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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Beispiel maniacalischer Folie raisonnante.

Der Befallene selbst hatte von diesen Zuständen, auch schon während ihres
Verlaufs, das Gefühl, als von etwas durchaus Krankhaftem, und zeigte sich nach
deren Entfernung, zumal als sie oft wiederkehrten, jedesmals niedergeschlagen
und besorgt, äusserte auch mehrmals den Wunsch in der hiesigen Anstalt einer
Kur desshalb unterworfen zu werden und sprach endlich, nachdem der vorletzte
Anfall stärker und hartnäckiger als die früheren gewesen, gegen die Seinigen
das bestimmte Begehren aus, dass man ihn beim Wiedereintritt der Krankheit,
sei es auch dann wider seinen Willen, hieher bringen sollte, was denn auch im
Septemper 1829 statt fand. Bei seiner Hierherkunft hatte übrigens der Anfall
seinen Höhepunkt beinahe erreicht, und es währte nicht lange bis das Stadium
der Abnahme und sofort auch die gewöhnliche Niedergeschlagenheit eintrat, und
dann der gesunde Zustand sich wieder herstellte.

Welche ursächlichen Momente solcher stets vorhandenen, von Zeit zu Zeit
aber einen ungewöhnlichen Grad erreichenden krankhaften Erhöhung und Ver-
stimmung der Reizbarkeit dos Gehirns und des gesammten Nervensystems zu
Grunde lagen, hierüber schien eine genügende Aufklärung kaum zu hoffen. Wider
Erwarten fand es sich, dass dieser so kräftige und in der angestrengtesten Thä-
tigkeit lebende Mann, von seinen Knabenjahren bis zu seinem gegenwärtigen
vollen Mannesalter, der Selbstbefleckung anhaltend im höchsten Grade ergeben
gewesen war. Stets dabei von Gewissensbissen gefoltert, selbst durch die Sorge
geängstigt, dass die Anfälle von Geisteskrankheit, der er unterlag, in diesem
Laster ihren Ursprung haben möchten, immer neue Vorsätze fassend, demselben
zu entsagen, und nach kurzen Perioden einer standhaften Behauptung dieser
Vorsätze immer wieder zu neuem Treubruch verleitet, immer durch seine Schwäche
zur Verzweiflung getrieben und immer gleich unvermögend die Kraft zu andauern-
der Entsagung in sich aufzubieten, immer im Bestreben diesem grauenvollen
Abgrund zu entfliehen und immer von Neuem sich an denselben gebannt fühlend,
litt seine Seele nicht minder wie sein Körper von diesen zerrüttenden Einflüssen,
und der bleibende, bald mehr, bald weniger gesteigerte krankhafte Zustand seines
Gehirns und das vermöge der individuellen Beschaffenheit seines Organismus da-
durch bedingte periodische Auftreten der oben geschilderten tobsüchtigen Auf-
regung war ohne Zweifel die Folge davon.

Die Behandlung bestand in spärlicher Kost, kühlen Bädern mit kalter Douche,
in psychischen und beschränkenden Mitteln, welche der Kranke durch eigenen
Willen unterstützte. So gelang es ihn wenigstens mehrere Monate von der Selbst-
befleckung frei zu halten.

(Jakobi, die Hauptformen der Seelenstörungen. I. 1844. Nro. 1.)

§. 115.

Es übrigt noch hier am Schlusse der Betrachtung der Tobsucht
die sogenannte Mania sine delirio kurz zu besprechen, eine patho-
logische Categorie, welche von Pinel -- man darf sagen, zum Unglück
der Wissenschaft -- aufgestellt wurde. Denn so wahr und ver-
dienstlich die Bemerkung war, welche Pinel aus seinen Beobachtungen
abstrahirte, dass die gewaltthätigen Triebe und Handlungen der Tob-
süchtigen nicht immer in verkehrten Vorstellungen begründet

Beispiel maniacalischer Folie raisonnante.

Der Befallene selbst hatte von diesen Zuständen, auch schon während ihres
Verlaufs, das Gefühl, als von etwas durchaus Krankhaftem, und zeigte sich nach
deren Entfernung, zumal als sie oft wiederkehrten, jedesmals niedergeschlagen
und besorgt, äusserte auch mehrmals den Wunsch in der hiesigen Anstalt einer
Kur desshalb unterworfen zu werden und sprach endlich, nachdem der vorletzte
Anfall stärker und hartnäckiger als die früheren gewesen, gegen die Seinigen
das bestimmte Begehren aus, dass man ihn beim Wiedereintritt der Krankheit,
sei es auch dann wider seinen Willen, hieher bringen sollte, was denn auch im
Septemper 1829 statt fand. Bei seiner Hierherkunft hatte übrigens der Anfall
seinen Höhepunkt beinahe erreicht, und es währte nicht lange bis das Stadium
der Abnahme und sofort auch die gewöhnliche Niedergeschlagenheit eintrat, und
dann der gesunde Zustand sich wieder herstellte.

