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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Man braucht blos einige Zeit dort gelebt zu haben, und man wird oft
an Sommerabenden, bei klarem Mondschein, zahlreiche Gruppen von Land¬
leuten vernehmen, die die Lust mit tönendem Gesang und harmonischen
Accorden erfüllen. Da finden sich vollständig ausgebildete Stimmmittel,
eingeübte Chöre, die man ohne Weiteres auf der Bühne benutzen könnte.

Mancher Handwerksmann wartet nur auf einen Theaterintendanten,
der ihn engagirt, und man kann zwar keinen geistvollen Schriftsteller, wohl
aber einen Schauspieler, und besonders einen einigermaßen verdienstvollen
Sänger heranerziehen. Gäbe man sich nur Mühe, und suchte man den
Eifer der Gesangschulen zu beleben, so würde jeder Theaterfürst eine Reihe
von Präsumtiverben hinter sich sehen.

Man sollte glauben, die Theaterenthusiasten würden auch die Folgen
ihrer Thorheit selbst tragen müssen. Aber dem ist nicht so. Die meisten
großen Theater werden nur durch außerordentliche Unterstützungen von Sei¬
ten des Staates, des Hofes, der Stände, vor dem Ruin bewahrt, und
diese Unterstützungen werden nicht etwa verwendet um die Künste aufzumun¬
tern, das heißt die ausgezeichneten Schriftsteller und Componisten, nicht
um den Glanz der Vorstellung zu erhöhen, nicht für reiche Scenerie, nicht
für Bequemlichkeit und Eleganz des Saales, nicht für Anstellung eines
zahlreichen Personals, sondern einzig um den fünf oder sechs Theaterpa¬
scha's ein fettes Einkommen zu gewähren.*)

Es möchte noch hingehen, wenn man sich darauf beschränkte, das
Geld der Steuerpflichtigen den Schauspielern nachzuwerfen, das ist nur eine
wenig verderbliche Laune, und man könnte ja, streng genommen, unsern
Theaterfürsten das königliche Vorrecht, Münze zu schlagen, überlassen.
Aber dabei bleibt man nicht stehen. Es war uns vorbehalten, zu Gunsten
des theatralischen Verdienstes alle Grenzen der Ehrfurcht und der Vergötte¬
rung zu überschreiten. Die faden Madrigale haben aufgehört, sie sind
veraltet. Jetzt sind dithyrambische Hymnen an der Tagesordnung, man
wirft Kronen, Kränze auf die Bühne, Vivats und das Geschrei enthusia¬

*) Man sollte es kaum glauben, was unlängst eine deutsche Zeitschrift publizirte.
In Wien, an dem ersten Theater Deutschlands, an einer Anstalt, die vom
Staate 75,000 Silbergulden zur Unterstützung erhält, wo ein Heldenspieler,
dessen ganzes Verdienst eine heißblütige Natur ist, den Gehalt eines kaiserlichen
Staatsraths bezieht, dort erhält der Dichter einer fünfaktigen Tragödie, die
die den Abend füllen muß, 400 fl. als Belohnung, d.h. als vollständigen Kauf¬
preis. Und in Berlin nur 200 Thaler! An den Hoftheatern in Würtemberg,
Baden, Weimar etc. nur 50 fl.!! Dafür gehört das Stück für ewige Zeiten
der Intendanz, und wenn es auch hundertmal zur Aufführung käme. Und nun
erst der Componist!

Man braucht blos einige Zeit dort gelebt zu haben, und man wird oft
an Sommerabenden, bei klarem Mondschein, zahlreiche Gruppen von Land¬
leuten vernehmen, die die Lust mit tönendem Gesang und harmonischen
Accorden erfüllen. Da finden sich vollständig ausgebildete Stimmmittel,
eingeübte Chöre, die man ohne Weiteres auf der Bühne benutzen könnte.

Mancher Handwerksmann wartet nur auf einen Theaterintendanten,
der ihn engagirt, und man kann zwar keinen geistvollen Schriftsteller, wohl
aber einen Schauspieler, und besonders einen einigermaßen verdienstvollen
Sänger heranerziehen. Gäbe man sich nur Mühe, und suchte man den
Eifer der Gesangschulen zu beleben, so würde jeder Theaterfürst eine Reihe
von Präsumtiverben hinter sich sehen.

Man sollte glauben, die Theaterenthusiasten würden auch die Folgen
ihrer Thorheit selbst tragen müssen. Aber dem ist nicht so. Die meisten
großen Theater werden nur durch außerordentliche Unterstützungen von Sei¬
ten des Staates, des Hofes, der Stände, vor dem Ruin bewahrt, und
diese Unterstützungen werden nicht etwa verwendet um die Künste aufzumun¬
tern, das heißt die ausgezeichneten Schriftsteller und Componisten, nicht
um den Glanz der Vorstellung zu erhöhen, nicht für reiche Scenerie, nicht
für Bequemlichkeit und Eleganz des Saales, nicht für Anstellung eines
zahlreichen Personals, sondern einzig um den fünf oder sechs Theaterpa¬
scha's ein fettes Einkommen zu gewähren.*)

