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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Die Verwirrtheit. Beispiel.
kindische und grillenhafte Gewohnheiten vor, Kehrichtsammeln, be-
ständiges Liegenbleiben im Bette, Freude an Spielwerk und lächer-
lichem Putz etc. Zuweilen kommt eine launische Weigerung zu essen,
unter andern Aeusserungen kindischer Widersetzlichkeit vor; häufiger
sieht man eine behagliche Gefrässigkeit, oft ein sinnloses Hinunter-
schlingen der ekelhaftesten Dinge. Sehr viele dieser, lange in den
Irrenhäusern eingeschlossenen Kranken treiben noch Onanie, und man
erhält zuweilen aus ihren Reden dunkle Andeutungen von bedeu-
tenden Störungen der sexuellen Functionen, welche zu weiteren Un-
tersuchungen über diesen Punkt auffordern.

Die Physionomie ist meist alt und plump, der Blick leer, und
das Aeussere der Kranken durch Vernachlässigung und Schmutz ab-
stossend geworden. Das körperliche Befinden kann gut, oder es
können die verschiedensten chronischen oder acuten Erkrankungen
vorhanden sein; nicht selten ist Neigung zum Fettwerden zugegen.

Von freien Intermissionen ist im Verlauf der Verwirrtheit keine
Rede mehr. Remissionen kommen in der Weise vor, dass ruhigere
und etwas besonnenere Zustände mit den Zeiten grösserer Turbulenz
und Agitation abwechseln. Der Verlauf dieser Zustände ist ein zu
immer tieferer Schwäche fortschreitender, am schnellsten bei der
Complication mit Paralyse, sonst mit Jahre langen Stillständen. Hei-
lung tritt niemals mehr ein.

XLIII. Uebergang der Verrücktheit in völlige Verwirrtheit.
Julie hat nur noch einen Gedanken und noch dazu einen unsinnigen; sie hält
sich für den Allmächtigen; sie spricht zwar auch von andern Dingen, aber ihre
Reden sind ohne Folge und Zusammenhang, und sie hat fast keine Gewohnheit
eines geordneten Lebens mehr behalten. Es ist noch kein vollständiger Verlust,
sondern nur eine beträchtliche Schwäche aller geistigen Fähigkeiten, wie man
aus dem folgenden Gespräche ersehen kann.

"Wie heissen Sie, Madame?"

"Ich heisse Ich, mein Name. Sie sind mir ein Feld schuldig. Ich bin wahr-
haftig der Allmächtige. Mein Verstand ist zugeschnitten worden um eine Schürze
daraus zu machen."

"Wie alt sind Sie?"

"Ich bin 14 Jahre alt." (Sie zählt wenigstens 30 Jahre.)

"Wie viel machen 45 und 3?"

"Das macht 48. Nun! mir hat man auch mein Gold und meinen Schmuck gestohlen."

"Wer hat sie Ihnen genommen?"

"Fragen Sie Ihre Gedanken: Ich mache nicht das Cürassierweib. Ich bin
der Allmächtige."

"Seit wann sind Sie der Allmächtige?"

"Immer, immer. Ich bin immer der Allmächtige gewesen."

"Aber der Allmächtige hat einen Bart und Sie haben keinen?"

Die Verwirrtheit. Beispiel.
kindische und grillenhafte Gewohnheiten vor, Kehrichtsammeln, be-
ständiges Liegenbleiben im Bette, Freude an Spielwerk und lächer-
lichem Putz etc. Zuweilen kommt eine launische Weigerung zu essen,
unter andern Aeusserungen kindischer Widersetzlichkeit vor; häufiger
sieht man eine behagliche Gefrässigkeit, oft ein sinnloses Hinunter-
schlingen der ekelhaftesten Dinge. Sehr viele dieser, lange in den
Irrenhäusern eingeschlossenen Kranken treiben noch Onanie, und man
erhält zuweilen aus ihren Reden dunkle Andeutungen von bedeu-
tenden Störungen der sexuellen Functionen, welche zu weiteren Un-
tersuchungen über diesen Punkt auffordern.

Die Physionomie ist meist alt und plump, der Blick leer, und
das Aeussere der Kranken durch Vernachlässigung und Schmutz ab-
stossend geworden. Das körperliche Befinden kann gut, oder es
können die verschiedensten chronischen oder acuten Erkrankungen
vorhanden sein; nicht selten ist Neigung zum Fettwerden zugegen.

Von freien Intermissionen ist im Verlauf der Verwirrtheit keine
Rede mehr. Remissionen kommen in der Weise vor, dass ruhigere
und etwas besonnenere Zustände mit den Zeiten grösserer Turbulenz
und Agitation abwechseln. Der Verlauf dieser Zustände ist ein zu
immer tieferer Schwäche fortschreitender, am schnellsten bei der
Complication mit Paralyse, sonst mit Jahre langen Stillständen. Hei-
lung tritt niemals mehr ein.

