Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.Vorrede. werke in der mitte. Ich will nicht in abrede stellen,daß solche denkmähler manches lehrhafte und nütz- liche für die geschichte unserer sprache, welches genaue untersuchung fordert, in sich begreifen; da sich aber keine blühende poesie gründete, konnten niedersetzun- gen der sprache, wie sie zur aufstellung eigner perioden nöthig sind, auch nicht erfolgen. Die schriftsteller die- ser zwischenzeit vergröbern stufenweise die frühere sprachregel und überlaßen sich sorglos den einmischun- gen landschaftlicher gemeiner mundart; oft weiß man nicht, ob ihre besonderheit von der alten reinen sprache her übrig geblieben oder aus dem gebiete des volksdia- lects eingedrungen ist. Genügende darstellung solcher be- sonderheiten würde weitläuftige anstalten und erörterun- gen verlangen. Vielleicht daß andere nach und nach die gar nicht unanziehende arbeit vornehmen, ich meine, alle grammaticalien jeder hervorragenden maße sorgfälti- ger prüfung werth halten. Sehr schicklich ließen sich dankenswerthe beiträge dazu in schulprogrammen mit- theilen, gesellschaften, die für deutsche sprache an verschiedenen orten zusammengetreten sind, oder gern zusammentreten und je weniger sie ins allgemeine schwei- fen, desto mehr wirken, könnten ihren löblichen eifer am fruchtbarsten beweisen, wenn sie sich, um beispiele anzuführen, die grammatische regel der schweizerchro- niken des vierzehnten jahrhunderts, oder Kaisersbergs, oder Hans Sachsens oder Fischarts zur aufgabe machten; selbst einige ausgezeichnete schriften des siebzehnten jahrhunderts, wie Philander von Sittewald, der deutsche Simplicissimus hätten, vorzüglich in absicht der syntactischen regeln, noch gültige ansprüche auf grammatisches studium. Luthers sprache, deren grammatik gleichwohl eigentlich dargestellt zu werden verdiente, gehört nicht in diesen kreis, sie muß ihrer edlen, fast wunderbaren reinheit, auch ihres gewaltigen einflußes halber, für kern und grundlage der neuhochdeutschen sprachniedersetzung ge- halten werden, wovon bis auf den heutigen tag nur sehr unbedeutend, meistens zum schaden der kraft und des ausdrucks abgewichen worden ist. Man darf das neuhochdeutsche in der that als den protestantischen dialect bezeichnen, dessen freiheitathmende natur längst schon, ihnen unbewußt, dichter und schriftsteller des katholischen glaubens überwältigte. Unsere sprache ist, nach dem unaufhaltbaren laufe aller dinge, in lautver- hältnissen und formen gesunken, meine schilderung neu- Vorrede. werke in der mitte. Ich will nicht in abrede ſtellen,daß ſolche denkmähler manches lehrhafte und nütz- liche für die geſchichte unſerer ſprache, welches genaue unterſuchung fordert, in ſich begreifen; da ſich aber keine blühende poeſie gründete, konnten niederſetzun- gen der ſprache, wie ſie zur aufſtellung eigner perioden nöthig ſind, auch nicht erfolgen. Die ſchriftſteller die- ſer zwiſchenzeit vergröbern ſtufenweiſe die frühere ſprachregel und überlaßen ſich ſorglos den einmiſchun- gen landſchaftlicher gemeiner mundart; oft weiß man nicht, ob ihre beſonderheit von der alten reinen ſprache her übrig geblieben oder aus dem gebiete des volksdia- lects eingedrungen iſt. Genügende darſtellung ſolcher be- ſonderheiten würde weitläuftige anſtalten und erörterun- gen verlangen. Vielleicht daß andere nach und nach die gar nicht unanziehende arbeit vornehmen, ich meine, alle grammaticalien jeder hervorragenden maße ſorgfälti- ger prüfung werth halten. Sehr ſchicklich ließen ſich dankenswerthe beiträge dazu in ſchulprogrammen mit- theilen, geſellſchaften, die für deutſche ſprache an verſchiedenen orten zuſammengetreten ſind, oder gern zuſammentreten und je weniger ſie ins allgemeine ſchwei- fen, deſto mehr wirken, könnten ihren löblichen eifer am fruchtbarſten beweiſen, wenn ſie ſich, um beiſpiele anzuführen, die grammatiſche