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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Tobsucht. Folie raisonnante. Moria.

Bleibt der Zustand auf der beschriebenen Stufe der Entwicklung
stehen, so kann er entweder mit Genesung (nach kürzerer Dauer)
endigen oder er kann in einen psychischen Schwächezustand über-
gehen, in welchem die vorherrschende fröhliche, selbstzufriedene und
selbstgefällige Laune sich fixirt hat und sich in schwächlichem,
thörichtem Thun und Treiben, Lachen, Tanzen etc., in kindischen
Spielen, in Aufbewahren werthloser Dinge, denen aber der Delirirende
einen übertriebenen Werth beilegt und dergl. äussert. Für diese
Form des Blödsinns dürfte es am zweckmässigsten sein, den Namen
der Moria, Narrheit, beizubehalten.

Der folgende Fall bietet ein Beispiel eines solchen anfallsweise eintretenden,
einfachen und schwachen Exaltationszustandes ohne Weiterentwicklung zu aus-
gebildeter Tobsucht oder zu Wahnsinn.

XXX. Johann Reiberg, 37 Jahre alt, kräftig, ohne erbliche Disposition zum
Irresein, hatte als guter Landwirth in glücklichen äusseren Umständen gelebt.
Im 20ten Jahre hatte er zum ersten Mal einen Anfall von Seelenstörung erlitten,
der sechs Wochen anhielt; diesem ähnliche Anfälle wiederholten sich in der Folge
noch sieben Mal nach einer zwei- bis dreijährigen Zwischenzeit.

Der Hergang war dabei jedesmal im Allgemeinen folgender: Erst ward der
Kranke für eine kurze Zeit trübsinnig und niedergeschlagen, worauf bald eine
immer wachsende Aufregung folgte, die sich aber auch bei den höchsten Graden,
die sie erreichte, nur durch eine Steigerung der Lebhaftigkeit in seinem gewöhn-
lichen Treiben offenbarte. Seine Pferde- und Hundeliebhaberei und seine Lust an
der Jagd trat noch weit lebhafter als sonst hervor und zugleich war seine Thä-
tigkeit in der Landwirthschaft übermässig. Er war dann im höchsten Grade unter-
nehmend, vielgeschäftig, rastlos in Allem, was er ergriff, vom frühsten Morgen
bis zum späten Abend die schwersten Feldarbeiten selbst betreibend, legte dabei
aber auch ein übermässiges Selbstvertrauen, eine Neigung zu Zornausbrüchen
und zugleich eine in etwas geschwächte Urtheilskraft an den Tag, war übrigens
abgeschlossen, mied die Gemeinschaft mit seinen Hausgenossen und erwies sich
gegen sie ungewöhnlich abstossend und unartig. Die Nächte brachte er in diesen
Zeiten meist schlaflos zu, ohne doch desshalb für seine überspannte Thätigkeit
über Tage weniger rüstig zu sein. Die Esslust war ebenfalls gesteigert und
während er ausser diesen Anfällen im Genusse von geistigen Getränken sehr
mässig war, zeigte er jetzt eine grosse Neigung zu denselben, ohne sich indessen
darin zu berauschen. Nie kam in diesen Krankheitsanfällen eigentliche Verstan-
deszerrüttung vor, wenn sich auch vorübergehend einige Mal flüchtige Wahn-
vorstellungen bemerklich machten. In sämmtlichen Anfällen offenbarte sich das
Irresein vorzugsweise nur durch eine Gereiztheit aller Seelenverrichtungen, und
vor Allem durch etwas entschieden Triebartiges in den Aeusserungen der Willens-
thätigkeit und des Begehrungsvermögens. Hatte dieser Zustand im Verlaufe von
vier bis fünf Wochen dann seine Höhe erreicht, so sank die Aufregung bald
wieder, machte aber ihren Uebergang zu der normalen psychischen Stimmung stets
nur mittelst einer mehrtägigen Periode von Niedergeschlagenheit nnd Abspan-
nung, ähnlich derjenigen, womit der Krankheitsanfall einzutreten pflegte.

