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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Gehörs-Geruchs-Hallucinationen.
verborgen gehalten, bis sich einzelne Wahnvorstellungen vollkommen
fixirt haben. Man will sie besonders häufig in Verbindung mit Unter-
leibs- und Genitalienkrankheiten beobachtet haben; die anatomische
Deutung würde dieser Thatsache, wenn sie genau erwiesen würde,
entgegenkommen (Zusammenhang im Cerebellum). Man findet bei
den Gehörshallucinanten auch meistens noch viel abentheuerlichere
Gespinste von Unsinn, als die übrigen Phantasmen erzeugen, und
solche Kranke zeigen oft das sonderbarste, grillenhafteste Benehmen.
Sie antworten ihren Stimmen mit freundlichen oder drohenden Ge-
berden oder Worten, oft werden sie plötzlich ruhig und aufmerksam
gespannt, um zu horchen, und man sieht sie die bizarrsten und
gefährlichsten Handlungen begehen, die ihnen jene Stimmen anbefehlen.

"Ein junger Mann hatte seit sechs Monaten, nach einem Anfall hitziger
Manie, kein Wort gesprochen, keine willkührliche Bewegung ausgeführt, als
er eine volle Flasche ergriff und sie dem Wärter an den Kopf warf. Er blieb
unbeweglich und schweigsam und genas nach einigen Monaten. Ich fragte ihn, wess-
halb er mit der Flasche geworfen hätte? -- Weil ich, erwiederte er, eine Stimme
hörte, die mir sagte: Wenn du Einen tödtest, wirst du gerettet werden. Ich
hatte den Mann, den ich treffen wollte, nicht getödtet, also konnte sich mein
Schicksal nicht ändern, ich blieb schweigend und unbeweglich; übrigens wieder-
holte dieselbe Stimme ohne Unterlass: Rührst du dich, so bist du des Todes.
Diese Drohung war die Ursache meiner Unbeweglichkeit." (Esquirol.) Vgl. auch
bei diesem Beobachter den bekannten Fall des französischen Präfecten. l. c. I. p. 96.

Anderemale hören die Kranken himmlische Harmonieen, Sphären-
klang, Conzerte; häufig sind es Schimpfworte, Anklagen, lose Reden und
Unanständigkeiten, über die sich weibliche Kranke oft aufs Bitterste
beklagen. Bei den Gehörsillusionen werden vorhandene Geräusche
im Sinne der herrschenden Stimmung oder Wahnvorstellung travestirt,
z. B. ein Geräusch auf der Treppe wird den Gerichtsdienern zu-
geschrieben, welche den Kranken verhaften sollen u. dergl. m. *)

Die Ursprungsstelle dieser krankhaften Gehörsphänomene wird man am wahr-
scheinlichsten in den 4ten Ventrikel und seine Umgebung zu verlegen haben, unge-
achtet an anatomischen Gründen für eine solche Hypothese nicht viel vorliegt **).
In einigen Fällen konnten Gehörsphantasmen durch Verstopfen des äusseren Gehörs-
gangs sistirt werden; anderemale fand man sie bei Tauben. (S. oben.)

§. 53.

Geruchsinn. In diesem Sinne sind die Hallucinationen sel-
tener, als in den vorhin betrachteten, sie scheinen auch mehr den

*) In der "Erwartung" von Schiller sind die einfachen Gehörsillusionen des
Gesunden auf eine Art, die als Beispiel dienen kann, geschildert.
**) Foville behauptet, Verwachsungen der Oberfläche des cerebellum mit den
Häuten gefunden zu haben. Vgl. die Arbeiten von Bergmann.

Gehörs-Geruchs-Hallucinationen.
verborgen gehalten, bis sich einzelne Wahnvorstellungen vollkommen
fixirt haben. Man will sie besonders häufig in Verbindung mit Unter-
leibs- und Genitalienkrankheiten beobachtet haben; die anatomische
Deutung würde dieser Thatsache, wenn sie genau erwiesen würde,
entgegenkommen (Zusammenhang im Cerebellum). Man findet bei
den Gehörshallucinanten auch meistens noch viel abentheuerlichere
Gespinste von Unsinn, als die übrigen Phantasmen erzeugen, und
solche Kranke zeigen oft das sonderbarste, grillenhafteste Benehmen.
Sie antworten ihren Stimmen mit freundlichen oder drohenden Ge-
berden oder Worten, oft werden sie plötzlich ruhig und aufmerksam
gespannt, um zu horchen, und man sieht sie die bizarrsten und
gefährlichsten Handlungen begehen, die ihnen jene Stimmen anbefehlen.

„Ein junger Mann hatte seit sechs Monaten, nach einem Anfall hitziger
Manie, kein Wort gesprochen, keine willkührliche Bewegung ausgeführt, als
er eine volle Flasche ergriff und sie dem Wärter an den Kopf warf. Er blieb
unbeweglich und schweigsam und genas nach einigen Monaten. Ich fragte ihn, wess-
halb er mit der Flasche geworfen hätte? — Weil ich, erwiederte er, eine Stimme
hörte, die mir sagte: Wenn du Einen tödtest, wirst du gerettet werden. Ich
hatte den Mann, den ich treffen wollte, nicht getödtet, also konnte sich mein
Schicksal nicht ändern, ich blieb schweigend und unbeweglich; übrigens wieder-
holte dieselbe Stimme ohne Unterlass: Rührst du dich, so bist du des Todes.
Diese Drohung war die Ursache meiner Unbeweglichkeit.“ (Esquirol.) Vgl. auch
bei diesem Beobachter den bekannten Fall des französischen Präfecten. l. c. I. p. 96.

