Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Franz Grillparzer, geboren zu Wien am 15. Januar 1790, trat nach Vollendung seiner akademischen Studien 1813 in den österreichischen Staatsdienst, wurde 1819 Privatsecretär der Kaiserin, 1832 Archivdirector der kaiserlichen Hofkammer. Zwei Reisen, 1819 nach Italien, später nach der Türkei, Kleinasien und Griechenland, unterbrachen den äußerlich wenig bewegten Lauf seines ganz der Dichtung gewidmeten Lebens, dessen Früchte in den noch immer nicht vollständig herausgegebenen allbekannten Tragödien, einigen Lustspielen und einer ebenfalls noch der Sammlung harrenden Reihe von Gedichten und Epigrammen vorliegen Die einzige Novelle, die der große Tragiker je gedichtet oder doch veröffentlicht hat, sind wir so glücklich, den Lesern unseres Novellenschatzes mittheilen zu dürfen. Und fürwahr, in mehr als Einer Hinsicht hat diese Novelle Anspruch daraus, einzig in ihrer Art zu heißen. Wäre durch einen Zufall der Name des Verfassers verloren oder unbekannt geblieben, so würde man ihn gewiß unter den großen Dichtern, schwerlich unter den großen Dramatikern suchen. Denn Nichts von dem, was das Wesen und den Werth der dramatischen Kunst ausmacht, keine starkgegliederte Handlung, keine Spannungsmomente im theatralischen Sinne, kein rhetorisch erhöhter Ausdruck leidenschaftlicher Stimmung ist in diesen Blättern zu finden. Gerade die Unfähigkeit zum Handeln, das Tragische einer für das derbe Menschenleben schlecht ausgerüsteten, auf Verkümmerung angelegten Natur war das psychologische Problem, das den Dichter reizte. Und mit fast zärtlicher Vertiefung bis in alle geheimen helldunklen Schlupfwinkel, in welche sich das seltsam scheue Gemüth zurückzieht, ist derselbe Künstler, der die stärksten Leidenschaftsconflicte zu gestalten wußte, diesem verfehlten Leben nachgegangen; zugleich mit so vollendeter Franz Grillparzer, geboren zu Wien am 15. Januar 1790, trat nach Vollendung seiner akademischen Studien 1813 in den österreichischen Staatsdienst, wurde 1819 Privatsecretär der Kaiserin, 1832 Archivdirector der kaiserlichen Hofkammer. Zwei Reisen, 1819 nach Italien, später nach der Türkei, Kleinasien und Griechenland, unterbrachen den äußerlich wenig bewegten Lauf seines ganz der Dichtung gewidmeten Lebens, dessen Früchte in den noch immer nicht vollständig herausgegebenen allbekannten Tragödien, einigen Lustspielen und einer ebenfalls noch der Sammlung harrenden Reihe von Gedichten und Epigrammen vorliegen Die einzige Novelle, die der große Tragiker je gedichtet oder doch veröffentlicht hat, sind wir so glücklich, den Lesern unseres Novellenschatzes mittheilen zu dürfen. Und fürwahr, in mehr als Einer Hinsicht hat diese Novelle Anspruch daraus, einzig in ihrer Art zu heißen. Wäre durch einen Zufall der Name des Verfassers verloren oder unbekannt geblieben, so würde man ihn gewiß unter den großen Dichtern, schwerlich unter den großen Dramatikern suchen. Denn Nichts von dem, was das Wesen und den Werth der dramatischen Kunst ausmacht, keine starkgegliederte Handlung, keine Spannungsmomente im theatralischen Sinne, kein rhetorisch erhöhter Ausdruck leidenschaftlicher Stimmung ist in diesen Blättern zu finden. Gerade die Unfähigkeit zum Handeln, das Tragische einer für das derbe Menschenleben schlecht ausgerüsteten, auf Verkümmerung angelegten Natur war das psychologische Problem, das den Dichter reizte. Und mit fast zärtlicher Vertiefung bis in alle geheimen helldunklen Schlupfwinkel, in welche sich das seltsam scheue Gemüth zurückzieht, ist derselbe Künstler, der die stärksten Leidenschaftsconflicte zu gestalten wußte, diesem verfehlten Leben nachgegangen; zugleich mit so vollendeter <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0005"/> <div