Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819. Sappho. Es ist ein liebes Kind. Phaon. So scheint's, o ja! Sappho. Die Liebste mir von meinen Dienerinnen, Von meinen Kindern möcht' ich sagen, denn Ich habe stets als Kinder sie geliebt. Wenn ich die Sklavenbande nicht zerreiße, So ist es nur, da die Natur uns süß're Versagt, um jene Aeltern-, Heimathlosen Nicht vor der Zeit dem Aug' der Lehrerinn, Der Mutter zarter Sorgfalt zu entziehn. So war ich's stets gewohnt, und in dem Kreise Von Mytilenes besten Bürgerinnen Ist Manche, die in freudiger Erinn'rung, Sich Sappho's Werk aus frühern Tagen nennt. Phaon. Recht schön! recht schön! Sappho. Von all den Mädchen, Die je ein spielend Glück mir zugeführt, War keine theurer mir, als sie, Melitta, Das liebe Mädchen mit dem stillen Sinn. Obschon nicht hohen Geist's, von mäß'gen Gaben Und unbehülflich für der Künste Uebung, War sie mir doch vor andern lieb und werth, Durch anspruchslofes, fromm bescheid'nes Wesen, Sappho. Es iſt ein liebes Kind. Phaon. So ſcheint's, o ja! Sappho. Die Liebſte mir von meinen Dienerinnen, Von meinen Kindern möcht' ich ſagen, denn Ich habe ſtets als Kinder ſie geliebt. Wenn ich die Sklavenbande nicht zerreiße, So iſt es nur, da die Natur uns ſüß're Verſagt, um jene Aeltern-, Heimathloſen Nicht vor der Zeit dem Aug' der Lehrerinn, Der Mutter zarter Sorgfalt zu entziehn. So war ich's ſtets gewohnt, und in dem Kreiſe Von Mytilenes beſten Bürgerinnen Iſt Manche, die in freudiger Erinn'rung, Sich Sappho's Werk aus frühern Tagen nennt. Phaon. Recht ſchön! recht ſchön! Sappho. Von all den Mädchen, Die je ein ſpielend Glück mir zugeführt, War keine theurer mir, als ſie, Melitta, Das liebe Mädchen mit dem ſtillen Sinn. Obſchon nicht hohen Geiſt's, von mäß'gen Gaben Und unbehülflich für der Künſte Uebung, War ſie mir doch vor andern lieb und werth, Durch anſpruchslofes, fromm beſcheid'nes Weſen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0056" n="46"/> <sp who="#SAP"> <speaker><hi rendition="#g">Sappho</hi>.</speaker><lb/> <p>Es iſt ein liebes Kind.</p> </sp><lb/> <sp who="#PHA"> <speaker><hi rendition="#g">Phaon</hi>.</speaker><lb/> <p>So ſcheint's, o ja!</p> </sp><lb/> <sp who="#SAP"> <speaker><hi rendition="#g">Sappho</hi>.</speaker><lb/> <p>Die Liebſte mir von meinen Dienerinnen,<lb/> Von meinen <hi rendition="#g">Kindern</hi> möcht' ich ſagen, denn<lb/> Ich habe ſtets als Kinder ſie geliebt.<lb/> Wenn ich die Sklavenbande nicht zerreiße,<lb/> So iſt es nur, da die Natur uns ſüß're<lb/> Verſagt, um jene Aeltern-, Heimathloſen<lb/> Nicht vor der Zeit dem Aug' der Lehrerinn,<lb/> Der Mutter zarter Sorgfalt zu entziehn.<lb/> So war ich's ſtets gewohnt, und in dem Kreiſe<lb/> Von Mytilenes beſten Bürgerinnen<lb/> Iſt Manche, die in freudiger Erinn'rung,<lb/> Sich Sappho's Werk aus frühern Tagen nennt.</p> </sp><lb/> <sp who="#PHA"> <speaker><hi rendition="#g">Phaon</hi>.</speaker><lb/> <p>Recht ſchön! recht ſchön!</p> </sp><lb/> <sp who="#SAP"> <speaker><hi rendition="#g">Sappho</hi>.</speaker><lb/> <p>Von all den Mädchen,<lb/> Die je ein ſpielend Glück mir zugeführt,<lb/> War keine theurer mir, als ſie, Melitta,<lb/> Das liebe Mädchen mit dem ſtillen Sinn.<lb/> Obſchon nicht hohen Geiſt's, von mäß'gen Gaben<lb/> Und unbehülflich für der Künſte Uebung,<lb/> War ſie mir doch vor andern lieb und werth,<lb/> Durch anſpruchslofes, fromm beſcheid'nes Weſen,<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0056]
Sappho.
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Phaon.
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Sappho.
Die Liebſte mir von meinen Dienerinnen,
Von meinen Kindern möcht' ich ſagen, denn
Ich habe ſtets als Kinder ſie geliebt.
Wenn ich die Sklavenbande nicht zerreiße,
So iſt es nur, da die Natur uns ſüß're
Verſagt, um jene Aeltern-, Heimathloſen
Nicht vor der Zeit dem Aug' der Lehrerinn,
Der Mutter zarter Sorgfalt zu entziehn.
So war ich's ſtets gewohnt, und in dem Kreiſe
Von Mytilenes beſten Bürgerinnen
Iſt Manche, die in freudiger Erinn'rung,
Sich Sappho's Werk aus frühern Tagen nennt.
Phaon.
Recht ſchön! recht ſchön!
Sappho.
Von all den Mädchen,
Die je ein ſpielend Glück mir zugeführt,
War keine theurer mir, als ſie, Melitta,
Das liebe Mädchen mit dem ſtillen Sinn.
Obſchon nicht hohen Geiſt's, von mäß'gen Gaben
Und unbehülflich für der Künſte Uebung,
War ſie mir doch vor andern lieb und werth,
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