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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Geruchs-Geschmackshallucinationen.
Anfangsstadien des Irreseins anzugehören. Fast immer sind es wid-
rige Gerüche, die die Kranken percipiren, Schwefelgeruch, Kohlen-
dampf, aashafter Gestank u. dergl. Der Wahn, in einer vergifteten
Atmosphäre zu leben, von Leichen umgeben zu sein u. dergl., ist
die häufige Folge dieser Hallucinationen. Leuret (l. c. p. 198) er-
zählt den Fall einer Frau, welche die entsetzlichen Gerüche, die sie
empfand, der Fäulniss gemordeter Leichen in den Souterrains der
Salpetriere zuschrieb; äusserlich dargebotene Gerüche unterschied sie
wohl und ward von ihnen wie früher afficirt. Wir haben einen ganz
ähnlichen Fall bei einem jungen Manne gesehen.

Sinogowitz *) erzählt folgendes interessante Beispiel eines Irre-
seins, das zum grössten Theile auf Geruchsphantasmen beruhte:

K., ein früher lebenslustiger und geselliger Mann, war seit einem Jahre all-
mählig nachdenklich, schweigsam, reizbar, menschenscheu geworden, gebrauchte
oft heimlich Arzneien und zeigte immer deutlicheren Argwohn gegen seine Um-
gebung. Endlich erklärte er öffentlich: "Ich fühle mich in hohem Grade krank,
durch eine, mein Innerstes zerstörende Fäulniss körperlich ganz zerrüttet. Meine
Umgebung behandelt mich desshalb mit Hohn und Verachtung und meidet meine
Nähe, weil ich einen verpestenden Geruch verbreite." Er führte ein einsames,
trauriges Leben, sein Wahn befestigte sich immer mehr, und er erklärte sich seine
Krankheit durch Ansteckung mit Rotzgift. Er reiste in eine fremde Stadt und
begab sich auf einen Spaziergang, um die Begegnenden zu prüfen, ob sie sich
auch mit Abscheu wegen seines übeln Geruchs von ihm abwenden würden. Als
zufällig ein Vorübergehender sein Taschentuch gebrauchte und ihn dabei ansah,
fuhr K. ihn heftig an, nannte ihn einen hartherzigen Spötter, einen lieblosen
Menschenverächter und gab ihm eine Ohrfeige. Er ward nun als geisteskrank
erkannt; man fand, dass er für äussere Gerüche unempfindlich war; er gab an,
nur seinen eigenen, dem Pferdeurin ähnlichen Gestank zu riechen und klagte
auch über dergleichen Geschmacksempfindungen. Der Kranke trieb dabei rück-
haltslos Onanie, fing bald an, über anhaltenden dumpfen Kopfschmerz zu klagen
und abzumagern, und ward endlich blödsinnig.

Geschmacksinn. In diesem Sinne sind wirkliche Halluci-
nationen von den Illusionen, der falschen Beurtheilung wirklicher
objectiver (durch Zungenbeleg, Anomalieen der Mundsäfte entstan-
dener) Geschmackseindrücke nicht zu unterscheiden. Auch hier sind
es gewöhnlich sehr unangenehme Geschmacksempfindungen, über
welche die Kranken klagen. Sie behaupten, Alles schmecke wider-
lich, metallisch, scharf, faulig, sandig, erdig u. dergl., und gründen
hierauf den Wahn einer Vergiftung, Hass gegen ihre Umgebung und
häufig den, wegen der baldigen übeln Folgen für den Organismus
immer so bedenklichen Entschluss der Nahrungsverweigerung. --

*) l. c. p. 297.
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Geruchs-Geschmackshallucinationen.
Anfangsstadien des Irreseins anzugehören. Fast immer sind es wid-
rige Gerüche, die die Kranken percipiren, Schwefelgeruch, Kohlen-
dampf, aashafter Gestank u. dergl. Der Wahn, in einer vergifteten
Atmosphäre zu leben, von Leichen umgeben zu sein u. dergl., ist
die häufige Folge dieser Hallucinationen. Leuret (l. c. p. 198) er-
zählt den Fall einer Frau, welche die entsetzlichen Gerüche, die sie
empfand, der Fäulniss gemordeter Leichen in den Souterrains der
Salpetrière zuschrieb; äusserlich dargebotene Gerüche unterschied sie
wohl und ward von ihnen wie früher afficirt. Wir haben einen ganz
ähnlichen Fall bei einem jungen Manne gesehen.

Sinogowitz *) erzählt folgendes interessante Beispiel eines Irre-
seins, das zum grössten Theile auf Geruchsphantasmen beruhte:

