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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Novize singt nach, und in vier Wochen weiß er die Melodie auswendig.
Bald darauf, ohne sonstige Vorstudien gemacht, ohne die nöthige Bildung
sich erworben zu haben, ohne Kosten, und fast ohne Mühe, in einem Alter,
wo Andere sich noch mit der Aneignung gründlicher, aber unfruchtbarer
Kenntnisse abmühen, ist er schon angestellt. Er betritt die Laufbahn, deren
Umfang er schon im Voraus ausgemessen hat. Muthig kömmt er hinter
den Coulissen hervor. Ein hübscher Junge, wie er ist, weht ihm ein gün¬
stiger Wind sogleich entgegen, und Dank seiner einigermaßen wohltönenden,
jedoch oft genug Helfern Stimme, kann er von nun an freudig jeden neuen
Morgen begrüßen. Er arbeitet wenig, lernt im Schlendrian einige Rollen,
und schafft sich sorglos in Freude und Müßiggang eine glänzende Stellung.
Seine vollständige Unwissenheit findet man naiv, seine Mittelmäßigkeit ge¬
reicht ihm zum Glücke.

Damit vergleiche man das, was sich anderswo auf den Höhepunkten
der Wissenschaft, des Gedankens, der Kunst und des Nachdenkens ereignet.
Da ist der Horizont nicht so hell, der Himmel nicht so gestirnt. Der junge
Gelehrte, nach zehnfach bestandener Prüfung, nachdem er mit Mühe und
Arbeit die Universität verlassen, kann meist nur eine niedere Stellung erreichen,
einen bescheidenen Posten, wo seine Theorie sehr in die Enge gedrückt wird.
Der Dichter, dessen Phantasie die Welt erfaßt, und der in wenigen Zeilen
die Schätze beider Welten hinstellt, findet kaum sein tägliches Brod. Der
Maler, der fünf Jahre lang in dem ewigen Rom alle alten Meisterwerke
studiert hat, muß schmählich seine Zeit mit bestellten Philistervorträgen da¬
hinbringen, sonst kann er nicht leben, oder er ist gar gezwungen, sein
Talent in Vignetten und in der Lithographie zu vergeuden. So geht es auch
dem Musiker und Componisten, und während Literatur und Kunst auf har¬
tem Lager kränkelt und dahinstirbt aus Mangel an Aufmunterung, schwelgt
und praßt der Held des Entrechat und der Roulade.

Man hat zur Erklärung, wo nicht zur Entschuldigung aller dieser
Ungereimtheiten angeführt, daß dramatische Talente außerordentlich selten
seien, und daß man nothwendig die Anforderung solch spärlich gesäeter
Verdienste, deren Preis keine Concurrenz drückt, befriedigen müsse. Das
ist nicht wahr, und blos von den jetzigen Inhabern der ersten Stellen aus¬
gesprengt, die ihren Anhängern, Freunden und besoldeten Correspondenten
dieses einblasen, um den Besitzstand zu erhalten, dessen Verlust sie über
alles fürchten. Man verlasse die Hauptstädte und durchsuche die Provinzen,
namentlich die in Deutschland, und man wird auf jedem Schritte ausge¬
zeichneten Stimmen begegnen, vom hellsten Metall und vom größten Um¬
fange. In diesen glücklichen Gegenden sind die Kristalltöne des Soprans ein
natürliches Erzeugniß des Bodens, da sprossen sie wie Getreide und Wein.

Novize singt nach, und in vier Wochen weiß er die Melodie auswendig.
Bald darauf, ohne sonstige Vorstudien gemacht, ohne die nöthige Bildung
sich erworben zu haben, ohne Kosten, und fast ohne Mühe, in einem Alter,
wo Andere sich noch mit der Aneignung gründlicher, aber unfruchtbarer
Kenntnisse abmühen, ist er schon angestellt. Er betritt die Laufbahn, deren
Umfang er schon im Voraus ausgemessen hat. Muthig kömmt er hinter
den Coulissen hervor. Ein hübscher Junge, wie er ist, weht ihm ein gün¬
stiger Wind sogleich entgegen, und Dank seiner einigermaßen wohltönenden,
jedoch oft genug Helfern Stimme, kann er von nun an freudig jeden neuen
Morgen begrüßen. Er arbeitet wenig, lernt im Schlendrian einige Rollen,
und schafft sich sorglos in Freude und Müßiggang eine glänzende Stellung.
Seine vollständige Unwissenheit findet man naiv, seine Mittelmäßigkeit ge¬
reicht ihm zum Glücke.

