ist, wie es scheint, fester und feiner bestimmt, als z. b. in der griechischen u. lateinischen. Kein vocal steht oder wechselt willkürlich in derselben mundart; wenn eine verschiedene mundart übergänge zeigt, so haben solche nicht weniger bei consonanten statt, und erfolgen über- all nach vorgezeichneten gesetzen und verwandtschaften. Etymologen, welche den vocal für etwas gleichgültiges erklären, wie er es in einigen sprachen des orients eher zu seyn scheint, und sich bloß an das gerippe der con- sonanten halten, verlieren dadurch mehr als sie gewin- nen, indem die kenntniss der vocalverhältnisse gerade die sichersten und reichhaltigsten aufschlüße über den ursprung und die ableitung der wörter gewährt; auf- schlüße, die mit jenen ungezügelten sprüngen im felde des consonantismus den auffallendsten gegensatz bilden. Man muß jedoch genau die bedeutung und geschichte der vocale in der wurzel von denen in der endung eines wortes unterscheiden. Die vocale in letzteren ha- ben ein kürzeres, geringeres leben, sind auch häufigeren veränderungen ausgesetzt und können weniger im allge- meinen, als im einzelnen betrachtet werden, ein gründ- liches urtheil über sie wird erst aus der schwierigen un- tersuchung der accentuation einmahl hervorgehen.
2) Die vocale sind entweder einfache oder doppelte, womit die eintheilung in kurze oder lange gänzlich zu- sammenfällt (vergl. unten die bemerkungen über die pro- sodie). Der einfachen (kurzen) gibt es in den deutschen sprachen achte: a, e, i, o, u, e, ö, ü (= y), von wel- chen wiederum a, i, o, u als die reinen, e, ö, ü aber als getrübte (umlaute) betrachtet werden müßen; mit dem e hat es eine eigne bewandtniss, die sich hier noch nicht sondern erst in der althochdeutschen buchstabenlehre ent- wickeln läßt. Die aussprache des a, i, u (finden, fand, funden) gleicht sich in allen (oder den meisten) deutschen zungen; schon schwankender ist die des o. Es wird zumahl auffallen, daß ich dem e die natur eines reinen vocals nicht beilege; auf gründe die man hierwider aus ganz abstracten untersuchungen der sprachlaute oder aus der betrachtung fremder sprachen vorbringen wollte, laße ich mich jetzt nicht ein; in der deutschen sprache steht es historisch zu erweisen, daß das e als umlaut, das e als ersatz für frühere andere laute zu betrachten sey, wie denn auch die ältesten runen gar kein zeichen zu beiden besitzen. Ein anderer grund liegt mir in dem
I. von den buchſtaben insgemein.
iſt, wie es ſcheint, feſter und feiner beſtimmt, als z. b. in der griechiſchen u. lateiniſchen. Kein vocal ſteht oder wechſelt willkürlich in derſelben mundart; wenn eine verſchiedene mundart übergänge zeigt, ſo haben ſolche nicht weniger bei conſonanten ſtatt, und erfolgen über- all nach vorgezeichneten geſetzen und verwandtſchaften. Etymologen, welche den vocal für etwas gleichgültiges erklären, wie er es in einigen ſprachen des orients eher zu ſeyn ſcheint, und ſich bloß an das gerippe der con- ſonanten halten, verlieren dadurch mehr als ſie gewin- nen, indem die kenntniſs der vocalverhältniſſe gerade die ſicherſten und reichhaltigſten aufſchlüße über den urſprung und die ableitung der wörter gewährt; auf- ſchlüße, die mit jenen ungezügelten ſprüngen im felde des conſonantiſmus den auffallendſten gegenſatz bilden. Man muß jedoch genau die bedeutung und geſchichte der vocale in der wurzel von denen in der endung eines wortes unterſcheiden. Die vocale in letzteren ha- ben ein kürzeres, geringeres leben, ſind auch häufigeren veränderungen ausgeſetzt und können weniger im allge- meinen, als im einzelnen betrachtet werden, ein gründ- liches urtheil über ſie wird erſt aus der ſchwierigen un- terſuchung der accentuation einmahl hervorgehen.
