, fragen Sie mich aber, ob es gut sei gereist zu haben,
und ich antworte Ihnen kühn mit einem Ja. Ich möchte dasselbe von Deutschland
sagen, wenn man von Paris dahin und von dort aus wieder zurück geht. Nicht alle
Bemerkungen, die man macht, erfreuen das Herz; das Feuer, das leuchtet und erwärmt,
brennt auch sehr oft. Hier sieht man die Vortheile Deutschlands, in Deutschland die
Frankreichs, und namentlich der Stadt Paris. Aber gut ist es, wenn man von Zeit
zu Zeit sich aus dem gewöhnlichen Schlendrian des materiellen und geistigen Lebens
einer Nation herausreißt, um sich in einer anderen Sphäre zu bewegen. Der Geist
gewöhnt sich nur zu leicht an die Denkungsart seiner anregenden Umgebung. Der Geist
soll und muß reisen, eher noch als der Körper, sonst wird er zum Sklaven der Vorur¬
theile, zum Despoten seiner Umgebung, besonders so lange Bücher und Zeitungen nur
existiren, um das, was man denkt, unter Phrasen zu verbergen. Ich weiß nicht, ob
es gut ist in Deutschland zu leben, aber es ist gut darin gelebt zu haben, ich möchte
noch hinzufügen, es ist gut, darin zu sterben.
Das Erste, was dem Reisenden aus Frankreich in Deutschland auffällt, ist das
Langsamfahren der Posten. Schon im Elsaß fühlt man das. Man sieht gleich, daß
man im Lande der Vorsicht ist, fast hätte ich gesagt der Vorsehung.
Das Zweite ist die Frische auf den Gesichtern der jungen Welt; besonders der Mädchen.
Dagegen bemerkt man zugleich, daß die Frauen auffallend sich vernachlässigen. Es ist
einem deutschen Weibe fast unmöglich sich als Mädchen auszugeben. In Frankreich ist
man gewöhnt, alle Mädchen à priori mit Madame anzusprechen, und die Weiber
werden umgekehrt wie Mädchen behandelt.
Bei den Männern in Deutschland fällt es auf, daß sie entweder geputzt oder nach¬
lässig gekleidet gehen, in Frankreich ist man nie geputzt, aber immer elegant gekleidet.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-11-19T17:23:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1).
(2013-11-19T17:23:38Z)
Weitere Informationen:Art der Texterfassung: OCR.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |