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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. von den buchstaben insgemein.
späteren entspringen und steigenden umgreifen der um-
laute, welches auf frühere seltenheit und selbst abhan-
denseyn des einfachen e schließen läßt. Hierfür spricht
endlich auch die in den neueren sprachen immer wach-
sende auflösung fast aller vocale der endungen in ein
tonloses e, so daß das erlangte entschiedene übergewicht
dieses lauts seinen anfänglich geringeren umfang gleich-
sam zurückbedeutet. Die uralte sprache braucht über-
haupt weder alle vocale, noch alle consonanten ent-
wickelt zu haben; manche fremde sprachen entbehren
bekanntlich einzelner einfacher consonanten. Noch viel
mehr aber gilt das von den gemischten oder zusammen-
gesetzten lauten, vocalen und consonanten, in deren
entfaltung und vielfältigen bestimmung meiner ansicht
nach etwas unursprüngliches zu suchen ist. Merkwürdig
besitzen die Griechen für a, i, u nur ein, für e und o
jedesmahl zwei zeichen (e, e; o, o), welches die un-
gewissheit beider laute bestätigt, obgleich sie prosodisch
eben dadurch bestimmt worden sind und e und o für
doppelte laute geachtet werden müßen.

3) Ein doppelter vocal setzt den zusammenfluß zweier
einfacher in einer silbe voraus; einsilbigkeit ist das we-
sentliche erforderniss jedes diphthongen. Man kann
zwei arten der doppelvocale angeben:

a) gedehnte vocale: a, e, ei, o, au, wo die ursprüngliche
doppelung desselben vocals äußerlich in einem körper
zusammengetreten ist. Den beweis, daß a, o etc. aus
aa, oo etc. entspringen, liefert theils die verschiedent-
lich vorkommende schreibung aa, oo etc. theils die
umlautung der gedehnten vocale in diphthongen der
zweiten art (z. b. des a in ae, das heißt ae, des au in
iu); endlich die vergleichung der verschiedenen mund-
arten, das goth. o entspricht etymologisch und pro-
sodisch dem alth. uo, das hochd. a dem niederdeut-
schen ae oder niederrheinischen ai etc. Die neuhochd.
sprache bedient sich statt des dehnzeichens da, wo sie
die gedehnten vocale, nicht in diphthongen zweiter
art umwandelt, zwar noch zuweilen der äußeren dop-
pelung, gewöhnlich aber und daneben der schreibung
ah, eh, ih (und ie) oh, uh. Die Lateiner schrieben
ihre lange vocale früher durch zwei kurze (Schnei-
der p. 96.), den Griechen entsprang e und o aus der
schreibung ee, oo; bei den übrigen vocalen pflegten sie,

I. von den buchſtaben insgemein.
ſpäteren entſpringen und ſteigenden umgreifen der um-
laute, welches auf frühere ſeltenheit und ſelbſt abhan-
denſeyn des einfachen e ſchließen läßt. Hierfür ſpricht
endlich auch die in den neueren ſprachen immer wach-
ſende auflöſung faſt aller vocale der endungen in ein
tonloſes e, ſo daß das erlangte entſchiedene übergewicht
dieſes lauts ſeinen anfänglich geringeren umfang gleich-
ſam zurückbedeutet. Die uralte ſprache braucht über-
haupt weder alle vocale, noch alle conſonanten ent-
wickelt zu haben; manche fremde ſprachen entbehren
bekanntlich einzelner einfacher conſonanten. Noch viel
mehr aber gilt das von den gemiſchten oder zuſammen-
geſetzten lauten, vocalen und conſonanten, in deren
entfaltung und vielfältigen beſtimmung meiner anſicht
nach etwas unurſprüngliches zu ſuchen iſt. Merkwürdig
beſitzen die Griechen für a, i, u nur ein, für e und o
jedesmahl zwei zeichen (ε, η; ο, ω), welches die un-
gewiſsheit beider laute beſtätigt, obgleich ſie proſodiſch
eben dadurch beſtimmt worden ſind und η und ω für
doppelte laute geachtet werden müßen.

