Eine besondere Aehnlichkeit haben manche Zustände von Irresein mit den bei chronischen Nervenkrankheiten, meist in Zuständen tieferer Zerrüttung, vorkommenden sog. magnetischen Schlafzuständen. Das ausserordentliche Wohlgetühl in ihren höheren Graden, jene unbe- schreiblichen Empfindungen, die nicht mehr von dieser Welt zu sein scheinen, finden sich wieder in der grossen Leichtigkeit und Behaglich- keit mancher maniacalischer Zustände und in dem seligen Versunken- sein mancher Irren in Wohlgefühle, die sie nicht mehr zu beschrei- ben vermögen und für die sie gleichfalls das Bild einer Vereinigung mit dem Göttlichen wählen. Jene neue Wortsprache, die sich einzelne Somnambüle als eine vermeintliche Sprache des Geisterreichs bilden, jene Neigung, sich mit der Construction des Weltalls und überhaupt mit den letzten Problemen des menschlichen Denkens mystisch zu be- schäftigen, bis auf das affectirte Hochdeutschreden bei Ungebildeten hinaus -- all dieses findet sich bei manchen Verrückten in denselben Combinationen wieder.
Es scheint auch, dass die magnetische Exaltation, wie die wachende mania- calische, sich fast immer aus vorausgegangenen Schmerzzuständen entwickelt, und eine antagonistische Ueberhebung theils über das körperliche und geistige Leiden im Wachen, theils -- nach unserer Beobachtung -- über dunkle Traum- zustände mit alpartigen Visionen, welche die erste Periode des magnetischen Zustandes bilden, darstellt. Die weitere Bestätigung des letzteren Verhältnisses wäre für die Analogie im Verlaufe beider Reihen krankhafter Zustände sehr wichtig. Auch den Somnambülen wird ihre -- nach allen Erfahrungen so ausser- ordentlich dürftige -- Weisheit meistens durch Vermittlung von (Gehörs- und Gesichts-) Hallucinationen mitgetheilt; es gelten für diese magnetischen Zustände die meisten aus den vorigen §§. bekannten Analogieen mit den übrigen Traum- zuständen; namentlich auch Rückerinnerung des magnetischen Traums wird nicht so selten, als von Einigen angegeben wird, gefunden.
Wenn nun auch nicht alle irren Zustände den Character des Traumartigen in gleichem Masse an sich haben, wenn einige, namentlich mehr secundäre Formen, wie die partielle Verrücktheit, alle Zeichen eines vollen Wachens, eines äusser- lich besonnenen Verkehrs mit der Welt darbieten, so könnte immer noch gefragt werden, ob solches Wachen, in dem zuweilen der Kranke von seinem ganzen früheren Leben sich losgesagt, oder dasselbe ganz vergessen hat, in dem er äusserlich in der Scheinwelt seiner Hallucinationen, innerlich in ein Traumnetz von Wahnvorstellungen eingesponnen lebt -- ob solches Wachen in der That nicht mehr Aehnlichkeit mit manchen, das Tagesleben unvollständig deckenden magnetischen Zuständen habe, als mit dem Wachen, das wir aus unserer Erfah- rung als das gesunde kennen.
§. 60.
Wie aber das Irresein bald oberflächlicheren, bald tieferen, bald
und somnambülen Zuständen.
§. 59.
Eine besondere Aehnlichkeit haben manche Zustände von Irresein mit den bei chronischen Nervenkrankheiten, meist in Zuständen tieferer Zerrüttung, vorkommenden sog. magnetischen Schlafzuständen. Das ausserordentliche Wohlgetühl in ihren höheren Graden, jene unbe- schreiblichen Empfindungen, die nicht mehr von dieser Welt zu sein scheinen, finden sich wieder in der grossen Leichtigkeit und Behaglich- keit mancher maniacalischer Zustände und in dem seligen Versunken- sein mancher Irren in Wohlgefühle, die sie nicht mehr zu beschrei- ben vermögen und für die sie gleichfalls das Bild einer Vereinigung mit dem Göttlichen wählen. Jene neue Wortsprache, die sich einzelne Somnambüle als eine vermeintliche Sprache des Geisterreichs bilden, jene Neigung, sich mit der Construction des Weltalls und überhaupt mit den letzten Problemen des menschlichen Denkens mystisch zu be- schäftigen, bis auf das affectirte Hochdeutschreden bei Ungebildeten hinaus — all dieses findet sich bei manchen Verrückten in denselben Combinationen wieder.
