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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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mende Zeit; seine Lehren klingen noch jetzt vollgültig. Und damit genügte
sich nicht einmal der tiefe Forscher. Er stand dem realen Theater viel
näher. Er schrieb Recensionen, eine Dramaturgie; er wollte selbst einst sich
an die Spitze einer wandernden Truppe stellen. Nächst seinem Götz hat
Göthe mehr durch seinen Meister und seine Direktion des Weimarischen
Theaters, als mittelst seiner Dramen selbst auf seine Nation Einfluß geübt.
Wer aber faßt in wenigen Worten zusammen, wie Schiller durch seine
Tragödien auf die ideale Sinnesrichtung der Deutschen wirkte! Jetzt erst,
wo er verschwindet, wäre es an der Zeit, den Umfang des Einflusses zu
ermessen, den der Sänger von der Bühne herab auf unsere Nation übte.
Diese schönen Träume sino nun längst vorüber." -- Wir glauben nicht für
immer. Freilich wird das Theater mehr und mehr zerfallen, wo es nichts
als ein Vergnügungssaal ist, ein Werben um Lust und Lob zwischen dem
Dichter und dem Publikum, wo jener, statt die Zuhörer zu heben und zu
beherrschen, mit allen Gelenken und Tönen um ein gnädiges Gehör und
Lächeln buhlt, und die Worte, wie einen Operntext, dem zufälligen Ge¬
schick der Schauspieler Unterthan macht. Daß das Theater seit Schiller und
Göthe nicht zu Grunde gegangen, ist vornehmlich das Verdienst ausgezeich¬
neter Schauspieler. Wenn es zu Grunde geht, -- worüber Herr Häring
freilich im Jahre 1839 anders urtheilen möchte, als man jetzt thut, --
so wird das die Schuld der Dichter sein, denn, daß das Publikum für
neue Schöpfungen der Muse empfänglich ist, läßt sich nicht bezweifeln. Der
Vorschlag Derrients, Theaterschulen einzurichten, trifft allerdings einen höchst
wichtigen Punkt. Allein die Schulen dauern nicht, wenn die Meister zu
Grabe gehn. Man wende nicht ein, die Zeit sei zu ernst, zu praktisch,
um dem Schauspiele eine nachhaltige Theilnahme zu widmen. Unsere Zeit
ist gewiß nicht ernster als die Lessingsche, die Schillersche war. Man sage
nicht, sie sei zu materialistisch; die Gesittung hat sich die Materie bereits un¬
terworfen; der Fleiß und die Betriebsamkeit unserer Tage werden von einem
mächtigen Geiste getragen, der auch mit dichterischer Kraft in das Leben
einzugreifen scheint. Freilich, wie überall, müssen wir auch hier an den
guten Genius des Volks appelliren, von dem wir nicht befürchten, daß er
bestimmt sei, seine ganze Kraft auf die Seite materieller und politischer Ar¬
beit zu werfen, um die innere und freiere Welt auf dem Sande zu lassen.
-- Indem der Verfasser von der deutschen Geschichte als Vorwurf des
Dramas redet, meint er: die Hohenstaufen seien Heroen der Mythe; er
denkt: der Dichter sei genöthigt, erst dem Volke zu erzählen, wer sie sind.
Dem ist nicht so. Das Volk kennt seine schwäbischen Friedriche so gut wie
die preußischen; die Romanzendichter singen es immer tiefer in seine Ge¬
schichte hinein, und überdieß haben wir ja die Raupachschen Stücke, welche