Es möchte noch hingehen, wenn man sich darauf beschränkte, das
Geld der Steuerpflichtigen den Schauspielern nachzuwerfen, das ist nur eine
wenig verderbliche Laune, und man könnte ja, streng genommen, unsern
Theaterfürsten das königliche Vorrecht, Münze zu schlagen, überlassen.
Aber dabei bleibt man nicht stehen. Es war uns vorbehalten, zu Gunsten
des theatralischen Verdienstes alle Grenzen der Ehrfurcht und der Vergötte¬
rung zu überschreiten. Die faden Madrigale haben aufgehört, sie sind
veraltet. Jetzt sind dithyrambische Hymnen an der Tagesordnung, man
wirft Kronen, Kränze auf die Bühne, Vivats und das Geschrei enthusia¬

*) Man sollte es kaum glauben, was unlängst eine deutsche Zeitschrift publizirte.
In Wien, an dem ersten Theater Deutschlands, an einer Anstalt, die vom
Staate 75,000 Silbergulden zur Unterstützung erhält, wo ein Heldenspieler,
dessen ganzes Verdienst eine heißblütige Natur ist, den Gehalt eines kaiserlichen
Staatsraths bezieht, dort erhält der Dichter einer fünfaktigen Tragödie, die
die den Abend füllen muß, 400 fl. als Belohnung, d.h. als vollständigen Kauf¬
preis. Und in Berlin nur 200 Thaler! An den Hoftheatern in Würtemberg,
Baden, Weimar ꝛc. nur 50 fl.!! Dafür gehört das Stück für ewige Zeiten
der Intendanz, und wenn es auch hundertmal zur Aufführung käme. Und nun
erst der Componist!
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[137/0145] Man braucht blos einige Zeit dort gelebt zu haben, und man wird oft an Sommerabenden, bei klarem Mondschein, zahlreiche Gruppen von Land¬ leuten vernehmen, die die Lust mit tönendem Gesang und harmonischen Accorden erfüllen. Da finden sich vollständig ausgebildete Stimmmittel, eingeübte Chöre, die man ohne Weiteres auf der Bühne benutzen könnte. Mancher Handwerksmann wartet nur auf einen Theaterintendanten, der ihn engagirt, und man kann zwar keinen geistvollen Schriftsteller, wohl aber einen Schauspieler, und besonders einen einigermaßen verdienstvollen Sänger heranerziehen. Gäbe man sich nur Mühe, und suchte man den Eifer der Gesangschulen zu beleben, so würde jeder Theaterfürst eine Reihe von Präsumtiverben hinter sich sehen. Man sollte glauben, die Theaterenthusiasten würden auch die Folgen ihrer Thorheit selbst tragen müssen. Aber dem ist nicht so. Die meisten großen Theater werden nur durch außerordentliche Unterstützungen von Sei¬ ten des Staates, des Hofes, der Stände, vor dem Ruin bewahrt, und diese Unterstützungen werden nicht etwa verwendet um die Künste aufzumun¬ tern, das heißt die ausgezeichneten Schriftsteller und Componisten, nicht um den Glanz der Vorstellung zu erhöhen, nicht für reiche Scenerie, nicht für Bequemlichkeit und Eleganz des Saales, nicht für Anstellung eines zahlreichen Personals, sondern einzig um den fünf oder sechs Theaterpa¬ scha's ein fettes Einkommen zu gewähren. *) Es möchte noch hingehen, wenn man sich darauf beschränkte, das Geld der Steuerpflichtigen den Schauspielern nachzuwerfen, das ist nur eine wenig verderbliche Laune, und man könnte ja, streng genommen, unsern Theaterfürsten das königliche Vorrecht, Münze zu schlagen, überlassen. Aber dabei bleibt man nicht stehen. Es war uns vorbehalten, zu Gunsten des theatralischen Verdienstes alle Grenzen der Ehrfurcht und der Vergötte¬ rung zu überschreiten. Die faden Madrigale haben aufgehört, sie sind veraltet. Jetzt sind dithyrambische Hymnen an der Tagesordnung, man wirft Kronen, Kränze auf die Bühne, Vivats und das Geschrei enthusia¬ *) Man sollte es kaum glauben, was unlängst eine deutsche Zeitschrift publizirte. In Wien, an dem ersten Theater Deutschlands, an einer Anstalt, die vom Staate 75,000 Silbergulden zur Unterstützung erhält, wo ein Heldenspieler, dessen ganzes Verdienst eine heißblütige Natur ist, den Gehalt eines kaiserlichen Staatsraths bezieht, dort erhält der Dichter einer fünfaktigen Tragödie, die die den Abend füllen muß, 400 fl. als Belohnung, d.h. als vollständigen Kauf¬ preis. Und in Berlin nur 200 Thaler! An den Hoftheatern in Würtemberg, Baden, Weimar ꝛc. nur 50 fl.!! Dafür gehört das Stück für ewige Zeiten der Intendanz, und wenn es auch hundertmal zur Aufführung käme. Und nun erst der Componist!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/145>, abgerufen am 19.05.2024.