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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Aerzte, Geistliche, Wärter etc.
öffnungen, die höheren chirurgischen Geschäfte u. dergl. -- Die meisten
Anstalten besitzen ausserdem eigene Geistliche, welche den periodischen
Gottesdienst besorgen und die Kranken regelmässig besuchen, meist
in der Absicht, mit religiösen Mitteln die Genesung der Kranken zu
befördern. Es ist schon bemerkt (p. 371), bei wie wenigen Kranken
ein solches Vorhaben statthaft sein kann. Immer und überall dürfen
solche Versuche nur unter steter Beaufsichtigung und mit vorheriger
Instruction von Seiten der Aerzte gemacht werden, und es wäre
einer der bedeutendsten Missgriffe, auch nur einige Selbstständigkeit
in der Behandlung Gehirnkranker Laien zu überlassen, deren Auf-
fassung solcher Zustände ganz nothwendig eine einseitige sein muss.
Mit Recht haben desshalb auch in neuester Zeit Einige der ver-
dienstvollsten Irrenärzte (Nasse, Jessen u. A.) die Unterstützung der
psychischen Therapie durch Theologen noch mehr als bisher be-
schränkt wissen wollen. Sehr passend dagegen finden wir die An-
stellung eines Lehrers, der, ohne die Prätention heilsamer psycho-
logischer Einwirkungen, zum Unterrichte der Kranken, überhaupt zu
ihrer geistigen Beschäftigung und Zerstreuung verwendet wird.

Ein Oberwärter und eine Oberwärterin stehen dem niederen
Dienstpersonale vor. Zu Wärtern selbst können nur körperlich kräftige,
verständige und gutmüthige Menschen gebraucht werden, und es ist
oft schwer, die genügende Anzahl brauchbarer Leute zu bekommen.
Man rechnet im Durchschnitt auf 6--10 Kranke einen Wärter;
einzelne Kranke bedürfen eines eigenen, nur für ihre Person be-
stimmten Wärters. In manchen Anstalten wird der Wärterdienst von
den Brüdern oder Schwestern geistlicher Orden versehen, welcher
Einrichtung man im Ganzen mehr Nachtheile als Vortheile zuschreibt. --

Ausserdem ist in den Anstalten ein besonderes Verwaltungs-
Personal für die Oeconomie nothwendig.

§. 192.

Dazu, dass sich dieser, durch so viele Menschen und Bedürf-
nisse immer sehr complicirte Mechanismus einer Anstalt mit Ordnung
und ohne Geräusch bewege, dienen nicht nur geschriebene Statuten
für alles Personal, in denen die wohl umgränzten Pflichten jedes
Einzelnen klar und bündig ausgesprochen sind, in denen das ganze
äussere Thun und Lassen pünktlich regulirt und die Ordnung aller
Dinge vorgeschrieben ist. Die vernünftige Regel muss auch in Sitte
und Gewohnheit übergegangen sein, und das Beispiel der Oberen
muss den rechten Geist bis herab zum Untersten verbreiten. Es

Aerzte, Geistliche, Wärter etc.
öffnungen, die höheren chirurgischen Geschäfte u. dergl. — Die meisten
Anstalten besitzen ausserdem eigene Geistliche, welche den periodischen
Gottesdienst besorgen und die Kranken regelmässig besuchen, meist
in der Absicht, mit religiösen Mitteln die Genesung der Kranken zu
befördern. Es ist schon bemerkt (p. 371), bei wie wenigen Kranken
ein solches Vorhaben statthaft sein kann. Immer und überall dürfen
solche Versuche nur unter steter Beaufsichtigung und mit vorheriger
Instruction von Seiten der Aerzte gemacht werden, und es wäre
einer der bedeutendsten Missgriffe, auch nur einige Selbstständigkeit
in der Behandlung Gehirnkranker Laien zu überlassen, deren Auf-
fassung solcher Zustände ganz nothwendig eine einseitige sein muss.
Mit Recht haben desshalb auch in neuester Zeit Einige der ver-
dienstvollsten Irrenärzte (Nasse, Jessen u. A.) die Unterstützung der
psychischen Therapie durch Theologen noch mehr als bisher be-
schränkt wissen wollen. Sehr passend dagegen finden wir die An-
stellung eines Lehrers, der, ohne die Prätention heilsamer psycho-
logischer Einwirkungen, zum Unterrichte der Kranken, überhaupt zu
ihrer geistigen Beschäftigung und Zerstreuung verwendet wird.