Tobsucht. Folie raisonnante. Moria.

Bleibt der Zustand auf der beschriebenen Stufe der Entwicklung
stehen, so kann er entweder mit Genesung (nach kürzerer Dauer)
endigen oder er kann in einen psychischen Schwächezustand über-
gehen, in welchem die vorherrschende fröhliche, selbstzufriedene und
selbstgefällige Laune sich fixirt hat und sich in schwächlichem,
thörichtem Thun und Treiben, Lachen, Tanzen etc., in kindischen
Spielen, in Aufbewahren werthloser Dinge, denen aber der Delirirende
einen übertriebenen Werth beilegt und dergl. äussert. Für diese
Form des Blödsinns dürfte es am zweckmässigsten sein, den Namen
der Moria, Narrheit, beizubehalten.

Der folgende Fall bietet ein Beispiel eines solchen anfallsweise eintretenden,
einfachen und schwachen Exaltationszustandes ohne Weiterentwicklung zu aus-
gebildeter Tobsucht oder zu Wahnsinn.

XXX. Johann Reiberg, 37 Jahre alt, kräftig, ohne erbliche Disposition zum
Irresein, hatte als guter Landwirth in glücklichen äusseren Umständen gelebt.
Im 20ten Jahre hatte er zum ersten Mal einen Anfall von Seelenstörung erlitten,
der sechs Wochen anhielt; diesem ähnliche Anfälle wiederholten sich in der Folge
noch sieben Mal nach einer zwei- bis dreijährigen Zwischenzeit.

Der Hergang war dabei jedesmal im Allgemeinen folgender: Erst ward der
Kranke für eine kurze Zeit trübsinnig und niedergeschlagen, worauf bald eine
immer wachsende Aufregung folgte, die sich aber auch bei den höchsten Graden,
die sie erreichte, nur durch eine Steigerung der Lebhaftigkeit in seinem gewöhn-
lichen Treiben offenbarte. Seine Pferde- und Hundeliebhaberei und seine Lust an
der Jagd trat noch weit lebhafter als sonst hervor und zugleich war seine Thä-
tigkeit in der Landwirthschaft übermässig. Er war dann im höchsten Grade unter-
nehmend, vielgeschäftig, rastlos in Allem, was er ergriff, vom frühsten Morgen
bis zum späten Abend die schwersten Feldarbeiten selbst betreibend, legte dabei
aber auch ein übermässiges Selbstvertrauen, eine Neigung zu Zornausbrüchen
und zugleich eine in etwas geschwächte Urtheilskraft an den Tag, war übrigens
abgeschlossen, mied die Gemeinschaft mit seinen Hausgenossen und erwies sich
gegen sie ungewöhnlich abstossend und unartig. Die Nächte brachte er in diesen
Zeiten meist schlaflos zu, ohne doch desshalb für seine überspannte Thätigkeit
über Tage weniger rüstig zu sein. Die Esslust war ebenfalls gesteigert und
während er ausser diesen Anfällen im Genusse von geistigen Getränken sehr
mässig war, zeigte er jetzt eine grosse Neigung zu denselben, ohne sich indessen
darin zu berauschen. Nie kam in diesen Krankheitsanfällen eigentliche Verstan-
deszerrüttung vor, wenn sich auch vorübergehend einige Mal flüchtige Wahn-
vorstellungen bemerklich machten. In sämmtlichen Anfällen offenbarte sich das
Irresein vorzugsweise nur durch eine Gereiztheit aller Seelenverrichtungen, und
vor Allem durch etwas entschieden Triebartiges in den Aeusserungen der Willens-
thätigkeit und des Begehrungsvermögens. Hatte dieser Zustand im Verlaufe von
vier bis fünf Wochen dann seine Höhe erreicht, so sank die Aufregung bald
wieder, machte aber ihren Uebergang zu der normalen psychischen Stimmung stets
nur mittelst einer mehrtägigen Periode von Niedergeschlagenheit nnd Abspan-
nung, ähnlich derjenigen, womit der Krankheitsanfall einzutreten pflegte.