3) Ein doppelter vocal ſetzt den zuſammenfluß zweier
einfacher in einer ſilbe voraus; einſilbigkeit iſt das we-
ſentliche erforderniſs jedes diphthongen. Man kann
zwei arten der doppelvocale angeben:

a) gedehnte vocale: â, ê, î, ô, û, wo die urſprüngliche
doppelung desſelben vocals äußerlich in einem körper
zuſammengetreten iſt. Den beweis, daß â, ô etc. aus
aa, oo etc. entſpringen, liefert theils die verſchiedent-
lich vorkommende ſchreibung aa, oo etc. theils die
umlautung der gedehnten vocale in diphthongen der
zweiten art (z. b. des â in æ, das heißt ae, des û in
iu); endlich die vergleichung der verſchiedenen mund-
arten, das goth. ô entſpricht etymologiſch und pro-
ſodiſch dem alth. uo, das hochd. â dem niederdeut-
ſchen ae oder niederrheiniſchen ai etc. Die neuhochd.
ſprache bedient ſich ſtatt des dehnzeichens da, wo ſie
die gedehnten vocale, nicht in diphthongen zweiter
art umwandelt, zwar noch zuweilen der äußeren dop-
pelung, gewöhnlich aber und daneben der ſchreibung
ah, eh, ih (und ie) oh, uh. Die Lateiner ſchrieben
ihre lange vocale früher durch zwei kurze (Schnei-
der p. 96.), den Griechen entſprang η und ω aus der
ſchreibung εε, οο; bei den übrigen vocalen pflegten ſie,
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[6/0032] I. von den buchſtaben insgemein. ſpäteren entſpringen und ſteigenden umgreifen der um- laute, welches auf frühere ſeltenheit und ſelbſt abhan- denſeyn des einfachen e ſchließen läßt. Hierfür ſpricht endlich auch die in den neueren ſprachen immer wach- ſende auflöſung faſt aller vocale der endungen in ein tonloſes e, ſo daß das erlangte entſchiedene übergewicht dieſes lauts ſeinen anfänglich geringeren umfang gleich- ſam zurückbedeutet. Die uralte ſprache braucht über- haupt weder alle vocale, noch alle conſonanten ent- wickelt zu haben; manche fremde ſprachen entbehren bekanntlich einzelner einfacher conſonanten. Noch viel mehr aber gilt das von den gemiſchten oder zuſammen- geſetzten lauten, vocalen und conſonanten, in deren entfaltung und vielfältigen beſtimmung meiner anſicht nach etwas unurſprüngliches zu ſuchen iſt. Merkwürdig beſitzen die Griechen für a, i, u nur ein, für e und o jedesmahl zwei zeichen (ε, η; ο, ω), welches die un- gewiſsheit beider laute beſtätigt, obgleich ſie proſodiſch eben dadurch beſtimmt worden ſind und η und ω für doppelte laute geachtet werden müßen. 3) Ein doppelter vocal ſetzt den zuſammenfluß zweier einfacher in einer ſilbe voraus; einſilbigkeit iſt das we- ſentliche erforderniſs jedes diphthongen. Man kann zwei arten der doppelvocale angeben: a) gedehnte vocale: â, ê, î, ô, û, wo die urſprüngliche doppelung desſelben vocals äußerlich in einem körper zuſammengetreten iſt. Den beweis, daß â, ô etc. aus aa, oo etc. entſpringen, liefert theils die verſchiedent- lich vorkommende ſchreibung aa, oo etc. theils die umlautung der gedehnten vocale in diphthongen der zweiten art (z. b. des â in æ, das heißt ae, des û in iu); endlich die vergleichung der verſchiedenen mund- arten, das goth. ô entſpricht etymologiſch und pro- ſodiſch dem alth. uo, das hochd. â dem niederdeut- ſchen ae oder niederrheiniſchen ai etc. Die neuhochd. ſprache bedient ſich ſtatt des dehnzeichens da, wo ſie die gedehnten vocale, nicht in diphthongen zweiter art umwandelt, zwar noch zuweilen der äußeren dop- pelung, gewöhnlich aber und daneben der ſchreibung ah, eh, ih (und ie) oh, uh. Die Lateiner ſchrieben ihre lange vocale früher durch zwei kurze (Schnei- der p. 96.), den Griechen entſprang η und ω aus der ſchreibung εε, οο; bei den übrigen vocalen pflegten ſie,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/32>, abgerufen am 27.04.2024.