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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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waldfen den Schiller gemodelt und verhunzt, sondern mit kecken herausfor¬
derden Blicken, mit freier, ja wenn man will -- frecher Stirne.

Es gibt zweierlei Gattungen großer Männer. Die einen verrichten
das Erhabene aus Instinkt, aus unbewußtem Naturdrange -- die andern
weit höher Stehenden haben stets das Bewußtsein ihrer That. Herr Belani
gehört zu der letzten Gattung.

Man könnte vielleicht glauben, das Unternehmen des Herrn Belani
geschähe aus Instinkt, aus gewöhnlichem Geldinstinkt, und es handelt sich
bloß darum, den Leihbibliotheken einiges Futter zuzuführen, und damit sie
etwas lebhafter darnach schnappen, als nach dem gewöhnlichen Häckerling,
so schneidet man ihnen etwas Schiller hinein! Hat doch Judas den Herrn
für 30 Silberlinge verkauft, warum sollte Herr Belani sich scheuen für eine
ähnliche Summe den Teil zu belanisiren. Aber die Leser würden mit solchen
Gedanken der schönen belanischen Seele himmelschreiendes Unrecht thun. Herr
Belani hat große Zwecke im Auge und man muß seine Vorrede lesen, um
zu begreifen, welche Absichten ihn leiten und wie väterlich und gut er es mit
unserer Literatur meint.

Wir theilen unsern Lesern Einiges aus dieser merkwürdigen Vorrede mit:

"Schillers Dramen sind bereits in das deutsche Volk gedrungen. *)
Wohl in keiner gebildeten Familie möchte ein Exemplar von Schillers
Werken fehlen; ob sie aber so viel gelesen werden, wie es ihre
Schönheit fordert, ob sie im Allgemeinen so verstanden wer¬
den, um als lebendes Bild in der Seele zu reflectiren -- das
ist eine andere Frage, und eine schärfere Beobachtung des deutschen
Volkslebens, zumal in der Richtung unserer Zeit, wird es kaum im Zwei¬
fel lassen, daß diese herrlichen Dramen noch lange nicht in dem Grade po¬
pulär geworden sind, wie sie es verdienen.

"Zwei Gründe treten einem solchen Eindringen derselben in das Volks¬
leben entgegen.

"Zuerst: das geschriebene (oder gedruckte) Drama ist nur eine Klaue
des Löwen, (!) d. h. gewährt nur durch die (nichtdramatische) Lectüre einen
Theil der ästhetischen Wirkung, welche erst durch eine -- noch dazu vollen¬
dete -- Darstellung erreicht werden kann. Die Illusion -- ein Hauptzweck
jedes Kunstwerks -- erfordert, nach Zweck und Bestimmung eines Drama,
die Belebung der Dichtung durch Darstellung und Decoration. Nur die
mit Poesie, Phantasie und höherer ästhetischer Bildung begabten Geister


*) Wirklich? Ei, ei!

waldfen den Schiller gemodelt und verhunzt, sondern mit kecken herausfor¬
derden Blicken, mit freier, ja wenn man will — frecher Stirne.

Es gibt zweierlei Gattungen großer Männer. Die einen verrichten
das Erhabene aus Instinkt, aus unbewußtem Naturdrange — die andern
weit höher Stehenden haben stets das Bewußtsein ihrer That. Herr Belani
gehört zu der letzten Gattung.

Man könnte vielleicht glauben, das Unternehmen des Herrn Belani
geschähe aus Instinkt, aus gewöhnlichem Geldinstinkt, und es handelt sich
bloß darum, den Leihbibliotheken einiges Futter zuzuführen, und damit sie
etwas lebhafter darnach schnappen, als nach dem gewöhnlichen Häckerling,
so schneidet man ihnen etwas Schiller hinein! Hat doch Judas den Herrn
für 30 Silberlinge verkauft, warum sollte Herr Belani sich scheuen für eine
ähnliche Summe den Teil zu belanisiren. Aber die Leser würden mit solchen
Gedanken der schönen belanischen Seele himmelschreiendes Unrecht thun. Herr
Belani hat große Zwecke im Auge und man muß seine Vorrede lesen, um
zu begreifen, welche Absichten ihn leiten und wie väterlich und gut er es mit
unserer Literatur meint.

Wir theilen unsern Lesern Einiges aus dieser merkwürdigen Vorrede mit:

„Schillers Dramen sind bereits in das deutsche Volk gedrungen. *)
Wohl in keiner gebildeten Familie möchte ein Exemplar von Schillers
Werken fehlen; ob sie aber so viel gelesen werden, wie es ihre
Schönheit fordert, ob sie im Allgemeinen so verstanden wer¬
den, um als lebendes Bild in der Seele zu reflectiren — das
ist eine andere Frage, und eine schärfere Beobachtung des deutschen
Volkslebens, zumal in der Richtung unserer Zeit, wird es kaum im Zwei¬
fel lassen, daß diese herrlichen Dramen noch lange nicht in dem Grade po¬
pulär geworden sind, wie sie es verdienen.

„Zwei Gründe treten einem solchen Eindringen derselben in das Volks¬
leben entgegen.

„Zuerst: das geschriebene (oder gedruckte) Drama ist nur eine Klaue
des Löwen, (!) d. h. gewährt nur durch die (nichtdramatische) Lectüre einen
Theil der ästhetischen Wirkung, welche erst durch eine — noch dazu vollen¬
dete — Darstellung erreicht werden kann. Die Illusion — ein Hauptzweck
jedes Kunstwerks — erfordert, nach Zweck und Bestimmung eines Drama,
die Belebung der Dichtung durch Darstellung und Decoration. Nur die
mit Poesie, Phantasie und höherer ästhetischer Bildung begabten Geister


*) Wirklich? Ei, ei!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/290>, abgerufen am 17.06.2024.