type="preface"> <p>Franz Grillparzer, geboren zu Wien am 15. Januar 1790, trat nach Vollendung seiner akademischen Studien 1813 in den österreichischen Staatsdienst, wurde 1819 Privatsecretär der Kaiserin, 1832 Archivdirector der kaiserlichen Hofkammer. Zwei Reisen, 1819 nach Italien, später nach der Türkei, Kleinasien und Griechenland, unterbrachen den äußerlich wenig bewegten Lauf seines ganz der Dichtung gewidmeten Lebens, dessen Früchte in den noch immer nicht vollständig herausgegebenen allbekannten Tragödien, einigen Lustspielen und einer ebenfalls noch der Sammlung harrenden Reihe von Gedichten und Epigrammen vorliegen Die einzige Novelle, die der große Tragiker je gedichtet oder doch veröffentlicht hat, sind wir so glücklich, den Lesern unseres Novellenschatzes mittheilen zu dürfen. Und fürwahr, in mehr als Einer Hinsicht hat diese Novelle Anspruch daraus, einzig in ihrer Art zu heißen. Wäre durch einen Zufall der Name des Verfassers verloren oder unbekannt geblieben, so würde man ihn gewiß unter den großen Dichtern, schwerlich unter den großen Dramatikern suchen. Denn Nichts von dem, was das Wesen und den Werth der dramatischen Kunst ausmacht, keine starkgegliederte Handlung, keine Spannungsmomente im theatralischen Sinne, kein rhetorisch erhöhter Ausdruck leidenschaftlicher Stimmung ist in diesen Blättern zu finden. Gerade die Unfähigkeit zum Handeln, das Tragische einer für das derbe Menschenleben schlecht ausgerüsteten, auf Verkümmerung angelegten Natur war das psychologische Problem, das den Dichter reizte. Und mit fast zärtlicher Vertiefung bis in alle geheimen helldunklen Schlupfwinkel, in welche sich das seltsam scheue Gemüth zurückzieht, ist derselbe Künstler, der die stärksten Leidenschaftsconflicte zu gestalten wußte, diesem verfehlten Leben nachgegangen; zugleich mit so vollendeter<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0005]
Franz Grillparzer, geboren zu Wien am 15. Januar 1790, trat nach Vollendung seiner akademischen Studien 1813 in den österreichischen Staatsdienst, wurde 1819 Privatsecretär der Kaiserin, 1832 Archivdirector der kaiserlichen Hofkammer. Zwei Reisen, 1819 nach Italien, später nach der Türkei, Kleinasien und Griechenland, unterbrachen den äußerlich wenig bewegten Lauf seines ganz der Dichtung gewidmeten Lebens, dessen Früchte in den noch immer nicht vollständig herausgegebenen allbekannten Tragödien, einigen Lustspielen und einer ebenfalls noch der Sammlung harrenden Reihe von Gedichten und Epigrammen vorliegen Die einzige Novelle, die der große Tragiker je gedichtet oder doch veröffentlicht hat, sind wir so glücklich, den Lesern unseres Novellenschatzes mittheilen zu dürfen. Und fürwahr, in mehr als Einer Hinsicht hat diese Novelle Anspruch daraus, einzig in ihrer Art zu heißen. Wäre durch einen Zufall der Name des Verfassers verloren oder unbekannt geblieben, so würde man ihn gewiß unter den großen Dichtern, schwerlich unter den großen Dramatikern suchen. Denn Nichts von dem, was das Wesen und den Werth der dramatischen Kunst ausmacht, keine starkgegliederte Handlung, keine Spannungsmomente im theatralischen Sinne, kein rhetorisch erhöhter Ausdruck leidenschaftlicher Stimmung ist in diesen Blättern zu finden. Gerade die Unfähigkeit zum Handeln, das Tragische einer für das derbe Menschenleben schlecht ausgerüsteten, auf Verkümmerung angelegten Natur war das psychologische Problem, das den Dichter reizte. Und mit fast zärtlicher Vertiefung bis in alle geheimen helldunklen Schlupfwinkel, in welche sich das seltsam scheue Gemüth zurückzieht, ist derselbe Künstler, der die stärksten Leidenschaftsconflicte zu gestalten wußte, diesem verfehlten Leben nachgegangen; zugleich mit so vollendeter
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