K., ein früher lebenslustiger und geselliger Mann, war seit einem Jahre all-
mählig nachdenklich, schweigsam, reizbar, menschenscheu geworden, gebrauchte
oft heimlich Arzneien und zeigte immer deutlicheren Argwohn gegen seine Um-
gebung. Endlich erklärte er öffentlich: „Ich fühle mich in hohem Grade krank,
durch eine, mein Innerstes zerstörende Fäulniss körperlich ganz zerrüttet. Meine
Umgebung behandelt mich desshalb mit Hohn und Verachtung und meidet meine
Nähe, weil ich einen verpestenden Geruch verbreite.“ Er führte ein einsames,
trauriges Leben, sein Wahn befestigte sich immer mehr, und er erklärte sich seine
Krankheit durch Ansteckung mit Rotzgift. Er reiste in eine fremde Stadt und
begab sich auf einen Spaziergang, um die Begegnenden zu prüfen, ob sie sich
auch mit Abscheu wegen seines übeln Geruchs von ihm abwenden würden. Als
zufällig ein Vorübergehender sein Taschentuch gebrauchte und ihn dabei ansah,
fuhr K. ihn heftig an, nannte ihn einen hartherzigen Spötter, einen lieblosen
Menschenverächter und gab ihm eine Ohrfeige. Er ward nun als geisteskrank
erkannt; man fand, dass er für äussere Gerüche unempfindlich war; er gab an,
nur seinen eigenen, dem Pferdeurin ähnlichen Gestank zu riechen und klagte
auch über dergleichen Geschmacksempfindungen. Der Kranke trieb dabei rück-
haltslos Onanie, fing bald an, über anhaltenden dumpfen Kopfschmerz zu klagen
und abzumagern, und ward endlich blödsinnig.

Geschmacksinn. In diesem Sinne sind wirkliche Halluci-
nationen von den Illusionen, der falschen Beurtheilung wirklicher
objectiver (durch Zungenbeleg, Anomalieen der Mundsäfte entstan-
dener) Geschmackseindrücke nicht zu unterscheiden. Auch hier sind
es gewöhnlich sehr unangenehme Geschmacksempfindungen, über
welche die Kranken klagen. Sie behaupten, Alles schmecke wider-
lich, metallisch, scharf, faulig, sandig, erdig u. dergl., und gründen
hierauf den Wahn einer Vergiftung, Hass gegen ihre Umgebung und
häufig den, wegen der baldigen übeln Folgen für den Organismus
immer so bedenklichen Entschluss der Nahrungsverweigerung. —

*) l. c. p. 297.
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[83/0097] Geruchs-Geschmackshallucinationen. Anfangsstadien des Irreseins anzugehören. Fast immer sind es wid- rige Gerüche, die die Kranken percipiren, Schwefelgeruch, Kohlen- dampf, aashafter Gestank u. dergl. Der Wahn, in einer vergifteten Atmosphäre zu leben, von Leichen umgeben zu sein u. dergl., ist die häufige Folge dieser Hallucinationen. Leuret (l. c. p. 198) er- zählt den Fall einer Frau, welche die entsetzlichen Gerüche, die sie empfand, der Fäulniss gemordeter Leichen in den Souterrains der Salpetrière zuschrieb; äusserlich dargebotene Gerüche unterschied sie wohl und ward von ihnen wie früher afficirt. Wir haben einen ganz ähnlichen Fall bei einem jungen Manne gesehen. Sinogowitz *) erzählt folgendes interessante Beispiel eines Irre- seins, das zum grössten Theile auf Geruchsphantasmen beruhte: K., ein früher lebenslustiger und geselliger Mann, war seit einem Jahre all- mählig nachdenklich, schweigsam, reizbar, menschenscheu geworden, gebrauchte oft heimlich Arzneien und zeigte immer deutlicheren Argwohn gegen seine Um- gebung. Endlich erklärte er öffentlich: „Ich fühle mich in hohem Grade krank, durch eine, mein Innerstes zerstörende Fäulniss körperlich ganz zerrüttet. Meine Umgebung behandelt mich desshalb mit Hohn und Verachtung und meidet meine Nähe, weil ich einen verpestenden Geruch verbreite.“ Er führte ein einsames, trauriges Leben, sein Wahn befestigte sich immer mehr, und er erklärte sich seine Krankheit durch Ansteckung mit Rotzgift. Er reiste in eine fremde Stadt und begab sich auf einen Spaziergang, um die Begegnenden zu prüfen, ob sie sich auch mit Abscheu wegen seines übeln Geruchs von ihm abwenden würden. Als zufällig ein Vorübergehender sein Taschentuch gebrauchte und ihn dabei ansah, fuhr K. ihn heftig an, nannte ihn einen hartherzigen Spötter, einen lieblosen Menschenverächter und gab ihm eine Ohrfeige. Er ward nun als geisteskrank erkannt; man fand, dass er für äussere Gerüche unempfindlich war; er gab an, nur seinen eigenen, dem Pferdeurin ähnlichen Gestank zu riechen und klagte auch über dergleichen Geschmacksempfindungen. Der Kranke trieb dabei rück- haltslos Onanie, fing bald an, über anhaltenden dumpfen Kopfschmerz zu klagen und abzumagern, und ward endlich blödsinnig. Geschmacksinn. In diesem Sinne sind wirkliche Halluci- nationen von den Illusionen, der falschen Beurtheilung wirklicher objectiver (durch Zungenbeleg, Anomalieen der Mundsäfte entstan- dener) Geschmackseindrücke nicht zu unterscheiden. Auch hier sind es gewöhnlich sehr unangenehme Geschmacksempfindungen, über welche die Kranken klagen. Sie behaupten, Alles schmecke wider- lich, metallisch, scharf, faulig, sandig, erdig u. dergl., und gründen hierauf den Wahn einer Vergiftung, Hass gegen ihre Umgebung und häufig den, wegen der baldigen übeln Folgen für den Organismus immer so bedenklichen Entschluss der Nahrungsverweigerung. — *) l. c. p. 297. 6*

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/97>, abgerufen am 22.11.2024.