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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Das Vorstellen und die Empfindung.
ein höchst deutliches, der objectiven Sinneswahrnehmung in allen Be-
ziehungen gleiches, und wie diese völlig nach aussen verlegtes Thä-
tigsein der Sinnorgane geweckt wird -- nämlich der eigentlichen
Hallucinationen. (S. §. 47.)

3) Ein Uebermass einwirkender Reize hat in beiden Gebieten
dieselben Folgen. Ein heftiger, plötzlicher Lichteindruck, ein sehr
starker Schall oder Geruch (z. B. Ammoniakgeruch) gibt eine sehr
intensive, massenhafte Empfindung mit einer blitzartigen Erschütterung
des Sinnes. Seine unmittelbare Lähmung kann die Folge sein, wie
man diess in einzelnen Fällen beim Gesichts- und Gehörsinn, beim
Hautsinn,*) in einem seltenen, von Graves erzählten Falle auch
beim Geruchsinn**) beobachtet hat. Kommt es aber auch nicht zur
Lähmung, so bleibt jedenfalls die Empfänglichkeit der Sinnesnerven
für alle andern schwächern Eindrücke auf einige Zeit vermindert und
auch noch nach erloschener Ursache dauert die angeregte Sinnes-
empfindung eine Zeit lang fort (Fortdauer des Sonnenbilds im Auge,
während man vom Sehen in die Sonne geblendet ist, Fortbrummen
des Kanonenschusses im Ohr etc.). So auch im Vorstellen. Im
Menschen werde durch einen starken Eindruck eine gewaltige Vor-
stellungsmasse gewisser Art plötzlich erregt, so kann auch hier die
Erschütterung in ihrer ersten Stärke schon Lähmung zur Folge haben
(die Fälle von schnellem Tod vom Gehirne aus durch heftige psy-
chische Einwirkungen); wenn aber auch nicht, so wird jedenfalls noch
lange, nachdem der Eindruck vorüber ist, der betreffende Vorstel-
lungscomplex fast die Alleinherrschaft im Bewusstsein haben und für
alles übrige Vorstellen bleibt auf geraume Zeit die Empfänglichkeit
bedeutend verringert. Schon auf diese Weise können erschütternde
Lebensereignisse die Seele veröden und verarmen.

§. 16.

4) Vorstellungen und Sinnesthätigkeiten -- auch hier sind die
Verhältnisse wieder am deutlichsten im Gesichtssinn -- können indes-
sen nicht unbestimmte Zeit lang ganz in derselben Weise andauern;
es ist vielmehr, als ob das Vorstellende oder Empfindende von dem-
selben Acte bald ermüdet würde, immer ein gewisser Wechsel
nothwendig. Wo zu solchem von aussen kein Anlass geboten ist,

*) Einen merkwürdigen Fall von Hautanästhesie nach starkem Temperatur-
wechsel s. im 3ten Band der Med. Chirurg. Transactions.
**) Archives generales. 1834. II. 6.

Das Vorstellen und die Empfindung.
ein höchst deutliches, der objectiven Sinneswahrnehmung in allen Be-
ziehungen gleiches, und wie diese völlig nach aussen verlegtes Thä-
tigsein der Sinnorgane geweckt wird — nämlich der eigentlichen
Hallucinationen. (S. §. 47.)

3) Ein Uebermass einwirkender Reize hat in beiden Gebieten
dieselben Folgen. Ein heftiger, plötzlicher Lichteindruck, ein sehr
starker Schall oder Geruch (z. B. Ammoniakgeruch) gibt eine sehr
intensive, massenhafte Empfindung mit einer blitzartigen Erschütterung
des Sinnes. Seine unmittelbare Lähmung kann die Folge sein, wie
man diess in einzelnen Fällen beim Gesichts- und Gehörsinn, beim
Hautsinn,*) in einem seltenen, von Graves erzählten Falle auch
beim Geruchsinn**) beobachtet hat. Kommt es aber auch nicht zur
Lähmung, so bleibt jedenfalls die Empfänglichkeit der Sinnesnerven
für alle andern schwächern Eindrücke auf einige Zeit vermindert und
auch noch nach erloschener Ursache dauert die angeregte Sinnes-
empfindung eine Zeit lang fort (Fortdauer des Sonnenbilds im Auge,
während man vom Sehen in die Sonne geblendet ist, Fortbrummen
des Kanonenschusses im Ohr etc.). So auch im Vorstellen. Im
Menschen werde durch einen starken Eindruck eine gewaltige Vor-
stellungsmasse gewisser Art plötzlich erregt, so kann auch hier die
Erschütterung in ihrer ersten Stärke schon Lähmung zur Folge haben
(die Fälle von schnellem Tod vom Gehirne aus durch heftige psy-
chische Einwirkungen); wenn aber auch nicht, so wird jedenfalls noch
lange, nachdem der Eindruck vorüber ist, der betreffende Vorstel-
lungscomplex fast die Alleinherrschaft im Bewusstsein haben und für
alles übrige Vorstellen bleibt auf geraume Zeit die Empfänglichkeit
bedeutend verringert. Schon auf diese Weise können erschütternde
Lebensereignisse die Seele veröden und verarmen.

