Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Meisterschaft im Anschlagen des echten Erzählertones, mit so einfacher Anmuth und sicherer Kraft, daß wir eher ein novellistisches Virtuosenstück, als eine gelegentliche Studie des Dichters des "goldenen Vließes" und des "König Ottokar" vor uns zu haben glauben. Und dennoch, da wir nun den Verfasser kennen, will es uns scheinen, als ob gerade diese Novelle auch für das Verständniß des Tragikers in hohem Grade lehrreich wäre. Nicht nur sein eigenes Bekenntniß in der Einleitung giebt uns Aufschluß darüber, was Grillparzer die Fähigkeit verliehen hat, selbst die Gestalten der griechischen Sage, die wir sonst einer gewissen Marmorkälte zu zeihen pflegen, mit einem so blutwarmen persönlichen Hauch zu beleben, daß jede Fremdheit verschwindet, und seine historischen Figuren vor jeder akademischen Convention der üblichen Jambentragödie zu bewahren. Er hat sich eben bemüht, auch die Berühmten "durchzufühlen" und sie uns in all ihrer Menschlichkeit nahe zu bringen. Wir können nun aber auch die psychologische Erklärung für jenen eigenthümlichen Zug seines Talentes geben: für die Neigung nämlich zu gebrochenen Farben, verhaltenen und verhüllten Stimmungen, zu dem räthselhaften oder doch nur der feineren Beobachtung zugänglichen Reiz des höchst individuellen, ganz persönlichen Seelenlebens, das sich gewöhnlich der dramatischen Form entzieht und der Novelle anheimfällt. Es ist hier nicht der Ort, diese Seite der hochbedeutenden Dichternatur ausführlicher zu erörtern. Den Lesern der Novelle aber wollen wir durch keine weitere Zergliederung den Genuß dieser meisterhaften Charakterstudie beeinträchtigen.

Meisterschaft im Anschlagen des echten Erzählertones, mit so einfacher Anmuth und sicherer Kraft, daß wir eher ein novellistisches Virtuosenstück, als eine gelegentliche Studie des Dichters des „goldenen Vließes“ und des „König Ottokar“ vor uns zu haben glauben. Und dennoch, da wir nun den Verfasser kennen, will es uns scheinen, als ob gerade diese Novelle auch für das Verständniß des Tragikers in hohem Grade lehrreich wäre. Nicht nur sein eigenes Bekenntniß in der Einleitung giebt uns Aufschluß darüber, was Grillparzer die Fähigkeit verliehen hat, selbst die Gestalten der griechischen Sage, die wir sonst einer gewissen Marmorkälte zu zeihen pflegen, mit einem so blutwarmen persönlichen Hauch zu beleben, daß jede Fremdheit verschwindet, und seine historischen Figuren vor jeder akademischen Convention der üblichen Jambentragödie zu bewahren. Er hat sich eben bemüht, auch die Berühmten „durchzufühlen“ und sie uns in all ihrer Menschlichkeit nahe zu bringen. Wir können nun aber auch die psychologische Erklärung für jenen eigenthümlichen Zug seines Talentes geben: für die Neigung nämlich zu gebrochenen Farben, verhaltenen und verhüllten Stimmungen, zu dem räthselhaften oder doch nur der feineren Beobachtung zugänglichen Reiz des höchst individuellen, ganz persönlichen Seelenlebens, das sich gewöhnlich der dramatischen Form entzieht und der Novelle anheimfällt. Es ist hier nicht der Ort, diese Seite der hochbedeutenden Dichternatur ausführlicher zu erörtern. Den Lesern der Novelle aber wollen wir durch keine weitere Zergliederung den Genuß dieser meisterhaften Charakterstudie beeinträchtigen.

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0006"/>
Meisterschaft im Anschlagen des echten             Erzählertones, mit so einfacher Anmuth und sicherer Kraft, daß wir eher ein             novellistisches Virtuosenstück, als eine gelegentliche Studie des Dichters des &#x201E;goldenen             Vließes&#x201C; und des &#x201E;König Ottokar&#x201C; vor uns zu haben glauben. Und dennoch, da wir nun den             Verfasser kennen, will es uns scheinen, als ob gerade diese Novelle auch für das             Verständniß des Tragikers in hohem Grade lehrreich wäre. Nicht nur sein eigenes             Bekenntniß in der Einleitung giebt uns Aufschluß darüber, was Grillparzer die Fähigkeit             verliehen hat, selbst die Gestalten der griechischen Sage, die wir sonst einer gewissen             Marmorkälte zu zeihen pflegen, mit einem so blutwarmen persönlichen Hauch zu beleben,             daß jede Fremdheit verschwindet, und seine historischen Figuren vor jeder akademischen             Convention der üblichen Jambentragödie zu bewahren. Er hat sich eben bemüht, auch die             Berühmten &#x201E;durchzufühlen&#x201C; und sie uns in all ihrer Menschlichkeit nahe zu bringen. Wir             können nun aber auch die psychologische Erklärung für jenen eigenthümlichen Zug seines             Talentes geben: für die Neigung nämlich zu gebrochenen Farben, verhaltenen und             verhüllten Stimmungen, zu dem räthselhaften oder doch nur der feineren Beobachtung             zugänglichen Reiz des höchst individuellen, ganz persönlichen Seelenlebens, das sich             gewöhnlich der dramatischen Form entzieht und der Novelle anheimfällt. Es ist hier nicht             der Ort, diese Seite der hochbedeutenden Dichternatur ausführlicher zu erörtern. Den             Lesern der Novelle aber wollen wir durch keine weitere Zergliederung den Genuß dieser             meisterhaften Charakterstudie beeinträchtigen.</p><lb/>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0006] Meisterschaft im Anschlagen des echten Erzählertones, mit so einfacher Anmuth und sicherer Kraft, daß wir eher ein novellistisches Virtuosenstück, als eine gelegentliche Studie des Dichters des „goldenen Vließes“ und des „König Ottokar“ vor uns zu haben glauben. Und dennoch, da wir nun den Verfasser kennen, will es uns scheinen, als ob gerade diese Novelle auch für das Verständniß des Tragikers in hohem Grade lehrreich wäre. Nicht nur sein eigenes Bekenntniß in der Einleitung giebt uns Aufschluß darüber, was Grillparzer die Fähigkeit verliehen hat, selbst die Gestalten der griechischen Sage, die wir sonst einer gewissen Marmorkälte zu zeihen pflegen, mit einem so blutwarmen persönlichen Hauch zu beleben, daß jede Fremdheit verschwindet, und seine historischen Figuren vor jeder akademischen Convention der üblichen Jambentragödie zu bewahren. Er hat sich eben bemüht, auch die Berühmten „durchzufühlen“ und sie uns in all ihrer Menschlichkeit nahe zu bringen. Wir können nun aber auch die psychologische Erklärung für jenen eigenthümlichen Zug seines Talentes geben: für die Neigung nämlich zu gebrochenen Farben, verhaltenen und verhüllten Stimmungen, zu dem räthselhaften oder doch nur der feineren Beobachtung zugänglichen Reiz des höchst individuellen, ganz persönlichen Seelenlebens, das sich gewöhnlich der dramatischen Form entzieht und der Novelle anheimfällt. Es ist hier nicht der Ort, diese Seite der hochbedeutenden Dichternatur ausführlicher zu erörtern. Den Lesern der Novelle aber wollen wir durch keine weitere Zergliederung den Genuß dieser meisterhaften Charakterstudie beeinträchtigen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:14:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:14:44Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/6
Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/6>, abgerufen am 28.04.2024.