Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.
Welch launenvolles Nichts ihn an sie zog, Das, schnell entschwunden so wie schnell geboren, Der Vorwurf wie der Vorsatz nicht erreicht? Wer heißt den Maßstab denn für sein Gefühl In dieser tiefbewegten Brust mich suchen? Nach Frauenglut mißt Männerliebe nicht, Wer Liebe kennt und Leben, Mann und Frau. Gar wechselnd ist des Mannes rascher Sinn, Dem Leben unterthan, dem wechselnden. Frey tritt er in des Daseyns offne Bahn, Vom Morgenroth der Hoffnung rings umflossen, Mit Muth und Stärke, wie mit Schild und Schwert, Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüstet. Zu eng dünkt ihm des Innern stille Welt, Nach außen geht sein rastlos, wildes Streben; Und findet er die Lieb', bückt er sich wohl, Das holde Blümchen von dem Grund zu lesen, Besieht es, freut sich sein und steckt's dann kal[t] Zu andern Siegeszeichen auf den Helm. Er kennet nicht die stille, mächt'ge Glut, Die Liebe weckt in eines Weibes Busen; Wie all ihr Seyn, ihr Denken und Begehren Um diesen einz'gen Punkt sich einzig dreht, Wie alle Wünsche, jungen Vögeln gleich, Die angstvoll ihrer Mutter Nest umflattern, Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab Mit furchtsamer Beklemmung schüchtern hüthen; Das ganze Leben als ein Edelstein C 2
Welch launenvolles Nichts ihn an ſie zog, Das, ſchnell entſchwunden ſo wie ſchnell geboren, Der Vorwurf wie der Vorſatz nicht erreicht? Wer heißt den Maßſtab denn für ſein Gefühl In dieſer tiefbewegten Bruſt mich ſuchen? Nach Frauenglut mißt Männerliebe nicht, Wer Liebe kennt und Leben, Mann und Frau. Gar wechſelnd iſt des Mannes raſcher Sinn, Dem Leben unterthan, dem wechſelnden. Frey tritt er in des Daſeyns offne Bahn, Vom Morgenroth der Hoffnung rings umfloſſen, Mit Muth und Stärke, wie mit Schild und Schwert, Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüſtet. Zu eng dünkt ihm des Innern ſtille Welt, Nach außen geht ſein raſtlos, wildes Streben; Und findet er die Lieb', bückt er ſich wohl, Das holde Blümchen von dem Grund zu leſen, Beſieht es, freut ſich ſein und ſteckt's dann kal[t] Zu andern Siegeszeichen auf den Helm. Er kennet nicht die ſtille, mächt'ge Glut, Die Liebe weckt in eines Weibes Buſen; Wie all ihr Seyn, ihr Denken und Begehren Um dieſen einz'gen Punkt ſich einzig dreht, Wie alle Wünſche, jungen Vögeln gleich, Die angſtvoll ihrer Mutter Neſt umflattern, Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab Mit furchtſamer Beklemmung ſchüchtern hüthen; Das ganze Leben als ein Edelſtein C 2
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Welch launenvolles Nichts ihn an ſie zog,
Das, ſchnell entſchwunden ſo wie ſchnell geboren,
Der Vorwurf wie der Vorſatz nicht erreicht?
Wer heißt den Maßſtab denn für ſein Gefühl
In dieſer tiefbewegten Bruſt mich ſuchen?
Nach Frauenglut mißt Männerliebe nicht,
Wer Liebe kennt und Leben, Mann und Frau.
Gar wechſelnd iſt des Mannes raſcher Sinn,
Dem Leben unterthan, dem wechſelnden.
Frey tritt er in des Daſeyns offne Bahn,
Vom Morgenroth der Hoffnung rings umfloſſen,
Mit Muth und Stärke, wie mit Schild und Schwert,
Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüſtet.
Zu eng dünkt ihm des Innern ſtille Welt,
Nach außen geht ſein raſtlos, wildes Streben;
Und findet er die Lieb', bückt er ſich wohl,
Das holde Blümchen von dem Grund zu leſen,
Beſieht es, freut ſich ſein und ſteckt's dann kalt
Zu andern Siegeszeichen auf den Helm.
Er kennet nicht die ſtille, mächt'ge Glut,
Die Liebe weckt in eines Weibes Buſen;
Wie all ihr Seyn, ihr Denken und Begehren
Um dieſen einz'gen Punkt ſich einzig dreht,
Wie alle Wünſche, jungen Vögeln gleich,
Die angſtvoll ihrer Mutter Neſt umflattern,
Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab
Mit furchtſamer Beklemmung ſchüchtern hüthen;
Das ganze Leben als ein Edelſtein
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Zitationshilfe: | Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819/61>, abgerufen am 16.02.2025. |