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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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Vorrede.
last. Unsere heutige schreibung liegt im argen, darüber
wird niemand, der mein buch liest, lange zweifelhaft
bleiben. Es ist natürlich, auf den gedanken zu kommen,
daß ihr noch in manchem stück zu helfen sey, bedenk-
lich aber zur ausführung zu schreiten, da verjährte mis-
griffe nunmehr schon auf den reim der dichter und selbst
die wirkliche aussprache übel eingefloßen haben. Mei-
nen abweichungen wird nicht leicht kein geschichtlicher
grund zur seite stehen, verschiedene habe ich nur für,
die grammatische aufstellung des neuhochdeutschen ge-
wagt, nicht für den neutralen text, über dem ich un-
sere orthographie oft vergaß. Wie mit ihr zu verfahren,
ob sie noch für änderungen, nach so vielen widerwärtigen,
mit recht gescheiterten versuchen, empfänglich sey, ver-
diente eigens erwogen zu werden, worauf ich mich aber
hier nicht einlaße; mittel und wege dazu lehrt meine dar-
stellung kennen. Einsichtige werden, jeden zumahl ge-
waltsamen neuerungen des hergebrachten in der regel
abhold, als ausnahme die abschaffung eingeschlichener
misbräuche, an die man sich freilich auch gewöhnt hat,
gerne sehen. Gleich aller geschichte warnt die histo-
rische grammatik vor freventlichem reformieren, macht
uns aber tugenden der vergangenheit offenbar, durch de-
ren betrachtung wir den dünkel der gegenwart mäßigen
können. An rechter stelle wird sich dann manches wün-
schenswerthe und lang gemiste immer anwendbar zeigen.
So schien mir, als ich an die niederschreibung dieses
werks gieng, ohne daß ich es früher gewollt hatte oder
jetzo besonderen werth darauf legte, die verbannung
der großen buchstaben vom anlaut der substantive thun-
lich, ich glaube nicht, daß durch ihr weglaßen irgend
ein satz undeutlich geworden ist. Für sie spricht kein
einziger innerer grund, wider sie der beständige frühere
gebrauch unserer sprache bis ins sechzehnte, siebzehnte
jahrhundert, ja der noch währende aller übrigen völker,
um nicht die erschwerung des schreibens, die ver-
scherzte einfachheit der schrift anzuschlagen. Man
braucht nur dem ursprung einer so pedantischen schreib-
weise nachzugehen, um sie zu verurtheilen; sie kam auf,
als über sprachgeschichte und grammatik gerade die ver-
worrensten begriffe herrschten. Näher besehen hat man
ihr auch schon verschiedentlich entsagen wollen, die ab-
handlungen der pfälzischen academie, der vossische Ho-
mer sammt anderen schriften sind ohne große buchstaben
gedruckt. In beibehaltung der lateinischen terminologie

Vorrede.
laſt. Unſere heutige ſchreibung liegt im argen, darüber
wird niemand, der mein buch lieſt, lange zweifelhaft
bleiben. Es iſt natürlich, auf den gedanken zu kommen,
daß ihr noch in manchem ſtück zu helfen ſey, bedenk-
lich aber zur ausführung zu ſchreiten, da verjährte mis-
griffe nunmehr ſchon auf den reim der dichter und ſelbſt
die wirkliche ausſprache übel eingefloßen haben. Mei-
nen abweichungen wird nicht leicht kein geſchichtlicher
grund zur ſeite ſtehen, verſchiedene habe ich nur für,
die grammatiſche aufſtellung des neuhochdeutſchen ge-
wagt, nicht für den neutralen text, über dem ich un-
ſere orthographie oft vergaß. Wie mit ihr zu verfahren,
ob ſie noch für änderungen, nach ſo vielen widerwärtigen,
mit recht geſcheiterten verſuchen, empfänglich ſey, ver-
diente eigens erwogen zu werden, worauf ich mich aber
hier nicht einlaße; mittel und wege dazu lehrt meine dar-
ſtellung kennen. Einſichtige werden, jeden zumahl ge-
waltſamen neuerungen des hergebrachten in der regel
abhold, als ausnahme die abſchaffung eingeſchlichener
misbräuche, an die man ſich freilich auch gewöhnt hat,
gerne ſehen. Gleich aller geſchichte warnt die hiſto-
riſche grammatik vor freventlichem reformieren, macht
uns aber tugenden der vergangenheit offenbar, durch de-
ren betrachtung wir den dünkel der gegenwart mäßigen
können. An rechter ſtelle wird ſich dann manches wün-
ſchenswerthe und lang gemiſte immer anwendbar zeigen.
So ſchien mir, als ich an die niederſchreibung dieſes
werks gieng, ohne daß ich es früher gewollt hatte oder
jetzo beſonderen werth darauf legte, die verbannung
der großen buchſtaben vom anlaut der ſubſtantive thun-
lich, ich glaube nicht, daß durch ihr weglaßen irgend
ein ſatz undeutlich geworden iſt. Für ſie ſpricht kein
einziger innerer grund, wider ſie der beſtändige frühere
gebrauch unſerer ſprache bis ins ſechzehnte, ſiebzehnte
jahrhundert, ja der noch währende aller übrigen völker,
um nicht die erſchwerung des ſchreibens, die ver-
ſcherzte einfachheit der ſchrift anzuſchlagen. Man
braucht nur dem urſprung einer ſo pedantiſchen ſchreib-
weiſe nachzugehen, um ſie zu verurtheilen; ſie kam auf,
als über ſprachgeſchichte und grammatik gerade die ver-
worrenſten begriffe herrſchten. Näher beſehen hat man
ihr auch ſchon verſchiedentlich entſagen wollen, die ab-
handlungen der pfälziſchen academie, der voſſiſche Ho-
mer ſammt anderen ſchriften ſind ohne große buchſtaben
gedruckt. In beibehaltung der lateiniſchen terminologie