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[235/0249] Tobsucht. Folie raisonnante. Moria. Bleibt der Zustand auf der beschriebenen Stufe der Entwicklung stehen, so kann er entweder mit Genesung (nach kürzerer Dauer) endigen oder er kann in einen psychischen Schwächezustand über- gehen, in welchem die vorherrschende fröhliche, selbstzufriedene und selbstgefällige Laune sich fixirt hat und sich in schwächlichem, thörichtem Thun und Treiben, Lachen, Tanzen etc., in kindischen Spielen, in Aufbewahren werthloser Dinge, denen aber der Delirirende einen übertriebenen Werth beilegt und dergl. äussert. Für diese Form des Blödsinns dürfte es am zweckmässigsten sein, den Namen der Moria, Narrheit, beizubehalten. Der folgende Fall bietet ein Beispiel eines solchen anfallsweise eintretenden, einfachen und schwachen Exaltationszustandes ohne Weiterentwicklung zu aus- gebildeter Tobsucht oder zu Wahnsinn. XXX. Johann Reiberg, 37 Jahre alt, kräftig, ohne erbliche Disposition zum Irresein, hatte als guter Landwirth in glücklichen äusseren Umständen gelebt. Im 20ten Jahre hatte er zum ersten Mal einen Anfall von Seelenstörung erlitten, der sechs Wochen anhielt; diesem ähnliche Anfälle wiederholten sich in der Folge noch sieben Mal nach einer zwei- bis dreijährigen Zwischenzeit. Der Hergang war dabei jedesmal im Allgemeinen folgender: Erst ward der Kranke für eine kurze Zeit trübsinnig und niedergeschlagen, worauf bald eine immer wachsende Aufregung folgte, die sich aber auch bei den höchsten Graden, die sie erreichte, nur durch eine Steigerung der Lebhaftigkeit in seinem gewöhn- lichen Treiben offenbarte. Seine Pferde- und Hundeliebhaberei und seine Lust an der Jagd trat noch weit lebhafter als sonst hervor und zugleich war seine Thä- tigkeit in der Landwirthschaft übermässig. Er war dann im höchsten Grade unter- nehmend, vielgeschäftig, rastlos in Allem, was er ergriff, vom frühsten Morgen bis zum späten Abend die schwersten Feldarbeiten selbst betreibend, legte dabei aber auch ein übermässiges Selbstvertrauen, eine Neigung zu Zornausbrüchen und zugleich eine in etwas geschwächte Urtheilskraft an den Tag, war übrigens abgeschlossen, mied die Gemeinschaft mit seinen Hausgenossen und erwies sich gegen sie ungewöhnlich abstossend und unartig. Die Nächte brachte er in diesen Zeiten meist schlaflos zu, ohne doch desshalb für seine überspannte Thätigkeit über Tage weniger rüstig zu sein. Die Esslust war ebenfalls gesteigert und während er ausser diesen Anfällen im Genusse von geistigen Getränken sehr mässig war, zeigte er jetzt eine grosse Neigung zu denselben, ohne sich indessen darin zu berauschen. Nie kam in diesen Krankheitsanfällen eigentliche Verstan- deszerrüttung vor, wenn sich auch vorübergehend einige Mal flüchtige Wahn- vorstellungen bemerklich machten. In sämmtlichen Anfällen offenbarte sich das Irresein vorzugsweise nur durch eine Gereiztheit aller Seelenverrichtungen, und vor Allem durch etwas entschieden Triebartiges in den Aeusserungen der Willens- thätigkeit und des Begehrungsvermögens. Hatte dieser Zustand im Verlaufe von vier bis fünf Wochen dann seine Höhe erreicht, so sank die Aufregung bald wieder, machte aber ihren Uebergang zu der normalen psychischen Stimmung stets nur mittelst einer mehrtägigen Periode von Niedergeschlagenheit nnd Abspan- nung, ähnlich derjenigen, womit der Krankheitsanfall einzutreten pflegte.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/249>, abgerufen am 28.11.2024.