Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819. Phaon. Nein, fürwahr, ich bin es nicht! Wenn ich dir Liebe schwur, es war nicht Täuschung; Ich liebte dich, so wie man Götter wohl, Wie man das Gute liebet und das Schöne. Mit Höhern, Sappho, halte du Gemeinschaft, Man steigt nicht ungestraft vom Göttermahle Herunter in den Kreis der Sterblichen. Der Arm, in dem die goldne Leyer ruhte, Er ist geweiht, er fasse Nied'res nicht. Sappho (abgewendet vor sich hin.) Hinab in Meeresgrund die goldne Leyer, Wird ihr Besitz um solchen Preis erkauft! Phaon. Ich taumelte in dumpfer Trunkenheit, Mit mir und mit der Welt im düstern Streite, Vergebens rief ich die Gefühle auf, Die ich in Schlummer glaubt' und die nicht waren; Du standst vor mir, ein unbegreiflich Bild, Zu dem's mich hin, von dem's mich fort Mit unsichtbaren Banden mächtig zog; Du warst -- zu niedrig glaubte dich mein Zorn, Zu hoch nennt die Besinnung dich -- für meine Liebe, Und nur das Gleiche fügt sich leicht und wohl. Da sah ich sie und hoch ge'n Himmel sprangen Die tiefen Quellen alle meines Innern, Die stockend vorher weigerten den Strahl. Phaon. Nein, fürwahr, ich bin es nicht! Wenn ich dir Liebe ſchwur, es war nicht Täuſchung; Ich liebte dich, ſo wie man Götter wohl, Wie man das Gute liebet und das Schöne. Mit Höhern, Sappho, halte du Gemeinſchaft, Man ſteigt nicht ungeſtraft vom Göttermahle Herunter in den Kreis der Sterblichen. Der Arm, in dem die goldne Leyer ruhte, Er iſt geweiht, er faſſe Nied'res nicht. Sappho (abgewendet vor ſich hin.) Hinab in Meeresgrund die goldne Leyer, Wird ihr Beſitz um ſolchen Preis erkauft! Phaon. Ich taumelte in dumpfer Trunkenheit, Mit mir und mit der Welt im düſtern Streite, Vergebens rief ich die Gefühle auf, Die ich in Schlummer glaubt' und die nicht waren; Du ſtandſt vor mir, ein unbegreiflich Bild, Zu dem's mich hin, von dem's mich fort Mit unſichtbaren Banden mächtig zog; Du warſt — zu niedrig glaubte dich mein Zorn, Zu hoch nennt die Beſinnung dich — für meine Liebe, Und nur das Gleiche fügt ſich leicht und wohl. Da ſah ich ſie und hoch ge'n Himmel ſprangen Die tiefen Quellen alle meines Innern, Die ſtockend vorher weigerten den Strahl. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0120" n="110"/> <sp who="#PHA"> <speaker><hi rendition="#g">Phaon</hi>.</speaker><lb/> <p>Nein, fürwahr, ich bin es nicht!<lb/> Wenn ich dir Liebe ſchwur, es war nicht Täuſchung;<lb/> Ich liebte dich, ſo wie man Götter wohl,<lb/> Wie man das Gute liebet und das Schöne.<lb/> Mit Höhern, Sappho, halte du Gemeinſchaft,<lb/> Man ſteigt nicht ungeſtraft vom Göttermahle<lb/> Herunter in den Kreis der Sterblichen.<lb/> Der Arm, in dem die goldne Leyer ruhte,<lb/> Er iſt geweiht, er faſſe Nied'res nicht.</p> </sp><lb/> <sp who="#SAP"> <speaker> <hi rendition="#g">Sappho</hi> </speaker> <stage>(abgewendet vor ſich hin.)</stage><lb/> <p>Hinab in Meeresgrund die goldne Leyer,<lb/> Wird ihr Beſitz um ſolchen Preis erkauft!</p> </sp><lb/> <sp who="#PHA"> <speaker><hi rendition="#g">Phaon</hi>.</speaker><lb/> <p>Ich taumelte in dumpfer Trunkenheit,<lb/> Mit mir und mit der Welt im düſtern Streite,<lb/> Vergebens rief ich die Gefühle auf,<lb/> Die ich in Schlummer glaubt' und die nicht waren;<lb/> Du ſtandſt vor mir, ein unbegreiflich Bild,<lb/> Zu dem's mich hin, von dem's mich fort<lb/> Mit unſichtbaren Banden mächtig zog;<lb/> Du warſt — zu <hi rendition="#g">niedrig</hi> glaubte dich mein Zorn,<lb/> Zu <hi rendition="#g">hoch</hi> nennt die Beſinnung dich — für meine<lb/> Liebe,<lb/> Und nur das Gleiche fügt ſich leicht und wohl.<lb/> Da ſah ich <hi rendition="#g">ſie</hi> und hoch ge'n Himmel ſprangen<lb/> Die tiefen Quellen alle meines Innern,<lb/> Die ſtockend vorher weigerten den Strahl.<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0120]
Phaon.
Nein, fürwahr, ich bin es nicht!
Wenn ich dir Liebe ſchwur, es war nicht Täuſchung;
Ich liebte dich, ſo wie man Götter wohl,
Wie man das Gute liebet und das Schöne.
Mit Höhern, Sappho, halte du Gemeinſchaft,
Man ſteigt nicht ungeſtraft vom Göttermahle
Herunter in den Kreis der Sterblichen.
Der Arm, in dem die goldne Leyer ruhte,
Er iſt geweiht, er faſſe Nied'res nicht.
Sappho (abgewendet vor ſich hin.)
Hinab in Meeresgrund die goldne Leyer,
Wird ihr Beſitz um ſolchen Preis erkauft!
Phaon.
Ich taumelte in dumpfer Trunkenheit,
Mit mir und mit der Welt im düſtern Streite,
Vergebens rief ich die Gefühle auf,
Die ich in Schlummer glaubt' und die nicht waren;
Du ſtandſt vor mir, ein unbegreiflich Bild,
Zu dem's mich hin, von dem's mich fort
Mit unſichtbaren Banden mächtig zog;
Du warſt — zu niedrig glaubte dich mein Zorn,
Zu hoch nennt die Beſinnung dich — für meine
Liebe,
Und nur das Gleiche fügt ſich leicht und wohl.
Da ſah ich ſie und hoch ge'n Himmel ſprangen
Die tiefen Quellen alle meines Innern,
Die ſtockend vorher weigerten den Strahl.
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Zitationshilfe: | Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819/120>, abgerufen am 16.02.2025. |