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[XVIII/0024] Vorrede. laſt. Unſere heutige ſchreibung liegt im argen, darüber wird niemand, der mein buch lieſt, lange zweifelhaft bleiben. Es iſt natürlich, auf den gedanken zu kommen, daß ihr noch in manchem ſtück zu helfen ſey, bedenk- lich aber zur ausführung zu ſchreiten, da verjährte mis- griffe nunmehr ſchon auf den reim der dichter und ſelbſt die wirkliche ausſprache übel eingefloßen haben. Mei- nen abweichungen wird nicht leicht kein geſchichtlicher grund zur ſeite ſtehen, verſchiedene habe ich nur für, die grammatiſche aufſtellung des neuhochdeutſchen ge- wagt, nicht für den neutralen text, über dem ich un- ſere orthographie oft vergaß. Wie mit ihr zu verfahren, ob ſie noch für änderungen, nach ſo vielen widerwärtigen, mit recht geſcheiterten verſuchen, empfänglich ſey, ver- diente eigens erwogen zu werden, worauf ich mich aber hier nicht einlaße; mittel und wege dazu lehrt meine dar- ſtellung kennen. Einſichtige werden, jeden zumahl ge- waltſamen neuerungen des hergebrachten in der regel abhold, als ausnahme die abſchaffung eingeſchlichener misbräuche, an die man ſich freilich auch gewöhnt hat, gerne ſehen. Gleich aller geſchichte warnt die hiſto- riſche grammatik vor freventlichem reformieren, macht uns aber tugenden der vergangenheit offenbar, durch de- ren betrachtung wir den dünkel der gegenwart mäßigen können. An rechter ſtelle wird ſich dann manches wün- ſchenswerthe und lang gemiſte immer anwendbar zeigen. So ſchien mir, als ich an die niederſchreibung dieſes werks gieng, ohne daß ich es früher gewollt hatte oder jetzo beſonderen werth darauf legte, die verbannung der großen buchſtaben vom anlaut der ſubſtantive thun- lich, ich glaube nicht, daß durch ihr weglaßen irgend ein ſatz undeutlich geworden iſt. Für ſie ſpricht kein einziger innerer grund, wider ſie der beſtändige frühere gebrauch unſerer ſprache bis ins ſechzehnte, ſiebzehnte jahrhundert, ja der noch währende aller übrigen völker, um nicht die erſchwerung des ſchreibens, die ver- ſcherzte einfachheit der ſchrift anzuſchlagen. Man braucht nur dem urſprung einer ſo pedantiſchen ſchreib- weiſe nachzugehen, um ſie zu verurtheilen; ſie kam auf, als über ſprachgeſchichte und grammatik gerade die ver- worrenſten begriffe herrſchten. Näher beſehen hat man ihr auch ſchon verſchiedentlich entſagen wollen, die ab- handlungen der pfälziſchen academie, der voſſiſche Ho- mer ſammt anderen ſchriften ſind ohne große buchſtaben gedruckt. In beibehaltung der lateiniſchen terminologie

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/24>, abgerufen am 27.04.2024.