Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.Du süßes Wesen! Du hattest Recht, die Lehre galt auch dir! (aufstehend.) Warum so stumm noch immer und so schüchtern? Du warst doch sonst nicht so. Was macht dich zagen? Nicht Sappho, die Gebieth'rinn, steht vor dir, Die Freundinn Sappho spricht mit dir, Melitta! Der Stolz, die Ehrbegier, des Zornes Stachel Und was sonst schlimm an deiner Freundinn war, Es ist mit ihr nach Hause nicht gekehret; Im Schoos der Fluthen hab' ich es versenkt, Als ich an seiner Seite sie durchschiffte. Das eben ist der Liebe Zaubermacht, Daß sie veredelt, was ihr Hauch berührt, Der Sonne ähnlich, deren gold'ner Strahl Gewitterwolken selbst in Gold verwandelt. Hab' ich dich je mit rascher Rede, je Mit bitterm Wort gekränkt, o so verzeih! In Zukunft wollen wir als traute Schwestern In seiner Nähe leben, gleichgepaart, Allein durch seine Liebe unterschieden. O, ich will gut noch werden, fromm und gut! Melitta. Bist du's nicht jetzt, und warst du es nicht immer? Sappho. Ja gut, wie man so gut nennt, was nicht schlimm! Doch g'nügt so wenig für so hohen Lohn? Glaubst du, er wird sich glücklich fühlen, Mädchen? Du ſüßes Weſen! Du hatteſt Recht, die Lehre galt auch dir! (aufſtehend.) Warum ſo ſtumm noch immer und ſo ſchüchtern? Du warſt doch ſonſt nicht ſo. Was macht dich zagen? Nicht Sappho, die Gebieth'rinn, ſteht vor dir, Die Freundinn Sappho ſpricht mit dir, Melitta! Der Stolz, die Ehrbegier, des Zornes Stachel Und was ſonſt ſchlimm an deiner Freundinn war, Es iſt mit ihr nach Hauſe nicht gekehret; Im Schoos der Fluthen hab' ich es verſenkt, Als ich an ſeiner Seite ſie durchſchiffte. Das eben iſt der Liebe Zaubermacht, Daß ſie veredelt, was ihr Hauch berührt, Der Sonne ähnlich, deren gold'ner Strahl Gewitterwolken ſelbſt in Gold verwandelt. Hab' ich dich je mit raſcher Rede, je Mit bitterm Wort gekränkt, o ſo verzeih! In Zukunft wollen wir als traute Schweſtern In ſeiner Nähe leben, gleichgepaart, Allein durch ſeine Liebe unterſchieden. O, ich will gut noch werden, fromm und gut! Melitta. Biſt du's nicht jetzt, und warſt du es nicht immer? Sappho. Ja gut, wie man ſo gut nennt, was nicht ſchlimm! Doch g'nügt ſo wenig für ſo hohen Lohn? Glaubſt du, er wird ſich glücklich fühlen, Mädchen? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#SAP"> <pb facs="#f0031" n="21"/> <p><hi rendition="#right">Du ſüßes Weſen!</hi><lb/> Du hatteſt Recht, die Lehre galt auch dir!</p><lb/> <stage>(aufſtehend.)</stage><lb/> <p>Warum ſo ſtumm noch immer und ſo ſchüchtern?<lb/> Du warſt doch ſonſt nicht ſo. Was macht dich zagen?<lb/> Nicht Sappho, die Gebieth'rinn, ſteht vor dir,<lb/> Die Freundinn Sappho ſpricht mit dir, Melitta!<lb/> Der Stolz, die Ehrbegier, des Zornes Stachel<lb/> Und was ſonſt ſchlimm an deiner Freundinn war,<lb/> Es iſt mit ihr nach Hauſe nicht gekehret;<lb/> Im Schoos der Fluthen hab' ich es verſenkt,<lb/> Als ich an ſeiner Seite ſie durchſchiffte.<lb/> Das eben iſt der Liebe Zaubermacht,<lb/> Daß ſie veredelt, was ihr Hauch berührt,<lb/> Der Sonne ähnlich, deren gold'ner Strahl<lb/> Gewitterwolken ſelbſt in Gold verwandelt.<lb/> Hab' ich dich je mit raſcher Rede, je<lb/> Mit bitterm Wort gekränkt, o ſo verzeih!<lb/> In Zukunft wollen wir als traute Schweſtern<lb/> In ſeiner Nähe leben, gleichgepaart,<lb/> Allein durch ſeine Liebe unterſchieden.<lb/> O, ich will gut noch werden, fromm und gut!</p> </sp><lb/> <sp who="#MEL"> <speaker><hi rendition="#g">Melitta</hi>.</speaker><lb/> <p>Biſt du's nicht jetzt, und warſt du es nicht immer?</p> </sp><lb/> <sp who="#SAP"> <speaker><hi rendition="#g">Sappho</hi>.</speaker><lb/> <p>Ja gut, wie man ſo gut nennt, was nicht ſchlimm!<lb/> Doch g'nügt ſo wenig für ſo hohen Lohn?<lb/> Glaubſt du, er wird ſich glücklich fühlen, Mädchen?</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0031]
Du ſüßes Weſen!
Du hatteſt Recht, die Lehre galt auch dir!
(aufſtehend.)
Warum ſo ſtumm noch immer und ſo ſchüchtern?
Du warſt doch ſonſt nicht ſo. Was macht dich zagen?
Nicht Sappho, die Gebieth'rinn, ſteht vor dir,
Die Freundinn Sappho ſpricht mit dir, Melitta!
Der Stolz, die Ehrbegier, des Zornes Stachel
Und was ſonſt ſchlimm an deiner Freundinn war,
Es iſt mit ihr nach Hauſe nicht gekehret;
Im Schoos der Fluthen hab' ich es verſenkt,
Als ich an ſeiner Seite ſie durchſchiffte.
Das eben iſt der Liebe Zaubermacht,
Daß ſie veredelt, was ihr Hauch berührt,
Der Sonne ähnlich, deren gold'ner Strahl
Gewitterwolken ſelbſt in Gold verwandelt.
Hab' ich dich je mit raſcher Rede, je
Mit bitterm Wort gekränkt, o ſo verzeih!
In Zukunft wollen wir als traute Schweſtern
In ſeiner Nähe leben, gleichgepaart,
Allein durch ſeine Liebe unterſchieden.
O, ich will gut noch werden, fromm und gut!
Melitta.
Biſt du's nicht jetzt, und warſt du es nicht immer?
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Ja gut, wie man ſo gut nennt, was nicht ſchlimm!
Doch g'nügt ſo wenig für ſo hohen Lohn?
Glaubſt du, er wird ſich glücklich fühlen, Mädchen?
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