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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Beispiele von Schwermuth.
oft der Zustand lange stationär in der Form der Schwermuth und
zeigt leichte Schwankungen der Besserung und Verschlimmerung;
in diesem Zeitraum ist das Urtheil über die Heilbarkeit ausserordent-
lich schwierig; hat aber ein solcher Zustand von Apathie mit dem
Ausdrucke der Schwermuth einmal 3 bis 4 Jahre ohne Intermission
gedauert, so sind Genesungen nur noch höchst selten.

Beispiele der einfacheren Formen der Schwermuth mit Ausgang
in Genesung.

VI. Hypochondrie. Tiefe Schwermuth. Febris intermittens.
Genesung
. N. N., Pfarrer, 43 Jahre alt, von kräftiger Constitution, wird im
August 1825 in Siegburg aufgenommen, nachdem er im März d. J. erkrankt war.
Die Hauptsymptome hatten bisher in einem Ausdrucke grosser Angst und Unruhe,
stierem misstrauischem Blick, blasser Gesichtsfarbe, kurzer Respiration, kleinem
und sehnellem Pulse bestanden. Er hatte sich einer scheusslichen Lebensweise
und grober Vergehungen angeklagt, in einzelnen lichten Augenblicken übrigens
seinen Zustand richtiger beurtheilt (Aderlässe, Vesicatore, Nitrum, Brechmittel,
Gebrauch eines Stahlbrunnens.).

Bei der Aufnahme scheuer unstäter Blick, Ausdruck von Angst und Ver-
zweiflung, voller Bauch, träger Stuhl, erdfahle Gesichtsfarbe, Aeusserungen,
dass er sogleich zerrissen, zermalmt, in Stücken gehauen werden würde. (Wein-
steinsalze mit Schwefel, leichte geistige Beschäftigung.)

Im September war der Kranke allmählig ruhiger geworden und zeigte sich
weniger geneigt seine traurigen Gefühle zu äussern. Bald klagte er über Mattig-
keit, Kopfschmerzen und es traten nun Anfälle von intermittirendem Fieber in
tertianem Typus auf. An den Fiebertagen glaubte er jedesmal bis zum Eintritt
des Schweisses, er werde nun sterben und wiederholte diess jeden Augenblick
mit dem schrecklichsten Ausdruck von Angst in Blick und Gebärden. Jede Vor-
stellung, dass er an den vorhergehenden Fiebertagen dasselbe gesagt und ge-
glaubt, wies es mit den Worten zurück: Heute ist es ganz anders, ich muss
heute sterben. (Brechweinstein mit Salmiak.) Später kamen die Fieberanfälle
täglich und die Todesfurcht wurde geringer. Endlich hörten jene von selbst
ganz auf und damit verloren sich auch die zwar früher schon etwas geminderten,
aber bis dahin immer noch häufig wiederholten Aeusserungen, die sich auf be-
gangene unversöhnbare Missethaten und die zeitlichen und ewigen Strafgerichte,
die ihm desshalb bevorstünden, bezogen, und nur eine hypochondrische Selbst-
quälerei und übermässige Aengstlichkeit in Bezug auf den körperlichen Gesund-
heitszustand blieb einige Zeit noch zurück; der Puls wurde regelmässig, ein mit
den letzten Anfällen des Wechselfiebers entstandenes Oedem der Beine und das
fahle Ansehen der Haut verloren sich; er beschäftigte sich freiwillig und em-
pfänglich mit geistigen Arbeiten, wurde heiter und froh und verliess in Januar
1826 völlig genesen die Anstalt.

