Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.Vorrede. bare schreibfehler für beurtheilung ähnlicher fälle brauch-bar seyn; solche nebenzwecke dürfen die critik des tex- tes nirgends aufhalten. Der critische herausgeber, durch geprüfte gesetze beschränkt und gebunden, wird zwar noch manchem irrthum ausgesetzt bleiben, doch selbst sein irren ist anregend und unschädlicher als jene beru- higung bei dem rohen text; zumahl die handschriften in gewahrsam liegen und immer nachverglichen werden können. Ein haupthülfsmittel gewährt, wie vorhin be- merkt, der reim; wer sich mit reimweise, spracheigen- heiten und wortreichthum eines bedeutenden dichters vertraut gemacht, und alle seine vorhandenen schriften studiert hat, wird eine ausgabe wagen dürfen, die sich handschriftlichen verderbten lesarten zu widersetzen be- fugt ist. In diesem sinne hat bereits Hagen für die Ni- belungen (deren epische natur allerdings eigene bestim- mungen des critischen verfahrens fordert) rühmliches geleistet, von seinem Tristan steht die erwartung höher; Lachmann bereitet eine ausgabe sämmtlicher dichtun- gen Eschenbachs vor und wollte Benecke seiner lange beabsichtigten recension des Iwein noch den kürz- lich in fehlerhafter hs. aufgefundenen Erek nebst den übrigen kleineren werken Hartmanns beigesellen, so werden nachahmenswürdige muster die grundsätze einer gesunden critik sichern und verbreiten, in der mittel- hochdeutschen allgemeinen sprachregel aber die varietä- ten einzelner dialecte, welche ich jetzt nur hin und wieder andeuten konnte, deutlich hervortauchen. Auf denkmähler der althochdeutschen periode ist diese critik schon unanwendbar, theils verlangt das höhere alter der im ganzen sorgfältigeren handschriften größere ach- tung und unverletzbarkeit, theils liefert der sparsamere fluß der quellen, die ungebundenheit der prosaischen, der freiere reim der gebundenen dem critiker weit we- niger mittel in hand. Auch die dialectische abweichung ist noch, worauf ich gleich hernach kommen werde, beträchtlich größer und für jedes werk sind mehr be- sondere regeln aus ihm selbst zu suchen. Zwischen meiner darstellung des mittel- und neu- Vorrede. bare ſchreibfehler für beurtheilung ähnlicher fälle brauch-bar ſeyn; ſolche nebenzwecke dürfen die critik des tex- tes nirgends aufhalten. Der critiſche herausgeber, durch geprüfte geſetze beſchränkt und gebunden, wird zwar noch manchem irrthum ausgeſetzt bleiben, doch ſelbſt ſein irren iſt anregend und unſchädlicher als jene beru- higung bei dem rohen text; zumahl die handſchriften in gewahrſam liegen und immer nachverglichen werden können. Ein haupthülfsmittel gewährt, wie vorhin be- merkt, der reim; wer ſich mit reimweiſe, ſpracheigen- heiten und wortreichthum eines bedeutenden dichters vertraut gemacht, und alle ſeine vorhandenen ſchriften ſtudiert hat, wird eine ausgabe wagen dürfen, die ſich handſchriftlichen verderbten lesarten zu widerſetzen be- fugt iſt. In dieſem ſinne hat bereits Hagen für die Ni- belungen (deren epiſche natur allerdings eigene beſtim- mungen des critiſchen verfahrens fordert) rühmliches geleiſtet, von ſeinem Triſtan ſteht die erwartung höher; Lachmann bereitet eine ausgabe ſämmtlicher dichtun- gen Eſchenbachs vor und wollte Benecke ſeiner lange beabſichtigten recenſion des Iwein noch den kürz- lich in fehlerhafter hſ. aufgefundenen Erek nebſt den übrigen kleineren werken Hartmanns beigeſellen, ſo werden nachahmenswürdige muſter die grundſätze einer geſunden critik ſichern und verbreiten, in der mittel- hochdeutſchen allgemeinen ſprachregel aber die varietä- ten einzelner dialecte, welche ich jetzt nur hin und wieder andeuten konnte, deutlich hervortauchen. Auf denkmähler der althochdeutſchen periode iſt dieſe critik ſchon unanwendbar, theils verlangt das höhere alter der im ganzen ſorgfältigeren handſchriften größere ach- tung und unverletzbarkeit, theils liefert der ſparſamere fluß der quellen, die ungebundenheit der proſaiſchen, der freiere reim der gebundenen dem critiker weit we- niger mittel in hand. Auch die dialectiſche abweichung iſt noch, worauf ich gleich hernach kommen werde, beträchtlich größer und für jedes werk ſind mehr be- ſondere regeln aus ihm ſelbſt zu ſuchen. Zwiſchen meiner darſtellung des mittel- und neu- <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016" n="X"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">Vorrede</hi></hi>.</fw><lb/> bare ſchreibfehler für beurtheilung ähnlicher fälle brauch-<lb/> bar ſeyn; ſolche nebenzwecke dürfen die critik des tex-<lb/> tes nirgends aufhalten. 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Vorrede.
