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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Dritter Abschnitt.
Von einigen wichtigen Complicationen des Irreseins.
§. 129.

Die bisher erörterten, namentlich die zuletzt betrachteten Formen
psychischer Anomalieen sind zuweilen von schweren Störungen nament-
lich gewissen schweren Nervensymptomen begleitet, die -- obwohl
mit der Gehirnkrankheit, die auch das Irresein ergibt, zunächst und
unmittelbar zusammenhängend -- doch solche Wichtigkeit, zum Theil
auch eine solche Art von Selbständigkeit zeigen, dass sie als Compli-
cationen der Geisteskrankheiten erscheinen. Wir wollen also hierunter
nicht alle Erkrankungen verstehen, an denen die Irren leiden können;
diese sind unzählig, da man bis jetzt kaum Ausschliessungsverhält-
nisse der Gehirnkrankheiten kennt. Auch die hin und wieder ge-
äusserte Meinung, dass Geisteskranke von epidemischen Krankheiten
frei bleiben sollen, ward schon zu Pinels Zeit durch ein tödtliches
typhöses Fieber, das in den Irren-Abtheilungen, wie in den übrigen
Räumen des Hospitals herrschte, und neuerdings wieder in Paris
durch die Cholera auffallend widerlegt. Sämmtliche Störungen, welche
die specielle Pathologie kennt, kommen bei Irren vor; hier kann es
sich nur von Aufzählung und Erörterung derjenigen Complicationen
handeln, welche in ganz directem Zusammenhang mit dem Irresein
stehen, jener schweren Störungen der Bewegung und Empfindung,
welche, selbst Symptome einer schweren Erkrankung des Gehirns,
ganz in die Geschichte des Irreseins selbst gehören und hier nur
durch das Bedürfniss einer ausführlicheren Betrachtung von derselben
äusserlich getrennt werden.

§. 130.

Unter diesen Störungen verdient die sogenannte allgemeine
(unvollständige) Paralyse
wegen ihrer Häufigkeit, der Eigenthüm-
lichkeit ihres Verlaufs und ihrer höchst traurigen Prognose die meiste
Aufmerksamkeit. Sie ist bis jetzt ausschliesslich von französischen
Aerzten (Esquirol, Calmeil, Bayle, Delaye, Foville, Sc. Pinel etc.)
genauer studirt worden, mit deren Schilderung im Wesentlichen unsere
Beobachtungen übereinstimmen.

Diese Paralyse kommt niemals bei Geistesgesunden vor, d. h.
sie beruht auf einer Gehirnkrankheit, welche immer schwer genug
ist, um ein tieferes Irresein unter ihren Symptomen zu haben. Die

Dritter Abschnitt.
Von einigen wichtigen Complicationen des Irreseins.
§. 129.

Die bisher erörterten, namentlich die zuletzt betrachteten Formen
psychischer Anomalieen sind zuweilen von schweren Störungen nament-
lich gewissen schweren Nervensymptomen begleitet, die — obwohl
mit der Gehirnkrankheit, die auch das Irresein ergibt, zunächst und
unmittelbar zusammenhängend — doch solche Wichtigkeit, zum Theil
auch eine solche Art von Selbständigkeit zeigen, dass sie als Compli-
cationen der Geisteskrankheiten erscheinen. Wir wollen also hierunter
nicht alle Erkrankungen verstehen, an denen die Irren leiden können;
diese sind unzählig, da man bis jetzt kaum Ausschliessungsverhält-
nisse der Gehirnkrankheiten kennt. Auch die hin und wieder ge-
äusserte Meinung, dass Geisteskranke von epidemischen Krankheiten
frei bleiben sollen, ward schon zu Pinels Zeit durch ein tödtliches
typhöses Fieber, das in den Irren-Abtheilungen, wie in den übrigen
Räumen des Hospitals herrschte, und neuerdings wieder in Paris
durch die Cholera auffallend widerlegt. Sämmtliche Störungen, welche
die specielle Pathologie kennt, kommen bei Irren vor; hier kann es
sich nur von Aufzählung und Erörterung derjenigen Complicationen
handeln, welche in ganz directem Zusammenhang mit dem Irresein
stehen, jener schweren Störungen der Bewegung und Empfindung,
welche, selbst Symptome einer schweren Erkrankung des Gehirns,
ganz in die Geschichte des Irreseins selbst gehören und hier nur
durch das Bedürfniss einer ausführlicheren Betrachtung von derselben
äusserlich getrennt werden.