Folgende Aeusserungen über die Entstehung seiner Krankheit schrieb der
Wiedergenesene nieder: "Von früher Jugend an war bei mir ein hypochondrischer
Zustand vorhanden; schon ehe ich die Universität bezog, glaubte ich, ich hätte
die Auszehrung und Versicherungen der Aerzte vom Gegentheil waren fruchtlos.
Manche widrige Vorfälle flössten mir Misstrauen gegen die Menschen ein und

Griesinger, psych. Krankhtn. 12

Beispiele von Schwermuth.
oft der Zustand lange stationär in der Form der Schwermuth und
zeigt leichte Schwankungen der Besserung und Verschlimmerung;
in diesem Zeitraum ist das Urtheil über die Heilbarkeit ausserordent-
lich schwierig; hat aber ein solcher Zustand von Apathie mit dem
Ausdrucke der Schwermuth einmal 3 bis 4 Jahre ohne Intermission
gedauert, so sind Genesungen nur noch höchst selten.

Beispiele der einfacheren Formen der Schwermuth mit Ausgang
in Genesung.

VI. Hypochondrie. Tiefe Schwermuth. Febris intermittens.
Genesung
. N. N., Pfarrer, 43 Jahre alt, von kräftiger Constitution, wird im
August 1825 in Siegburg aufgenommen, nachdem er im März d. J. erkrankt war.
Die Hauptsymptome hatten bisher in einem Ausdrucke grosser Angst und Unruhe,
stierem misstrauischem Blick, blasser Gesichtsfarbe, kurzer Respiration, kleinem
und sehnellem Pulse bestanden. Er hatte sich einer scheusslichen Lebensweise
und grober Vergehungen angeklagt, in einzelnen lichten Augenblicken übrigens
seinen Zustand richtiger beurtheilt (Aderlässe, Vesicatore, Nitrum, Brechmittel,
Gebrauch eines Stahlbrunnens.).

Bei der Aufnahme scheuer unstäter Blick, Ausdruck von Angst und Ver-
zweiflung, voller Bauch, träger Stuhl, erdfahle Gesichtsfarbe, Aeusserungen,
dass er sogleich zerrissen, zermalmt, in Stücken gehauen werden würde. (Wein-
steinsalze mit Schwefel, leichte geistige Beschäftigung.)

Im September war der Kranke allmählig ruhiger geworden und zeigte sich
weniger geneigt seine traurigen Gefühle zu äussern. Bald klagte er über Mattig-
keit, Kopfschmerzen und es traten nun Anfälle von intermittirendem Fieber in
tertianem Typus auf. An den Fiebertagen glaubte er jedesmal bis zum Eintritt
des Schweisses, er werde nun sterben und wiederholte diess jeden Augenblick
mit dem schrecklichsten Ausdruck von Angst in Blick und Gebärden. Jede Vor-
stellung, dass er an den vorhergehenden Fiebertagen dasselbe gesagt und ge-
glaubt, wies es mit den Worten zurück: Heute ist es ganz anders, ich muss
heute sterben. (Brechweinstein mit Salmiak.) Später kamen die Fieberanfälle
täglich und die Todesfurcht wurde geringer. Endlich hörten jene von selbst
ganz auf und damit verloren sich auch die zwar früher schon etwas geminderten,
aber bis dahin immer noch häufig wiederholten Aeusserungen, die sich auf be-
gangene unversöhnbare Missethaten und die zeitlichen und ewigen Strafgerichte,
die ihm desshalb bevorstünden, bezogen, und nur eine hypochondrische Selbst-
quälerei und übermässige Aengstlichkeit in Bezug auf den körperlichen Gesund-
heitszustand blieb einige Zeit noch zurück; der Puls wurde regelmässig, ein mit
den letzten Anfällen des Wechselfiebers entstandenes Oedem der Beine und das
fahle Ansehen der Haut verloren sich; er beschäftigte sich freiwillig und em-
pfänglich mit geistigen Arbeiten, wurde heiter und froh und verliess in Januar
1826 völlig genesen die Anstalt.