2) Die vocale ſind entweder einfache oder doppelte, womit die eintheilung in kurze oder lange gänzlich zu- ſammenfällt (vergl. unten die bemerkungen über die pro- ſodie). Der einfachen (kurzen) gibt es in den deutſchen ſprachen achte: a, e, i, o, u, ë, ö, ü (= y), von wel- chen wiederum a, i, o, u als die reinen, e, ö, ü aber als getrübte (umlaute) betrachtet werden müßen; mit dem ë hat es eine eigne bewandtniſs, die ſich hier noch nicht ſondern erſt in der althochdeutſchen buchſtabenlehre ent- wickeln läßt. Die ausſprache des a, i, u (finden, fand, funden) gleicht ſich in allen (oder den meiſten) deutſchen zungen; ſchon ſchwankender iſt die des o. Es wird zumahl auffallen, daß ich dem e die natur eines reinen vocals nicht beilege; auf gründe die man hierwider aus ganz abſtracten unterſuchungen der ſprachlaute oder aus der betrachtung fremder ſprachen vorbringen wollte, laße ich mich jetzt nicht ein; in der deutſchen ſprache ſteht es hiſtoriſch zu erweiſen, daß das e als umlaut, das ë als erſatz für frühere andere laute zu betrachten ſey, wie denn auch die älteſten runen gar kein zeichen zu beiden beſitzen. Ein anderer grund liegt mir in dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0031"n="5"/><fwplace="top"type="header">I. <hirendition="#i">von den buchſtaben insgemein.</hi></fw><lb/>
iſt, wie es ſcheint, feſter und feiner beſtimmt, als z. b.<lb/>
in der griechiſchen u. lateiniſchen. Kein vocal ſteht oder<lb/>
wechſelt willkürlich in derſelben mundart; wenn eine<lb/>
verſchiedene mundart übergänge zeigt, ſo haben ſolche<lb/>
nicht weniger bei conſonanten ſtatt, und erfolgen über-<lb/>
all nach vorgezeichneten geſetzen und verwandtſchaften.<lb/>
Etymologen, welche den vocal für etwas gleichgültiges<lb/>
erklären, wie er es in einigen ſprachen des orients eher<lb/>
zu ſeyn ſcheint, und ſich bloß an das gerippe der con-<lb/>ſonanten halten, verlieren dadurch mehr als ſie gewin-<lb/>
nen, indem die kenntniſs der vocalverhältniſſe gerade<lb/>
die ſicherſten und reichhaltigſten aufſchlüße über den<lb/><choice><sic>nrſprung</sic><corr>urſprung</corr></choice> und die ableitung der wörter gewährt; auf-<lb/>ſchlüße, die mit jenen ungezügelten ſprüngen im felde<lb/>
des conſonantiſmus den auffallendſten gegenſatz bilden.<lb/>
Man muß jedoch genau die bedeutung und geſchichte<lb/>
der vocale in der wurzel von denen in der endung<lb/>
eines wortes unterſcheiden. Die vocale in letzteren ha-<lb/>
ben ein kürzeres, geringeres leben, ſind auch häufigeren<lb/>
veränderungen ausgeſetzt und können weniger im allge-<lb/>
meinen, als im einzelnen betrachtet werden, ein gründ-<lb/>
liches urtheil über ſie wird erſt aus der ſchwierigen un-<lb/>
terſuchung der accentuation einmahl hervorgehen.</p><lb/><p>2) Die vocale ſind entweder <hirendition="#i">einfache</hi> oder <hirendition="#i">doppelte</hi>,<lb/>
womit die eintheilung in <hirendition="#i">kurze</hi> oder <hirendition="#i">lange</hi> gänzlich zu-<lb/>ſammenfällt (vergl. unten die bemerkungen über die pro-<lb/>ſodie). Der einfachen (kurzen) gibt es in den deutſchen<lb/><choice><sic>fprachen</sic><corr>ſprachen</corr></choice> achte: a, e, i, o, u, ë, ö, ü (= y), von wel-<lb/>
chen wiederum a, i, o, u als die reinen, e, ö, ü aber<lb/>
als getrübte (umlaute) betrachtet werden müßen; mit dem<lb/>
ë hat es eine eigne bewandtniſs, die ſich hier noch nicht<lb/>ſondern erſt in der althochdeutſchen buchſtabenlehre ent-<lb/>
wickeln läßt. Die ausſprache des a, i, u (finden, fand,<lb/>
funden) gleicht ſich in allen (oder den meiſten) deutſchen<lb/>
zungen; ſchon ſchwankender iſt die des o. Es wird<lb/>
zumahl auffallen, daß ich dem e die natur eines reinen<lb/>
vocals nicht beilege; auf gründe die man hierwider aus<lb/>
ganz abſtracten unterſuchungen der ſprachlaute oder aus<lb/>
der betrachtung fremder ſprachen vorbringen wollte,<lb/>
laße ich mich jetzt nicht ein; in der deutſchen ſprache<lb/>ſteht es hiſtoriſch zu erweiſen, daß das e als <choice><sic>umlant</sic><corr>umlaut</corr></choice>,<lb/>
das ë als erſatz für frühere andere laute zu betrachten<lb/>ſey, wie denn auch die älteſten runen gar kein zeichen<lb/>
zu beiden beſitzen. Ein anderer grund liegt mir in dem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[5/0031]