Es scheint auch, dass die magnetische Exaltation, wie die wachende mania- calische, sich fast immer aus vorausgegangenen Schmerzzuständen entwickelt, und eine antagonistische Ueberhebung theils über das körperliche und geistige Leiden im Wachen, theils — nach unserer Beobachtung — über dunkle Traum- zustände mit alpartigen Visionen, welche die erste Periode des magnetischen Zustandes bilden, darstellt. Die weitere Bestätigung des letzteren Verhältnisses wäre für die Analogie im Verlaufe beider Reihen krankhafter Zustände sehr wichtig. Auch den Somnambülen wird ihre — nach allen Erfahrungen so ausser- ordentlich dürftige — Weisheit meistens durch Vermittlung von (Gehörs- und Gesichts-) Hallucinationen mitgetheilt; es gelten für diese magnetischen Zustände die meisten aus den vorigen §§. bekannten Analogieen mit den übrigen Traum- zuständen; namentlich auch Rückerinnerung des magnetischen Traums wird nicht so selten, als von Einigen angegeben wird, gefunden.
Wenn nun auch nicht alle irren Zustände den Character des Traumartigen in gleichem Masse an sich haben, wenn einige, namentlich mehr secundäre Formen, wie die partielle Verrücktheit, alle Zeichen eines vollen Wachens, eines äusser- lich besonnenen Verkehrs mit der Welt darbieten, so könnte immer noch gefragt werden, ob solches Wachen, in dem zuweilen der Kranke von seinem ganzen früheren Leben sich losgesagt, oder dasselbe ganz vergessen hat, in dem er äusserlich in der Scheinwelt seiner Hallucinationen, innerlich in ein Traumnetz von Wahnvorstellungen eingesponnen lebt — ob solches Wachen in der That nicht mehr Aehnlichkeit mit manchen, das Tagesleben unvollständig deckenden magnetischen Zuständen habe, als mit dem Wachen, das wir aus unserer Erfah- rung als das gesunde kennen.
§. 60.
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[91/0105]
und somnambülen Zuständen.
§. 59.
Eine besondere Aehnlichkeit haben manche Zustände von Irresein
mit den bei chronischen Nervenkrankheiten, meist in Zuständen tieferer
Zerrüttung, vorkommenden sog. magnetischen Schlafzuständen.
Das ausserordentliche Wohlgetühl in ihren höheren Graden, jene unbe-
schreiblichen Empfindungen, die nicht mehr von dieser Welt zu sein
scheinen, finden sich wieder in der grossen Leichtigkeit und Behaglich-
keit mancher maniacalischer Zustände und in dem seligen Versunken-
sein mancher Irren in Wohlgefühle, die sie nicht mehr zu beschrei-
ben vermögen und für die sie gleichfalls das Bild einer Vereinigung mit
dem Göttlichen wählen. Jene neue Wortsprache, die sich einzelne
Somnambüle als eine vermeintliche Sprache des Geisterreichs bilden,
jene Neigung, sich mit der Construction des Weltalls und überhaupt
mit den letzten Problemen des menschlichen Denkens mystisch zu be-
schäftigen, bis auf das affectirte Hochdeutschreden bei Ungebildeten
hinaus — all dieses findet sich bei manchen Verrückten in denselben
Combinationen wieder.
Es scheint auch, dass die magnetische Exaltation, wie die wachende mania-
calische, sich fast immer aus vorausgegangenen Schmerzzuständen entwickelt,
und eine antagonistische Ueberhebung theils über das körperliche und geistige
Leiden im Wachen, theils — nach unserer Beobachtung — über dunkle Traum-
zustände mit alpartigen Visionen, welche die erste Periode des magnetischen
Zustandes bilden, darstellt. Die weitere Bestätigung des letzteren Verhältnisses
wäre für die Analogie im Verlaufe beider Reihen krankhafter Zustände sehr
wichtig. Auch den Somnambülen wird ihre — nach allen Erfahrungen so ausser-
ordentlich dürftige — Weisheit meistens durch Vermittlung von (Gehörs- und
Gesichts-) Hallucinationen mitgetheilt; es gelten für diese magnetischen Zustände
die meisten aus den vorigen §§. bekannten Analogieen mit den übrigen Traum-
zuständen; namentlich auch Rückerinnerung des magnetischen Traums wird nicht
so selten, als von Einigen angegeben wird, gefunden.
Wenn nun auch nicht alle irren Zustände den Character des Traumartigen in
gleichem Masse an sich haben, wenn einige, namentlich mehr secundäre Formen,
wie die partielle Verrücktheit, alle Zeichen eines vollen Wachens, eines äusser-
lich besonnenen Verkehrs mit der Welt darbieten, so könnte immer noch gefragt
werden, ob solches Wachen, in dem zuweilen der Kranke von seinem ganzen
früheren Leben sich losgesagt, oder dasselbe ganz vergessen hat, in dem er
äusserlich in der Scheinwelt seiner Hallucinationen, innerlich in ein Traumnetz
von Wahnvorstellungen eingesponnen lebt — ob solches Wachen in der That
nicht mehr Aehnlichkeit mit manchen, das Tagesleben unvollständig deckenden
magnetischen Zuständen habe, als mit dem Wachen, das wir aus unserer Erfah-
rung als das gesunde kennen.
§. 60.
Wie aber das Irresein bald oberflächlicheren, bald tieferen, bald
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/105>, abgerufen am 24.11.2024.
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