Folgende Aeusserungen über die Entstehung seiner Krankheit schrieb der
Wiedergenesene nieder: „Von früher Jugend an war bei mir ein hypochondrischer
Zustand vorhanden; schon ehe ich die Universität bezog, glaubte ich, ich hätte
die Auszehrung und Versicherungen der Aerzte vom Gegentheil waren fruchtlos.
Manche widrige Vorfälle flössten mir Misstrauen gegen die Menschen ein und

Griesinger, psych. Krankhtn. 12
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[177/0191] Beispiele von Schwermuth. oft der Zustand lange stationär in der Form der Schwermuth und zeigt leichte Schwankungen der Besserung und Verschlimmerung; in diesem Zeitraum ist das Urtheil über die Heilbarkeit ausserordent- lich schwierig; hat aber ein solcher Zustand von Apathie mit dem Ausdrucke der Schwermuth einmal 3 bis 4 Jahre ohne Intermission gedauert, so sind Genesungen nur noch höchst selten. Beispiele der einfacheren Formen der Schwermuth mit Ausgang in Genesung. VI. Hypochondrie. Tiefe Schwermuth. Febris intermittens. Genesung. N. N., Pfarrer, 43 Jahre alt, von kräftiger Constitution, wird im August 1825 in Siegburg aufgenommen, nachdem er im März d. J. erkrankt war. Die Hauptsymptome hatten bisher in einem Ausdrucke grosser Angst und Unruhe, stierem misstrauischem Blick, blasser Gesichtsfarbe, kurzer Respiration, kleinem und sehnellem Pulse bestanden. Er hatte sich einer scheusslichen Lebensweise und grober Vergehungen angeklagt, in einzelnen lichten Augenblicken übrigens seinen Zustand richtiger beurtheilt (Aderlässe, Vesicatore, Nitrum, Brechmittel, Gebrauch eines Stahlbrunnens.). Bei der Aufnahme scheuer unstäter Blick, Ausdruck von Angst und Ver- zweiflung, voller Bauch, träger Stuhl, erdfahle Gesichtsfarbe, Aeusserungen, dass er sogleich zerrissen, zermalmt, in Stücken gehauen werden würde. (Wein- steinsalze mit Schwefel, leichte geistige Beschäftigung.) Im September war der Kranke allmählig ruhiger geworden und zeigte sich weniger geneigt seine traurigen Gefühle zu äussern. Bald klagte er über Mattig- keit, Kopfschmerzen und es traten nun Anfälle von intermittirendem Fieber in tertianem Typus auf. An den Fiebertagen glaubte er jedesmal bis zum Eintritt des Schweisses, er werde nun sterben und wiederholte diess jeden Augenblick mit dem schrecklichsten Ausdruck von Angst in Blick und Gebärden. Jede Vor- stellung, dass er an den vorhergehenden Fiebertagen dasselbe gesagt und ge- glaubt, wies es mit den Worten zurück: Heute ist es ganz anders, ich muss heute sterben. (Brechweinstein mit Salmiak.) Später kamen die Fieberanfälle täglich und die Todesfurcht wurde geringer. Endlich hörten jene von selbst ganz auf und damit verloren sich auch die zwar früher schon etwas geminderten, aber bis dahin immer noch häufig wiederholten Aeusserungen, die sich auf be- gangene unversöhnbare Missethaten und die zeitlichen und ewigen Strafgerichte, die ihm desshalb bevorstünden, bezogen, und nur eine hypochondrische Selbst- quälerei und übermässige Aengstlichkeit in Bezug auf den körperlichen Gesund- heitszustand blieb einige Zeit noch zurück; der Puls wurde regelmässig, ein mit den letzten Anfällen des Wechselfiebers entstandenes Oedem der Beine und das fahle Ansehen der Haut verloren sich; er beschäftigte sich freiwillig und em- pfänglich mit geistigen Arbeiten, wurde heiter und froh und verliess in Januar 1826 völlig genesen die Anstalt. Folgende Aeusserungen über die Entstehung seiner Krankheit schrieb der Wiedergenesene nieder: „Von früher Jugend an war bei mir ein hypochondrischer Zustand vorhanden; schon ehe ich die Universität bezog, glaubte ich, ich hätte die Auszehrung und Versicherungen der Aerzte vom Gegentheil waren fruchtlos. Manche widrige Vorfälle flössten mir Misstrauen gegen die Menschen ein und Griesinger, psych. Krankhtn. 12

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/191>, abgerufen am 21.11.2024.