Welche ursächlichen Momente solcher stets vorhandenen, von Zeit zu Zeit
aber einen ungewöhnlichen Grad erreichenden krankhaften Erhöhung und Ver-
stimmung der Reizbarkeit dos Gehirns und des gesammten Nervensystems zu
Grunde lagen, hierüber schien eine genügende Aufklärung kaum zu hoffen. Wider
Erwarten fand es sich, dass dieser so kräftige und in der angestrengtesten Thä-
tigkeit lebende Mann, von seinen Knabenjahren bis zu seinem gegenwärtigen
vollen Mannesalter, der Selbstbefleckung anhaltend im höchsten Grade ergeben
gewesen war. Stets dabei von Gewissensbissen gefoltert, selbst durch die Sorge
geängstigt, dass die Anfälle von Geisteskrankheit, der er unterlag, in diesem
Laster ihren Ursprung haben möchten, immer neue Vorsätze fassend, demselben
zu entsagen, und nach kurzen Perioden einer standhaften Behauptung dieser
Vorsätze immer wieder zu neuem Treubruch verleitet, immer durch seine Schwäche
zur Verzweiflung getrieben und immer gleich unvermögend die Kraft zu andauern-
der Entsagung in sich aufzubieten, immer im Bestreben diesem grauenvollen
Abgrund zu entfliehen und immer von Neuem sich an denselben gebannt fühlend,
litt seine Seele nicht minder wie sein Körper von diesen zerrüttenden Einflüssen,
und der bleibende, bald mehr, bald weniger gesteigerte krankhafte Zustand seines
Gehirns und das vermöge der individuellen Beschaffenheit seines Organismus da-
durch bedingte periodische Auftreten der oben geschilderten tobsüchtigen Auf-
regung war ohne Zweifel die Folge davon.

Die Behandlung bestand in spärlicher Kost, kühlen Bädern mit kalter Douche,
in psychischen und beschränkenden Mitteln, welche der Kranke durch eigenen
Willen unterstützte. So gelang es ihn wenigstens mehrere Monate von der Selbst-
befleckung frei zu halten.

(Jakobi, die Hauptformen der Seelenstörungen. I. 1844. Nro. 1.)

§. 115.

Es übrigt noch hier am Schlusse der Betrachtung der Tobsucht
die sogenannte Mania sine delirio kurz zu besprechen, eine patho-
logische Categorie, welche von Pinel — man darf sagen, zum Unglück
der Wissenschaft — aufgestellt wurde. Denn so wahr und ver-
dienstlich die Bemerkung war, welche Pinel aus seinen Beobachtungen
abstrahirte, dass die gewaltthätigen Triebe und Handlungen der Tob-
süchtigen nicht immer in verkehrten Vorstellungen begründet

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[236/0250] Beispiel maniacalischer Folie raisonnante. Der Befallene selbst hatte von diesen Zuständen, auch schon während ihres Verlaufs, das Gefühl, als von etwas durchaus Krankhaftem, und zeigte sich nach deren Entfernung, zumal als sie oft wiederkehrten, jedesmals niedergeschlagen und besorgt, äusserte auch mehrmals den Wunsch in der hiesigen Anstalt einer Kur desshalb unterworfen zu werden und sprach endlich, nachdem der vorletzte Anfall stärker und hartnäckiger als die früheren gewesen, gegen die Seinigen das bestimmte Begehren aus, dass man ihn beim Wiedereintritt der Krankheit, sei es auch dann wider seinen Willen, hieher bringen sollte, was denn auch im Septemper 1829 statt fand. Bei seiner Hierherkunft hatte übrigens der Anfall seinen Höhepunkt beinahe erreicht, und es währte nicht lange bis das Stadium der Abnahme und sofort auch die gewöhnliche Niedergeschlagenheit eintrat, und dann der gesunde Zustand sich wieder herstellte. Welche ursächlichen Momente solcher stets vorhandenen, von Zeit zu Zeit aber einen ungewöhnlichen Grad erreichenden krankhaften Erhöhung und Ver- stimmung der Reizbarkeit dos Gehirns und des gesammten Nervensystems zu Grunde lagen, hierüber schien eine genügende Aufklärung kaum zu hoffen. Wider Erwarten fand es sich, dass dieser so kräftige und in der angestrengtesten Thä- tigkeit lebende Mann, von seinen Knabenjahren bis zu seinem gegenwärtigen vollen Mannesalter, der Selbstbefleckung anhaltend im höchsten Grade ergeben gewesen war. Stets dabei von Gewissensbissen gefoltert, selbst durch die Sorge geängstigt, dass die Anfälle von Geisteskrankheit, der er unterlag, in diesem Laster ihren Ursprung haben möchten, immer neue Vorsätze fassend, demselben zu entsagen, und nach kurzen Perioden einer standhaften Behauptung dieser Vorsätze immer wieder zu neuem Treubruch verleitet, immer durch seine Schwäche zur Verzweiflung getrieben und immer gleich unvermögend die Kraft zu andauern- der Entsagung in sich aufzubieten, immer im Bestreben diesem grauenvollen Abgrund zu entfliehen und immer von Neuem sich an denselben gebannt fühlend, litt seine Seele nicht minder wie sein Körper von diesen zerrüttenden Einflüssen, und der bleibende, bald mehr, bald weniger gesteigerte krankhafte Zustand seines Gehirns und das vermöge der individuellen Beschaffenheit seines Organismus da- durch bedingte periodische Auftreten der oben geschilderten tobsüchtigen Auf- regung war ohne Zweifel die Folge davon. Die Behandlung bestand in spärlicher Kost, kühlen Bädern mit kalter Douche, in psychischen und beschränkenden Mitteln, welche der Kranke durch eigenen Willen unterstützte. So gelang es ihn wenigstens mehrere Monate von der Selbst- befleckung frei zu halten. (Jakobi, die Hauptformen der Seelenstörungen. I. 1844. Nro. 1.) §. 115. Es übrigt noch hier am Schlusse der Betrachtung der Tobsucht die sogenannte Mania sine delirio kurz zu besprechen, eine patho- logische Categorie, welche von Pinel — man darf sagen, zum Unglück der Wissenschaft — aufgestellt wurde. Denn so wahr und ver- dienstlich die Bemerkung war, welche Pinel aus seinen Beobachtungen abstrahirte, dass die gewaltthätigen Triebe und Handlungen der Tob- süchtigen nicht immer in verkehrten Vorstellungen begründet

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/250>, abgerufen am 28.11.2024.