Anderemale hören die Kranken himmlische Harmonieen, Sphären-
klang, Conzerte; häufig sind es Schimpfworte, Anklagen, lose Reden und
Unanständigkeiten, über die sich weibliche Kranke oft aufs Bitterste
beklagen. Bei den Gehörsillusionen werden vorhandene Geräusche
im Sinne der herrschenden Stimmung oder Wahnvorstellung travestirt,
z. B. ein Geräusch auf der Treppe wird den Gerichtsdienern zu-
geschrieben, welche den Kranken verhaften sollen u. dergl. m. *)

Die Ursprungsstelle dieser krankhaften Gehörsphänomene wird man am wahr-
scheinlichsten in den 4ten Ventrikel und seine Umgebung zu verlegen haben, unge-
achtet an anatomischen Gründen für eine solche Hypothese nicht viel vorliegt **).
In einigen Fällen konnten Gehörsphantasmen durch Verstopfen des äusseren Gehörs-
gangs sistirt werden; anderemale fand man sie bei Tauben. (S. oben.)

§. 53.

Geruchsinn. In diesem Sinne sind die Hallucinationen sel-
tener, als in den vorhin betrachteten, sie scheinen auch mehr den

*) In der „Erwartung“ von Schiller sind die einfachen Gehörsillusionen des
Gesunden auf eine Art, die als Beispiel dienen kann, geschildert.
**) Foville behauptet, Verwachsungen der Oberfläche des cerebellum mit den
Häuten gefunden zu haben. Vgl. die Arbeiten von Bergmann.
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[82/0096] Gehörs-Geruchs-Hallucinationen. verborgen gehalten, bis sich einzelne Wahnvorstellungen vollkommen fixirt haben. Man will sie besonders häufig in Verbindung mit Unter- leibs- und Genitalienkrankheiten beobachtet haben; die anatomische Deutung würde dieser Thatsache, wenn sie genau erwiesen würde, entgegenkommen (Zusammenhang im Cerebellum). Man findet bei den Gehörshallucinanten auch meistens noch viel abentheuerlichere Gespinste von Unsinn, als die übrigen Phantasmen erzeugen, und solche Kranke zeigen oft das sonderbarste, grillenhafteste Benehmen. Sie antworten ihren Stimmen mit freundlichen oder drohenden Ge- berden oder Worten, oft werden sie plötzlich ruhig und aufmerksam gespannt, um zu horchen, und man sieht sie die bizarrsten und gefährlichsten Handlungen begehen, die ihnen jene Stimmen anbefehlen. „Ein junger Mann hatte seit sechs Monaten, nach einem Anfall hitziger Manie, kein Wort gesprochen, keine willkührliche Bewegung ausgeführt, als er eine volle Flasche ergriff und sie dem Wärter an den Kopf warf. Er blieb unbeweglich und schweigsam und genas nach einigen Monaten. Ich fragte ihn, wess- halb er mit der Flasche geworfen hätte? — Weil ich, erwiederte er, eine Stimme hörte, die mir sagte: Wenn du Einen tödtest, wirst du gerettet werden. Ich hatte den Mann, den ich treffen wollte, nicht getödtet, also konnte sich mein Schicksal nicht ändern, ich blieb schweigend und unbeweglich; übrigens wieder- holte dieselbe Stimme ohne Unterlass: Rührst du dich, so bist du des Todes. Diese Drohung war die Ursache meiner Unbeweglichkeit.“ (Esquirol.) Vgl. auch bei diesem Beobachter den bekannten Fall des französischen Präfecten. l. c. I. p. 96. Anderemale hören die Kranken himmlische Harmonieen, Sphären- klang, Conzerte; häufig sind es Schimpfworte, Anklagen, lose Reden und Unanständigkeiten, über die sich weibliche Kranke oft aufs Bitterste beklagen. Bei den Gehörsillusionen werden vorhandene Geräusche im Sinne der herrschenden Stimmung oder Wahnvorstellung travestirt, z. B. ein Geräusch auf der Treppe wird den Gerichtsdienern zu- geschrieben, welche den Kranken verhaften sollen u. dergl. m. *) Die Ursprungsstelle dieser krankhaften Gehörsphänomene wird man am wahr- scheinlichsten in den 4ten Ventrikel und seine Umgebung zu verlegen haben, unge- achtet an anatomischen Gründen für eine solche Hypothese nicht viel vorliegt **). In einigen Fällen konnten Gehörsphantasmen durch Verstopfen des äusseren Gehörs- gangs sistirt werden; anderemale fand man sie bei Tauben. (S. oben.) §. 53. Geruchsinn. In diesem Sinne sind die Hallucinationen sel- tener, als in den vorhin betrachteten, sie scheinen auch mehr den *) In der „Erwartung“ von Schiller sind die einfachen Gehörsillusionen des Gesunden auf eine Art, die als Beispiel dienen kann, geschildert. **) Foville behauptet, Verwachsungen der Oberfläche des cerebellum mit den Häuten gefunden zu haben. Vgl. die Arbeiten von Bergmann.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/96>, abgerufen am 23.11.2024.