§. 130.

Unter diesen Störungen verdient die sogenannte allgemeine
(unvollständige) Paralyse
wegen ihrer Häufigkeit, der Eigenthüm-
lichkeit ihres Verlaufs und ihrer höchst traurigen Prognose die meiste
Aufmerksamkeit. Sie ist bis jetzt ausschliesslich von französischen
Aerzten (Esquirol, Calmeil, Bayle, Delaye, Foville, Sc. Pinel etc.)
genauer studirt worden, mit deren Schilderung im Wesentlichen unsere
Beobachtungen übereinstimmen.

Diese Paralyse kommt niemals bei Geistesgesunden vor, d. h.
sie beruht auf einer Gehirnkrankheit, welche immer schwer genug
ist, um ein tieferes Irresein unter ihren Symptomen zu haben. Die

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[281/0295] Dritter Abschnitt. Von einigen wichtigen Complicationen des Irreseins. §. 129. Die bisher erörterten, namentlich die zuletzt betrachteten Formen psychischer Anomalieen sind zuweilen von schweren Störungen nament- lich gewissen schweren Nervensymptomen begleitet, die — obwohl mit der Gehirnkrankheit, die auch das Irresein ergibt, zunächst und unmittelbar zusammenhängend — doch solche Wichtigkeit, zum Theil auch eine solche Art von Selbständigkeit zeigen, dass sie als Compli- cationen der Geisteskrankheiten erscheinen. Wir wollen also hierunter nicht alle Erkrankungen verstehen, an denen die Irren leiden können; diese sind unzählig, da man bis jetzt kaum Ausschliessungsverhält- nisse der Gehirnkrankheiten kennt. Auch die hin und wieder ge- äusserte Meinung, dass Geisteskranke von epidemischen Krankheiten frei bleiben sollen, ward schon zu Pinels Zeit durch ein tödtliches typhöses Fieber, das in den Irren-Abtheilungen, wie in den übrigen Räumen des Hospitals herrschte, und neuerdings wieder in Paris durch die Cholera auffallend widerlegt. Sämmtliche Störungen, welche die specielle Pathologie kennt, kommen bei Irren vor; hier kann es sich nur von Aufzählung und Erörterung derjenigen Complicationen handeln, welche in ganz directem Zusammenhang mit dem Irresein stehen, jener schweren Störungen der Bewegung und Empfindung, welche, selbst Symptome einer schweren Erkrankung des Gehirns, ganz in die Geschichte des Irreseins selbst gehören und hier nur durch das Bedürfniss einer ausführlicheren Betrachtung von derselben äusserlich getrennt werden. §. 130. Unter diesen Störungen verdient die sogenannte allgemeine (unvollständige) Paralyse wegen ihrer Häufigkeit, der Eigenthüm- lichkeit ihres Verlaufs und ihrer höchst traurigen Prognose die meiste Aufmerksamkeit. Sie ist bis jetzt ausschliesslich von französischen Aerzten (Esquirol, Calmeil, Bayle, Delaye, Foville, Sc. Pinel etc.) genauer studirt worden, mit deren Schilderung im Wesentlichen unsere Beobachtungen übereinstimmen. Diese Paralyse kommt niemals bei Geistesgesunden vor, d. h. sie beruht auf einer Gehirnkrankheit, welche immer schwer genug ist, um ein tieferes Irresein unter ihren Symptomen zu haben. Die

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/295>, abgerufen am 28.11.2024.