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Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ist noch früh am Morgen, fuhr er fort, wobei er in die Uhrtasche griff, in der sich freilich keine Uhr befand. -- Ich zog die meine, es war kaum 9 Uhr. -- Wir haben Zeit, und fast kommt mich die Lust zu schwatzen an. Er war während des Letzten zusehends ungezwungener geworden. Seine Gestalt verlängerte sich. Er nahm mir ohne zu große Umstünde den Hut aus der Hand und legte ihn aufs Bette, schlug sitzend ein Bein über das andere und nahm überhaupt die Lage eines mit Bequemlichkeit Erzählenden an.

Sie haben -- hob er an -- ohne Zweifel von dem Hofrathe -- gehört? Hier nannte er den Namen eines Staatsmannes, der in der Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter dem bescheidenen Titel eines Bureauchefs einen ungeheuren, beinahe Minister-ähnlichen Einfluß ausgeübt hatte. Ich bejahte meine Kenntniß des Mannes. Er war mein Vater, fuhr er fort. -- Sein Vater? des alten Spielmanns? des Bettlers? Der Einflußreiche, der Mächtige, sein Vater? Der Alte schien mein Erstaunen nicht zu bemerken, sondern spann, sichtbar vergnügt, den Faden seiner Erzählung weiter. Ich war der Mittlere von drei Brüdern, die in Staatsdiensten hoch hinauf kamen, nun aber schon beide todt sind; ich allein lebe noch, sagte er und zupfte dabei an seinen fadenscheinigen Beinkleidern, mit niedergeschlagenen Augen einzelne Federchen davon herablesend. Mein Vater war ehrgeizig und heftig. Meine Brüder thaten ihm genug. Mich nannte man einen langsamen Kopf.

ist noch früh am Morgen, fuhr er fort, wobei er in die Uhrtasche griff, in der sich freilich keine Uhr befand. — Ich zog die meine, es war kaum 9 Uhr. — Wir haben Zeit, und fast kommt mich die Lust zu schwatzen an. Er war während des Letzten zusehends ungezwungener geworden. Seine Gestalt verlängerte sich. Er nahm mir ohne zu große Umstünde den Hut aus der Hand und legte ihn aufs Bette, schlug sitzend ein Bein über das andere und nahm überhaupt die Lage eines mit Bequemlichkeit Erzählenden an.

Sie haben — hob er an — ohne Zweifel von dem Hofrathe — gehört? Hier nannte er den Namen eines Staatsmannes, der in der Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter dem bescheidenen Titel eines Bureauchefs einen ungeheuren, beinahe Minister-ähnlichen Einfluß ausgeübt hatte. Ich bejahte meine Kenntniß des Mannes. Er war mein Vater, fuhr er fort. — Sein Vater? des alten Spielmanns? des Bettlers? Der Einflußreiche, der Mächtige, sein Vater? Der Alte schien mein Erstaunen nicht zu bemerken, sondern spann, sichtbar vergnügt, den Faden seiner Erzählung weiter. Ich war der Mittlere von drei Brüdern, die in Staatsdiensten hoch hinauf kamen, nun aber schon beide todt sind; ich allein lebe noch, sagte er und zupfte dabei an seinen fadenscheinigen Beinkleidern, mit niedergeschlagenen Augen einzelne Federchen davon herablesend. Mein Vater war ehrgeizig und heftig. Meine Brüder thaten ihm genug. Mich nannte man einen langsamen Kopf.

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Thomas Weitin: Herausgeber
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:14:44Z)

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Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/27>, abgerufen am 28.04.2024.