§. 16.

4) Vorstellungen und Sinnesthätigkeiten — auch hier sind die
Verhältnisse wieder am deutlichsten im Gesichtssinn — können indes-
sen nicht unbestimmte Zeit lang ganz in derselben Weise andauern;
es ist vielmehr, als ob das Vorstellende oder Empfindende von dem-
selben Acte bald ermüdet würde, immer ein gewisser Wechsel
nothwendig. Wo zu solchem von aussen kein Anlass geboten ist,

*) Einen merkwürdigen Fall von Hautanästhesie nach starkem Temperatur-
wechsel s. im 3ten Band der Med. Chirurg. Transactions.
**) Archives générales. 1834. II. 6.
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[22/0036] Das Vorstellen und die Empfindung. ein höchst deutliches, der objectiven Sinneswahrnehmung in allen Be- ziehungen gleiches, und wie diese völlig nach aussen verlegtes Thä- tigsein der Sinnorgane geweckt wird — nämlich der eigentlichen Hallucinationen. (S. §. 47.) 3) Ein Uebermass einwirkender Reize hat in beiden Gebieten dieselben Folgen. Ein heftiger, plötzlicher Lichteindruck, ein sehr starker Schall oder Geruch (z. B. Ammoniakgeruch) gibt eine sehr intensive, massenhafte Empfindung mit einer blitzartigen Erschütterung des Sinnes. Seine unmittelbare Lähmung kann die Folge sein, wie man diess in einzelnen Fällen beim Gesichts- und Gehörsinn, beim Hautsinn, *) in einem seltenen, von Graves erzählten Falle auch beim Geruchsinn **) beobachtet hat. Kommt es aber auch nicht zur Lähmung, so bleibt jedenfalls die Empfänglichkeit der Sinnesnerven für alle andern schwächern Eindrücke auf einige Zeit vermindert und auch noch nach erloschener Ursache dauert die angeregte Sinnes- empfindung eine Zeit lang fort (Fortdauer des Sonnenbilds im Auge, während man vom Sehen in die Sonne geblendet ist, Fortbrummen des Kanonenschusses im Ohr etc.). So auch im Vorstellen. Im Menschen werde durch einen starken Eindruck eine gewaltige Vor- stellungsmasse gewisser Art plötzlich erregt, so kann auch hier die Erschütterung in ihrer ersten Stärke schon Lähmung zur Folge haben (die Fälle von schnellem Tod vom Gehirne aus durch heftige psy- chische Einwirkungen); wenn aber auch nicht, so wird jedenfalls noch lange, nachdem der Eindruck vorüber ist, der betreffende Vorstel- lungscomplex fast die Alleinherrschaft im Bewusstsein haben und für alles übrige Vorstellen bleibt auf geraume Zeit die Empfänglichkeit bedeutend verringert. Schon auf diese Weise können erschütternde Lebensereignisse die Seele veröden und verarmen. §. 16. 4) Vorstellungen und Sinnesthätigkeiten — auch hier sind die Verhältnisse wieder am deutlichsten im Gesichtssinn — können indes- sen nicht unbestimmte Zeit lang ganz in derselben Weise andauern; es ist vielmehr, als ob das Vorstellende oder Empfindende von dem- selben Acte bald ermüdet würde, immer ein gewisser Wechsel nothwendig. Wo zu solchem von aussen kein Anlass geboten ist, *) Einen merkwürdigen Fall von Hautanästhesie nach starkem Temperatur- wechsel s. im 3ten Band der Med. Chirurg. Transactions. **) Archives générales. 1834. II. 6.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/36>, abgerufen am 21.11.2024.