I. von den buchſtaben insgemein.
iſt, wie es ſcheint, feſter und feiner beſtimmt, als z. b.
in der griechiſchen u. lateiniſchen. Kein vocal ſteht oder
wechſelt willkürlich in derſelben mundart; wenn eine
verſchiedene mundart übergänge zeigt, ſo haben ſolche
nicht weniger bei conſonanten ſtatt, und erfolgen über-
all nach vorgezeichneten geſetzen und verwandtſchaften.
Etymologen, welche den vocal für etwas gleichgültiges
erklären, wie er es in einigen ſprachen des orients eher
zu ſeyn ſcheint, und ſich bloß an das gerippe der con-
ſonanten halten, verlieren dadurch mehr als ſie gewin-
nen, indem die kenntniſs der vocalverhältniſſe gerade
die ſicherſten und reichhaltigſten aufſchlüße über den
urſprung und die ableitung der wörter gewährt; auf-
ſchlüße, die mit jenen ungezügelten ſprüngen im felde
des conſonantiſmus den auffallendſten gegenſatz bilden.
Man muß jedoch genau die bedeutung und geſchichte
der vocale in der wurzel von denen in der endung
eines wortes unterſcheiden. Die vocale in letzteren ha-
ben ein kürzeres, geringeres leben, ſind auch häufigeren
veränderungen ausgeſetzt und können weniger im allge-
meinen, als im einzelnen betrachtet werden, ein gründ-
liches urtheil über ſie wird erſt aus der ſchwierigen un-
terſuchung der accentuation einmahl hervorgehen.
2) Die vocale ſind entweder einfache oder doppelte,
womit die eintheilung in kurze oder lange gänzlich zu-
ſammenfällt (vergl. unten die bemerkungen über die pro-
ſodie). Der einfachen (kurzen) gibt es in den deutſchen
ſprachen achte: a, e, i, o, u, ë, ö, ü (= y), von wel-
chen wiederum a, i, o, u als die reinen, e, ö, ü aber
als getrübte (umlaute) betrachtet werden müßen; mit dem
ë hat es eine eigne bewandtniſs, die ſich hier noch nicht
ſondern erſt in der althochdeutſchen buchſtabenlehre ent-
wickeln läßt. Die ausſprache des a, i, u (finden, fand,
funden) gleicht ſich in allen (oder den meiſten) deutſchen
zungen; ſchon ſchwankender iſt die des o. Es wird
zumahl auffallen, daß ich dem e die natur eines reinen
vocals nicht beilege; auf gründe die man hierwider aus
ganz abſtracten unterſuchungen der ſprachlaute oder aus
der betrachtung fremder ſprachen vorbringen wollte,
laße ich mich jetzt nicht ein; in der deutſchen ſprache
ſteht es hiſtoriſch zu erweiſen, daß das e als umlaut,
das ë als erſatz für frühere andere laute zu betrachten
ſey, wie denn auch die älteſten runen gar kein zeichen
zu beiden beſitzen. Ein anderer grund liegt mir in dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/31>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.