XLIII. Uebergang der Verrücktheit in völlige Verwirrtheit.
Julie hat nur noch einen Gedanken und noch dazu einen unsinnigen; sie hält
sich für den Allmächtigen; sie spricht zwar auch von andern Dingen, aber ihre
Reden sind ohne Folge und Zusammenhang, und sie hat fast keine Gewohnheit
eines geordneten Lebens mehr behalten. Es ist noch kein vollständiger Verlust,
sondern nur eine beträchtliche Schwäche aller geistigen Fähigkeiten, wie man
aus dem folgenden Gespräche ersehen kann.

„Wie heissen Sie, Madame?“

„Ich heisse Ich, mein Name. Sie sind mir ein Feld schuldig. Ich bin wahr-
haftig der Allmächtige. Mein Verstand ist zugeschnitten worden um eine Schürze
daraus zu machen.“

„Wie alt sind Sie?“

„Ich bin 14 Jahre alt.“ (Sie zählt wenigstens 30 Jahre.)

„Wie viel machen 45 und 3?“

„Das macht 48. Nun! mir hat man auch mein Gold und meinen Schmuck gestohlen.“

„Wer hat sie Ihnen genommen?“

„Fragen Sie Ihre Gedanken: Ich mache nicht das Cürassierweib. Ich bin
der Allmächtige.“

„Seit wann sind Sie der Allmächtige?“

„Immer, immer. Ich bin immer der Allmächtige gewesen.“

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[278/0292] Die Verwirrtheit. Beispiel. kindische und grillenhafte Gewohnheiten vor, Kehrichtsammeln, be- ständiges Liegenbleiben im Bette, Freude an Spielwerk und lächer- lichem Putz etc. Zuweilen kommt eine launische Weigerung zu essen, unter andern Aeusserungen kindischer Widersetzlichkeit vor; häufiger sieht man eine behagliche Gefrässigkeit, oft ein sinnloses Hinunter- schlingen der ekelhaftesten Dinge. Sehr viele dieser, lange in den Irrenhäusern eingeschlossenen Kranken treiben noch Onanie, und man erhält zuweilen aus ihren Reden dunkle Andeutungen von bedeu- tenden Störungen der sexuellen Functionen, welche zu weiteren Un- tersuchungen über diesen Punkt auffordern. Die Physionomie ist meist alt und plump, der Blick leer, und das Aeussere der Kranken durch Vernachlässigung und Schmutz ab- stossend geworden. Das körperliche Befinden kann gut, oder es können die verschiedensten chronischen oder acuten Erkrankungen vorhanden sein; nicht selten ist Neigung zum Fettwerden zugegen. Von freien Intermissionen ist im Verlauf der Verwirrtheit keine Rede mehr. Remissionen kommen in der Weise vor, dass ruhigere und etwas besonnenere Zustände mit den Zeiten grösserer Turbulenz und Agitation abwechseln. Der Verlauf dieser Zustände ist ein zu immer tieferer Schwäche fortschreitender, am schnellsten bei der Complication mit Paralyse, sonst mit Jahre langen Stillständen. Hei- lung tritt niemals mehr ein. XLIII. Uebergang der Verrücktheit in völlige Verwirrtheit. Julie hat nur noch einen Gedanken und noch dazu einen unsinnigen; sie hält sich für den Allmächtigen; sie spricht zwar auch von andern Dingen, aber ihre Reden sind ohne Folge und Zusammenhang, und sie hat fast keine Gewohnheit eines geordneten Lebens mehr behalten. Es ist noch kein vollständiger Verlust, sondern nur eine beträchtliche Schwäche aller geistigen Fähigkeiten, wie man aus dem folgenden Gespräche ersehen kann. „Wie heissen Sie, Madame?“ „Ich heisse Ich, mein Name. Sie sind mir ein Feld schuldig. Ich bin wahr- haftig der Allmächtige. Mein Verstand ist zugeschnitten worden um eine Schürze daraus zu machen.“ „Wie alt sind Sie?“ „Ich bin 14 Jahre alt.“ (Sie zählt wenigstens 30 Jahre.) „Wie viel machen 45 und 3?“ „Das macht 48. Nun! mir hat man auch mein Gold und meinen Schmuck gestohlen.“ „Wer hat sie Ihnen genommen?“ „Fragen Sie Ihre Gedanken: Ich mache nicht das Cürassierweib. Ich bin der Allmächtige.“ „Seit wann sind Sie der Allmächtige?“ „Immer, immer. Ich bin immer der Allmächtige gewesen.“ „Aber der Allmächtige hat einen Bart und Sie haben keinen?“

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/292>, abgerufen am 28.11.2024.