Ein Oberwärter und eine Oberwärterin stehen dem niederen
Dienstpersonale vor. Zu Wärtern selbst können nur körperlich kräftige,
verständige und gutmüthige Menschen gebraucht werden, und es ist
oft schwer, die genügende Anzahl brauchbarer Leute zu bekommen.
Man rechnet im Durchschnitt auf 6—10 Kranke einen Wärter;
einzelne Kranke bedürfen eines eigenen, nur für ihre Person be-
stimmten Wärters. In manchen Anstalten wird der Wärterdienst von
den Brüdern oder Schwestern geistlicher Orden versehen, welcher
Einrichtung man im Ganzen mehr Nachtheile als Vortheile zuschreibt. —

Ausserdem ist in den Anstalten ein besonderes Verwaltungs-
Personal für die Oeconomie nothwendig.

§. 192.

Dazu, dass sich dieser, durch so viele Menschen und Bedürf-
nisse immer sehr complicirte Mechanismus einer Anstalt mit Ordnung
und ohne Geräusch bewege, dienen nicht nur geschriebene Statuten
für alles Personal, in denen die wohl umgränzten Pflichten jedes
Einzelnen klar und bündig ausgesprochen sind, in denen das ganze
äussere Thun und Lassen pünktlich regulirt und die Ordnung aller
Dinge vorgeschrieben ist. Die vernünftige Regel muss auch in Sitte
und Gewohnheit übergegangen sein, und das Beispiel der Oberen
muss den rechten Geist bis herab zum Untersten verbreiten. Es

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[393/0407] Aerzte, Geistliche, Wärter etc. öffnungen, die höheren chirurgischen Geschäfte u. dergl. — Die meisten Anstalten besitzen ausserdem eigene Geistliche, welche den periodischen Gottesdienst besorgen und die Kranken regelmässig besuchen, meist in der Absicht, mit religiösen Mitteln die Genesung der Kranken zu befördern. Es ist schon bemerkt (p. 371), bei wie wenigen Kranken ein solches Vorhaben statthaft sein kann. Immer und überall dürfen solche Versuche nur unter steter Beaufsichtigung und mit vorheriger Instruction von Seiten der Aerzte gemacht werden, und es wäre einer der bedeutendsten Missgriffe, auch nur einige Selbstständigkeit in der Behandlung Gehirnkranker Laien zu überlassen, deren Auf- fassung solcher Zustände ganz nothwendig eine einseitige sein muss. Mit Recht haben desshalb auch in neuester Zeit Einige der ver- dienstvollsten Irrenärzte (Nasse, Jessen u. A.) die Unterstützung der psychischen Therapie durch Theologen noch mehr als bisher be- schränkt wissen wollen. Sehr passend dagegen finden wir die An- stellung eines Lehrers, der, ohne die Prätention heilsamer psycho- logischer Einwirkungen, zum Unterrichte der Kranken, überhaupt zu ihrer geistigen Beschäftigung und Zerstreuung verwendet wird. Ein Oberwärter und eine Oberwärterin stehen dem niederen Dienstpersonale vor. Zu Wärtern selbst können nur körperlich kräftige, verständige und gutmüthige Menschen gebraucht werden, und es ist oft schwer, die genügende Anzahl brauchbarer Leute zu bekommen. Man rechnet im Durchschnitt auf 6—10 Kranke einen Wärter; einzelne Kranke bedürfen eines eigenen, nur für ihre Person be- stimmten Wärters. In manchen Anstalten wird der Wärterdienst von den Brüdern oder Schwestern geistlicher Orden versehen, welcher Einrichtung man im Ganzen mehr Nachtheile als Vortheile zuschreibt. — Ausserdem ist in den Anstalten ein besonderes Verwaltungs- Personal für die Oeconomie nothwendig. §. 192. Dazu, dass sich dieser, durch so viele Menschen und Bedürf- nisse immer sehr complicirte Mechanismus einer Anstalt mit Ordnung und ohne Geräusch bewege, dienen nicht nur geschriebene Statuten für alles Personal, in denen die wohl umgränzten Pflichten jedes Einzelnen klar und bündig ausgesprochen sind, in denen das ganze äussere Thun und Lassen pünktlich regulirt und die Ordnung aller Dinge vorgeschrieben ist. Die vernünftige Regel muss auch in Sitte und Gewohnheit übergegangen sein, und das Beispiel der Oberen muss den rechten Geist bis herab zum Untersten verbreiten. Es

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/407>, abgerufen am 23.11.2024.