bare ſchreibfehler für beurtheilung ähnlicher fälle brauch-
bar ſeyn; ſolche nebenzwecke dürfen die critik des tex-
tes nirgends aufhalten. Der critiſche herausgeber, durch
geprüfte geſetze beſchränkt und gebunden, wird zwar
noch manchem irrthum ausgeſetzt bleiben, doch ſelbſt
ſein irren iſt anregend und unſchädlicher als jene beru-
higung bei dem rohen text; zumahl die handſchriften
in gewahrſam liegen und immer nachverglichen werden
können. Ein haupthülfsmittel gewährt, wie vorhin be-
merkt, der reim; wer ſich mit reimweiſe, ſpracheigen-
heiten und wortreichthum eines bedeutenden dichters
vertraut gemacht, und alle ſeine vorhandenen ſchriften
ſtudiert hat, wird eine ausgabe wagen dürfen, die ſich
handſchriftlichen verderbten lesarten zu widerſetzen be-
fugt iſt. In dieſem ſinne hat bereits Hagen für die Ni-
belungen (deren epiſche natur allerdings eigene beſtim-
mungen des critiſchen verfahrens fordert) rühmliches
geleiſtet, von ſeinem Triſtan ſteht die erwartung höher;
Lachmann bereitet eine ausgabe ſämmtlicher dichtun-
gen Eſchenbachs vor und wollte Benecke ſeiner lange
beabſichtigten recenſion des Iwein noch den kürz-
lich in fehlerhafter hſ. aufgefundenen Erek nebſt den
übrigen kleineren werken Hartmanns beigeſellen, ſo
werden nachahmenswürdige muſter die grundſätze einer
geſunden critik ſichern und verbreiten, in der mittel-
hochdeutſchen allgemeinen ſprachregel aber die varietä-
ten einzelner dialecte, welche ich jetzt nur hin und
wieder andeuten konnte, deutlich hervortauchen. Auf
denkmähler der althochdeutſchen periode iſt dieſe critik
ſchon unanwendbar, theils verlangt das höhere alter
der im ganzen ſorgfältigeren handſchriften größere ach-
tung und unverletzbarkeit, theils liefert der ſparſamere
fluß der quellen, die ungebundenheit der proſaiſchen,
der freiere reim der gebundenen dem critiker weit we-
niger mittel in hand. Auch die dialectiſche abweichung
iſt noch, worauf ich gleich hernach kommen werde,
beträchtlich größer und für jedes werk ſind mehr be-
ſondere regeln aus ihm ſelbſt zu ſuchen.
Zwiſchen meiner darſtellung des mittel- und neu-
hochdeutſchen wird eine lücke empfindlich ſeyn; man-
nigfaltige übergänge und abſtufungen hätten ſich aus
den ſchriften des vierzehnten ſo wie der drei folgenden
jahrhunderte ſammeln und erläutern laßen, dem altnor-
diſchen und neuſchwediſchen oder däniſchen liegt eine
nicht unbedeutende maße altſchwed. oder altdäniſcher
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