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mende Zeit; seine Lehren klingen noch jetzt vollgültig. Und damit genügte
sich nicht einmal der tiefe Forscher. Er stand dem realen Theater viel
näher. Er schrieb Recensionen, eine Dramaturgie; er wollte selbst einst sich
an die Spitze einer wandernden Truppe stellen. Nächst seinem Götz hat
Göthe mehr durch seinen Meister und seine Direktion des Weimarischen
Theaters, als mittelst seiner Dramen selbst auf seine Nation Einfluß geübt.
Wer aber faßt in wenigen Worten zusammen, wie Schiller durch seine
Tragödien auf die ideale Sinnesrichtung der Deutschen wirkte! Jetzt erst,
wo er verschwindet, wäre es an der Zeit, den Umfang des Einflusses zu
ermessen, den der Sänger von der Bühne herab auf unsere Nation übte.
Diese schönen Träume sino nun längst vorüber.〟 — Wir glauben nicht für
immer. Freilich wird das Theater mehr und mehr zerfallen, wo es nichts
als ein Vergnügungssaal ist, ein Werben um Lust und Lob zwischen dem
Dichter und dem Publikum, wo jener, statt die Zuhörer zu heben und zu
beherrschen, mit allen Gelenken und Tönen um ein gnädiges Gehör und
Lächeln buhlt, und die Worte, wie einen Operntext, dem zufälligen Ge¬
schick der Schauspieler Unterthan macht. Daß das Theater seit Schiller und
Göthe nicht zu Grunde gegangen, ist vornehmlich das Verdienst ausgezeich¬
neter Schauspieler. Wenn es zu Grunde geht, — worüber Herr Häring
freilich im Jahre 1839 anders urtheilen möchte, als man jetzt thut, —
so wird das die Schuld der Dichter sein, denn, daß das Publikum für
neue Schöpfungen der Muse empfänglich ist, läßt sich nicht bezweifeln. Der
Vorschlag Derrients, Theaterschulen einzurichten, trifft allerdings einen höchst
wichtigen Punkt. Allein die Schulen dauern nicht, wenn die Meister zu
Grabe gehn. Man wende nicht ein, die Zeit sei zu ernst, zu praktisch,
um dem Schauspiele eine nachhaltige Theilnahme zu widmen. Unsere Zeit
ist gewiß nicht ernster als die Lessingsche, die Schillersche war. Man sage
nicht, sie sei zu materialistisch; die Gesittung hat sich die Materie bereits un¬
terworfen; der Fleiß und die Betriebsamkeit unserer Tage werden von einem
mächtigen Geiste getragen, der auch mit dichterischer Kraft in das Leben
einzugreifen scheint. Freilich, wie überall, müssen wir auch hier an den
guten Genius des Volks appelliren, von dem wir nicht befürchten, daß er
bestimmt sei, seine ganze Kraft auf die Seite materieller und politischer Ar¬
beit zu werfen, um die innere und freiere Welt auf dem Sande zu lassen.
— Indem der Verfasser von der deutschen Geschichte als Vorwurf des
Dramas redet, meint er: die Hohenstaufen seien Heroen der Mythe; er
denkt: der Dichter sei genöthigt, erst dem Volke zu erzählen, wer sie sind.
Dem ist nicht so. Das Volk kennt seine schwäbischen Friedriche so gut wie
die preußischen; die Romanzendichter singen es immer tiefer in seine Ge¬
schichte hinein, und überdieß haben wir ja die Raupachschen Stücke, welche

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[271/0279] mende Zeit; seine Lehren klingen noch jetzt vollgültig. Und damit genügte sich nicht einmal der tiefe Forscher. Er stand dem realen Theater viel näher. Er schrieb Recensionen, eine Dramaturgie; er wollte selbst einst sich an die Spitze einer wandernden Truppe stellen. Nächst seinem Götz hat Göthe mehr durch seinen Meister und seine Direktion des Weimarischen Theaters, als mittelst seiner Dramen selbst auf seine Nation Einfluß geübt. Wer aber faßt in wenigen Worten zusammen, wie Schiller durch seine Tragödien auf die ideale Sinnesrichtung der Deutschen wirkte! Jetzt erst, wo er verschwindet, wäre es an der Zeit, den Umfang des Einflusses zu ermessen, den der Sänger von der Bühne herab auf unsere Nation übte. Diese schönen Träume sino nun längst vorüber.〟 — Wir glauben nicht für immer. Freilich wird das Theater mehr und mehr zerfallen, wo es nichts als ein Vergnügungssaal ist, ein Werben um Lust und Lob zwischen dem Dichter und dem Publikum, wo jener, statt die Zuhörer zu heben und zu beherrschen, mit allen Gelenken und Tönen um ein gnädiges Gehör und Lächeln buhlt, und die Worte, wie einen Operntext, dem zufälligen Ge¬ schick der Schauspieler Unterthan macht. Daß das Theater seit Schiller und Göthe nicht zu Grunde gegangen, ist vornehmlich das Verdienst ausgezeich¬ neter Schauspieler. Wenn es zu Grunde geht, — worüber Herr Häring freilich im Jahre 1839 anders urtheilen möchte, als man jetzt thut, — so wird das die Schuld der Dichter sein, denn, daß das Publikum für neue Schöpfungen der Muse empfänglich ist, läßt sich nicht bezweifeln. Der Vorschlag Derrients, Theaterschulen einzurichten, trifft allerdings einen höchst wichtigen Punkt. Allein die Schulen dauern nicht, wenn die Meister zu Grabe gehn. Man wende nicht ein, die Zeit sei zu ernst, zu praktisch, um dem Schauspiele eine nachhaltige Theilnahme zu widmen. Unsere Zeit ist gewiß nicht ernster als die Lessingsche, die Schillersche war. Man sage nicht, sie sei zu materialistisch; die Gesittung hat sich die Materie bereits un¬ terworfen; der Fleiß und die Betriebsamkeit unserer Tage werden von einem mächtigen Geiste getragen, der auch mit dichterischer Kraft in das Leben einzugreifen scheint. Freilich, wie überall, müssen wir auch hier an den guten Genius des Volks appelliren, von dem wir nicht befürchten, daß er bestimmt sei, seine ganze Kraft auf die Seite materieller und politischer Ar¬ beit zu werfen, um die innere und freiere Welt auf dem Sande zu lassen. — Indem der Verfasser von der deutschen Geschichte als Vorwurf des Dramas redet, meint er: die Hohenstaufen seien Heroen der Mythe; er denkt: der Dichter sei genöthigt, erst dem Volke zu erzählen, wer sie sind. Dem ist nicht so. Das Volk kennt seine schwäbischen Friedriche so gut wie die preußischen; die Romanzendichter singen es immer tiefer in seine Ge¬ schichte hinein, und überdieß haben wir ja die Raupachschen Stücke, welche 36*

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Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/279>, abgerufen am 17.06.2024.