Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819. Melitta. Was fehlt dir? Bist du krank, Gebietherinn? Sappho. Da steh' ich an dem Rand der weiten Kluft, Die zwischen ihm und mir verschlingend gähnt; Ich seh' das gold'ne Land herüber winken, Mein Aug' erreicht es, aber nicht mein Fuß! -- Weh dem, den aus der Seinen stillem Kreise, Des Ruhms, der Ehrsucht eitler Schatten lockt! Ein wildbewegtes Meer durchschiffet er Auf leichtgefügtem Kahn. Da grünt kein Baum, Da sprosset keine Saat und keine Blume, Ringsum die graue Unermeßlichkeit. Von ferne nur sieht er die heit're Küste, Und mit der Wogen Brandung dumpf vermengt, Tönt ihm die Stimme seiner Lieben zu. Besinnt er endlich sich, und kehrt zurück, Und sucht der Heimath leichtverlass'ne Fluren, Da ist kein Lenz mehr, ach! und keine Blume, (Den Kranz abnehmend und wehmüthig betrachtend.) Nur dürre Blätter rauschen um ihn her! Melitta. Der schöne Kranz! Wie lohnt so hohe Zier! Von Tausenden gesucht und nicht errungen. Sappho. Von Tausenden gesucht und nicht errungen! Nicht wahr, Melitta? Nicht wahr, liebes Mädchen? Von Tausenden gesucht und nicht errungen! Melitta. Was fehlt dir? Biſt du krank, Gebietherinn? Sappho. Da ſteh' ich an dem Rand der weiten Kluft, Die zwiſchen ihm und mir verſchlingend gähnt; Ich ſeh' das gold'ne Land herüber winken, Mein Aug' erreicht es, aber nicht mein Fuß! — Weh dem, den aus der Seinen ſtillem Kreiſe, Des Ruhms, der Ehrſucht eitler Schatten lockt! Ein wildbewegtes Meer durchſchiffet er Auf leichtgefügtem Kahn. Da grünt kein Baum, Da ſproſſet keine Saat und keine Blume, Ringsum die graue Unermeßlichkeit. Von ferne nur ſieht er die heit're Küſte, Und mit der Wogen Brandung dumpf vermengt, Tönt ihm die Stimme ſeiner Lieben zu. Beſinnt er endlich ſich, und kehrt zurück, Und ſucht der Heimath leichtverlaſſ'ne Fluren, Da iſt kein Lenz mehr, ach! und keine Blume, (Den Kranz abnehmend und wehmüthig betrachtend.) Nur dürre Blätter rauſchen um ihn her! Melitta. Der ſchöne Kranz! Wie lohnt ſo hohe Zier! Von Tauſenden geſucht und nicht errungen. Sappho. Von Tauſenden geſucht und nicht errungen! Nicht wahr, Melitta? Nicht wahr, liebes Mädchen? Von Tauſenden geſucht und nicht errungen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0033" n="23"/> <sp who="#MEL"> <speaker><hi rendition="#g">Melitta</hi>.</speaker><lb/> <p>Was fehlt dir? Biſt du krank, Gebietherinn?</p> </sp><lb/> <sp who="#SAP"> <speaker><hi rendition="#g">Sappho</hi>.</speaker><lb/> <p>Da ſteh' ich an dem Rand der weiten Kluft,<lb/> Die zwiſchen ihm und mir verſchlingend gähnt;<lb/> Ich ſeh' das gold'ne Land herüber winken,<lb/> Mein Aug' erreicht es, aber nicht mein Fuß! —</p><lb/> <p>Weh dem, den aus der Seinen ſtillem Kreiſe,<lb/> Des Ruhms, der Ehrſucht eitler Schatten lockt!<lb/> Ein wildbewegtes Meer durchſchiffet er<lb/> Auf leichtgefügtem Kahn. Da grünt kein Baum,<lb/> Da ſproſſet keine Saat und keine Blume,<lb/> Ringsum die graue Unermeßlichkeit.<lb/> Von ferne nur ſieht er die heit're Küſte,<lb/> Und mit der Wogen Brandung dumpf vermengt,<lb/> Tönt ihm die Stimme ſeiner Lieben zu.<lb/> Beſinnt er endlich ſich, und kehrt zurück,<lb/> Und ſucht der Heimath leichtverlaſſ'ne Fluren,<lb/> Da iſt kein Lenz mehr, ach! und keine Blume,</p><lb/> <stage>(Den Kranz abnehmend und wehmüthig betrachtend.)</stage><lb/> <p>Nur dürre Blätter rauſchen um ihn her!</p> </sp><lb/> <sp who="#MEL"> <speaker><hi rendition="#g">Melitta</hi>.</speaker><lb/> <p>Der ſchöne Kranz! Wie lohnt ſo hohe Zier!<lb/> Von Tauſenden geſucht und nicht errungen.</p> </sp><lb/> <sp who="#SAP"> <speaker><hi rendition="#g">Sappho</hi>.</speaker><lb/> <p>Von Tauſenden geſucht und nicht errungen!<lb/> Nicht wahr, Melitta? Nicht wahr, liebes Mädchen?<lb/> Von Tauſenden geſucht und <hi rendition="#g">nicht</hi> errungen!</p><lb/> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0033]
Melitta.
Was fehlt dir? Biſt du krank, Gebietherinn?
Sappho.
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Ich ſeh' das gold'ne Land herüber winken,
Mein Aug' erreicht es, aber nicht mein Fuß! —
Weh dem, den aus der Seinen ſtillem Kreiſe,
Des Ruhms, der Ehrſucht eitler Schatten lockt!
Ein wildbewegtes Meer durchſchiffet er
Auf leichtgefügtem Kahn. Da grünt kein Baum,
Da ſproſſet keine Saat und keine Blume,
Ringsum die graue Unermeßlichkeit.
Von ferne nur ſieht er die heit're Küſte,
Und mit der Wogen Brandung dumpf vermengt,
Tönt ihm die Stimme ſeiner Lieben zu.
Beſinnt er endlich ſich, und kehrt zurück,
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Da iſt kein Lenz mehr, ach! und keine Blume,
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Von Tauſenden geſucht und nicht errungen!
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