regel der ſchweizerchro- niken des vierzehnten jahrhunderts, oder Kaiſersbergs, oder Hans Sachſens oder Fiſcharts zur aufgabe machten; ſelbſt einige ausgezeichnete ſchriften des ſiebzehnten jahrhunderts, wie Philander von Sittewald, der deutſche Simpliciſſimus hätten, vorzüglich in abſicht der ſyntactiſchen regeln, noch gültige anſprüche auf grammatiſches ſtudium. Luthers ſprache, deren grammatik gleichwohl eigentlich dargeſtellt zu werden verdiente, gehört nicht in dieſen kreis, ſie muß ihrer edlen, faſt wunderbaren reinheit, auch ihres gewaltigen einflußes halber, für kern und grundlage der neuhochdeutſchen ſprachniederſetzung ge- halten werden, wovon bis auf den heutigen tag nur ſehr unbedeutend, meiſtens zum ſchaden der kraft und des ausdrucks abgewichen worden iſt. Man darf das neuhochdeutſche in der that als den proteſtantiſchen dialect bezeichnen, deſſen freiheitathmende natur längſt ſchon, ihnen unbewußt, dichter und ſchriftſteller des katholiſchen glaubens überwältigte. Unſere ſprache iſt, nach dem unaufhaltbaren laufe aller dinge, in lautver- hältniſſen und formen geſunken, meine ſchilderung neu- <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017" n="XI"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">Vorrede</hi></hi>.</fw><lb/> werke in der mitte. 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Vorrede.
werke in der mitte. Ich will nicht in abrede ſtellen,
daß ſolche denkmähler manches lehrhafte und nütz-
liche für die geſchichte unſerer ſprache, welches genaue
unterſuchung fordert, in ſich begreifen; da ſich aber
keine blühende poeſie gründete, konnten niederſetzun-
gen der ſprache, wie ſie zur aufſtellung eigner perioden
nöthig ſind, auch nicht erfolgen. Die ſchriftſteller die-
ſer zwiſchenzeit vergröbern ſtufenweiſe die frühere
ſprachregel und überlaßen ſich ſorglos den einmiſchun-
gen landſchaftlicher gemeiner mundart; oft weiß man
nicht, ob ihre beſonderheit von der alten reinen ſprache
her übrig geblieben oder aus dem gebiete des volksdia-
lects eingedrungen iſt. Genügende darſtellung ſolcher be-
ſonderheiten würde weitläuftige anſtalten und erörterun-
gen verlangen. Vielleicht daß andere nach und nach
die gar nicht unanziehende arbeit vornehmen, ich meine,
alle grammaticalien jeder hervorragenden maße ſorgfälti-
ger prüfung werth halten. Sehr ſchicklich ließen ſich
dankenswerthe beiträge dazu in ſchulprogrammen mit-
theilen, geſellſchaften, die für deutſche ſprache an
verſchiedenen orten zuſammengetreten ſind, oder gern
zuſammentreten und je weniger ſie ins allgemeine ſchwei-
fen, deſto mehr wirken, könnten ihren löblichen eifer
am fruchtbarſten beweiſen, wenn ſie ſich, um beiſpiele
anzuführen, die grammatiſche regel der ſchweizerchro-
niken des vierzehnten jahrhunderts, oder Kaiſersbergs,
oder Hans Sachſens oder Fiſcharts zur aufgabe machten;
ſelbſt einige ausgezeichnete ſchriften des ſiebzehnten
jahrhunderts, wie Philander von Sittewald, der deutſche
Simpliciſſimus hätten, vorzüglich in abſicht der ſyntactiſchen
regeln, noch gültige anſprüche auf grammatiſches ſtudium.
Luthers ſprache, deren grammatik gleichwohl eigentlich
dargeſtellt zu werden verdiente, gehört nicht in dieſen
kreis, ſie muß ihrer edlen, faſt wunderbaren reinheit,
auch ihres gewaltigen einflußes halber, für kern und
grundlage der neuhochdeutſchen ſprachniederſetzung ge-
halten werden, wovon bis auf den heutigen tag nur
ſehr unbedeutend, meiſtens zum ſchaden der kraft und
des ausdrucks abgewichen worden iſt. Man darf das
neuhochdeutſche in der that als den proteſtantiſchen
dialect bezeichnen, deſſen freiheitathmende natur längſt
ſchon, ihnen unbewußt, dichter und ſchriftſteller des
katholiſchen glaubens überwältigte. Unſere ſprache iſt,
nach dem unaufhaltbaren laufe aller dinge, in lautver-
hältniſſen und formen geſunken, meine ſchilderung neu-
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