Damit vergleiche man das, was sich anderswo auf den Höhepunkten
der Wissenschaft, des Gedankens, der Kunst und des Nachdenkens ereignet.
Da ist der Horizont nicht so hell, der Himmel nicht so gestirnt. Der junge
Gelehrte, nach zehnfach bestandener Prüfung, nachdem er mit Mühe und
Arbeit die Universität verlassen, kann meist nur eine niedere Stellung erreichen,
einen bescheidenen Posten, wo seine Theorie sehr in die Enge gedrückt wird.
Der Dichter, dessen Phantasie die Welt erfaßt, und der in wenigen Zeilen
die Schätze beider Welten hinstellt, findet kaum sein tägliches Brod. Der
Maler, der fünf Jahre lang in dem ewigen Rom alle alten Meisterwerke
studiert hat, muß schmählich seine Zeit mit bestellten Philistervorträgen da¬
hinbringen, sonst kann er nicht leben, oder er ist gar gezwungen, sein
Talent in Vignetten und in der Lithographie zu vergeuden. So geht es auch
dem Musiker und Componisten, und während Literatur und Kunst auf har¬
tem Lager kränkelt und dahinstirbt aus Mangel an Aufmunterung, schwelgt
und praßt der Held des Entrechat und der Roulade.

Man hat zur Erklärung, wo nicht zur Entschuldigung aller dieser
Ungereimtheiten angeführt, daß dramatische Talente außerordentlich selten
seien, und daß man nothwendig die Anforderung solch spärlich gesäeter
Verdienste, deren Preis keine Concurrenz drückt, befriedigen müsse. Das
ist nicht wahr, und blos von den jetzigen Inhabern der ersten Stellen aus¬
gesprengt, die ihren Anhängern, Freunden und besoldeten Correspondenten
dieses einblasen, um den Besitzstand zu erhalten, dessen Verlust sie über
alles fürchten. Man verlasse die Hauptstädte und durchsuche die Provinzen,
namentlich die in Deutschland, und man wird auf jedem Schritte ausge¬
zeichneten Stimmen begegnen, vom hellsten Metall und vom größten Um¬
fange. In diesen glücklichen Gegenden sind die Kristalltöne des Soprans ein
natürliches Erzeugniß des Bodens, da sprossen sie wie Getreide und Wein.

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[136/0144] Novize singt nach, und in vier Wochen weiß er die Melodie auswendig. Bald darauf, ohne sonstige Vorstudien gemacht, ohne die nöthige Bildung sich erworben zu haben, ohne Kosten, und fast ohne Mühe, in einem Alter, wo Andere sich noch mit der Aneignung gründlicher, aber unfruchtbarer Kenntnisse abmühen, ist er schon angestellt. Er betritt die Laufbahn, deren Umfang er schon im Voraus ausgemessen hat. Muthig kömmt er hinter den Coulissen hervor. Ein hübscher Junge, wie er ist, weht ihm ein gün¬ stiger Wind sogleich entgegen, und Dank seiner einigermaßen wohltönenden, jedoch oft genug Helfern Stimme, kann er von nun an freudig jeden neuen Morgen begrüßen. Er arbeitet wenig, lernt im Schlendrian einige Rollen, und schafft sich sorglos in Freude und Müßiggang eine glänzende Stellung. Seine vollständige Unwissenheit findet man naiv, seine Mittelmäßigkeit ge¬ reicht ihm zum Glücke. Damit vergleiche man das, was sich anderswo auf den Höhepunkten der Wissenschaft, des Gedankens, der Kunst und des Nachdenkens ereignet. Da ist der Horizont nicht so hell, der Himmel nicht so gestirnt. Der junge Gelehrte, nach zehnfach bestandener Prüfung, nachdem er mit Mühe und Arbeit die Universität verlassen, kann meist nur eine niedere Stellung erreichen, einen bescheidenen Posten, wo seine Theorie sehr in die Enge gedrückt wird. Der Dichter, dessen Phantasie die Welt erfaßt, und der in wenigen Zeilen die Schätze beider Welten hinstellt, findet kaum sein tägliches Brod. Der Maler, der fünf Jahre lang in dem ewigen Rom alle alten Meisterwerke studiert hat, muß schmählich seine Zeit mit bestellten Philistervorträgen da¬ hinbringen, sonst kann er nicht leben, oder er ist gar gezwungen, sein Talent in Vignetten und in der Lithographie zu vergeuden. So geht es auch dem Musiker und Componisten, und während Literatur und Kunst auf har¬ tem Lager kränkelt und dahinstirbt aus Mangel an Aufmunterung, schwelgt und praßt der Held des Entrechat und der Roulade. Man hat zur Erklärung, wo nicht zur Entschuldigung aller dieser Ungereimtheiten angeführt, daß dramatische Talente außerordentlich selten seien, und daß man nothwendig die Anforderung solch spärlich gesäeter Verdienste, deren Preis keine Concurrenz drückt, befriedigen müsse. Das ist nicht wahr, und blos von den jetzigen Inhabern der ersten Stellen aus¬ gesprengt, die ihren Anhängern, Freunden und besoldeten Correspondenten dieses einblasen, um den Besitzstand zu erhalten, dessen Verlust sie über alles fürchten. Man verlasse die Hauptstädte und durchsuche die Provinzen, namentlich die in Deutschland, und man wird auf jedem Schritte ausge¬ zeichneten Stimmen begegnen, vom hellsten Metall und vom größten Um¬ fange. In diesen glücklichen Gegenden sind die Kristalltöne des Soprans ein natürliches Erzeugniß des Bodens, da sprossen sie wie Getreide und Wein.

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Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/144>, abgerufen am 27.05.2024.