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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. altnordische vocale.

(AA) a, ich brauche für diesen und alle übrigen
dehnlaute den circumflex, st. des in den nord. ausgaben
befindlichen acutus, wie auch schon Rask §. 13. vor-
schlägt. Das nord. a entspricht dem alth. a in den wör-
tern und wohl auch in der aussprache, welche ursprüng-
lich aa gewesen seyn muß, allmählig aber nach zeit und
ort in ao, au, av, a und selbst o *) vergierte. Rask
nimmt die aussprache av als regel, bei vorausstehendem
v ausnahmsweise o an, weil sich z. b. sva, varu nicht
wohl svav, vavru sprechen ließe, sondern svo, voru,
und eben darum schreiben viele: vo, vogr, vopn, vos,
vod st. va, vagr, vas, vad etc. Da indessen im hatta-
lykill sva: a (habet) reimt und letzteres wort damahls
schwerlich wie ein bloßes o lautete, so mag man we-
der av noch o, vielmehr aa, vielleicht ae, mit hin-
neigung zum angels. ae und goth. e gesprochen haben.
Übrigens sind nicht alle nord. a organisch, sondern einige
in fällen entsprungen, wo ihnen kein goth. e und alth.
a parallel steht, wie sich sogleich ergeben wird. Die
einzelnen fälle des nord. a sind nämlich: 1) die ablaute
im pl. praet. gafu, lasu, baru etc. 2) bei folgendem
einfachen cons. ohne daß andere weggefallen scheinen:
brad (esca) bradr (citus) dad (virtus) fadr (ornatus) gra-
dugr (avidus) had (ludibrium) hadr (commissus) kladi
(scabies) madr (tritus) nad (gratia) rad (consilium) sad
(semen) snad (cibus) thradr (filum) gafa (donum) bagr
(protervus) magr (affinis) lagr (brevis) tag (vimen) vagr
(mare) kraka (cornix) rak (discrimen) skak (ludus latrunc.)
sprak (laesio levis) al (lorum) all (anguilla) bal (rogus)
kal (caulis) mal (tempus) mala (pingere) skal (patera)
skali (cubile) tal (dolus) klam (obscoenitas) nam (praeda)
tham (aer egelidus) fran (nitens) mani (luna) ran (rapina)
drap (caedes) snapr (stultus) tap (vigor) ar (annus) ar
(minister) blar (lividus) dari (stnltus) far (periculum) flar
(callidus) frar (pernix) grar (canus) har (crinis) hlar (laxus)
hnar (strenuus) hrar (crudus) kl[ä]r (clarus) nar (funus)
blasa (spirare) das (candela tenuis) kras (pulpamentum)
vas (udor) las (sera) mas (anhelitus) gat (cura) grata (flere)
katr (laetus) lata (linquere) mati (modus) etc. -- 3) durch
den ausfall eines organischen h. scheint die verlängerung des
a entsprungen in: a (aqua) lan (mutuum) tar (lacrima)

*) Ueber dieses o hernaoh bei dem 5ten fall des nord. a; aber
auch sonst haben alte hss. o für a und umgekehrt a für o
(statt ö) z. b. hanom (illi) f. hönum (s. unten beim ö).
I. altnordiſche vocale.

(AA) â, ich brauche für dieſen und alle übrigen
dehnlaute den circumflex, ſt. des in den nord. ausgaben
befindlichen acutus, wie auch ſchon Raſk §. 13. vor-
ſchlägt. Das nord. â entſpricht dem alth. â in den wör-
tern und wohl auch in der ausſprache, welche urſprüng-
lich áa geweſen ſeyn muß, allmählig aber nach zeit und
ort in áo, áu, av, å und ſelbſt o *) vergierte. Raſk
nimmt die ausſprache av als regel, bei vorausſtehendem
v ausnahmsweiſe o an, weil ſich z. b. ſvâ, vâru nicht
wohl ſvav, vavru ſprechen ließe, ſondern ſvo, voru,
und eben darum ſchreiben viele: vo, vogr, vopn, vos,
vod ſt. vâ, vâgr, vâs, vâd etc. Da indeſſen im hâtta-
lykill ſvâ: â (habet) reimt und letzteres wort damahls
ſchwerlich wie ein bloßes o lautete, ſo mag man we-
der av noch o, vielmehr áa, vielleicht áe, mit hin-
neigung zum angelſ. æ und goth. ê geſprochen haben.
Übrigens ſind nicht alle nord. â organiſch, ſondern einige
in fällen entſprungen, wo ihnen kein goth. ê und alth.
â parallel ſteht, wie ſich ſogleich ergeben wird. Die
einzelnen fälle des nord. â ſind nämlich: 1) die ablaute
im pl. praet. gâfu, lâſu, bâru etc. 2) bei folgendem
einfachen conſ. ohne daß andere weggefallen ſcheinen:
brâd (eſca) brâdr (citus) dâd (virtus) fâdr (ornatus) grâ-
dugr (avidus) hâd (ludibrium) hâdr (commiſſus) klâdi
(ſcabies) mâdr (tritus) nâd (gratia) râd (conſilium) ſâd
(ſemen) ſnâd (cibus) þrâdr (filum) gâfa (donum) bâgr
(protervus) mâgr (affinis) lâgr (brevis) tâg (vimen) vâgr
(mare) krâka (cornix) râk (diſcrimen) ſkâk (ludus latrunc.)
ſprâk (laeſio levis) âl (lorum) âll (anguilla) bâl (rogus)
kâl (caulis) mâl (tempus) mâla (pingere) ſkâl (patera)
ſkâli (cubile) tâl (dolus) klâm (obſcoenitas) nâm (praeda)
þâm (aër egelidus) frân (nitens) mâni (luna) rân (rapina)
drâp (caedes) ſnâpr (ſtultus) tâp (vigor) âr (annus) âr
(miniſter) blâr (lividus) dâri (ſtnltus) fâr (periculum) flâr
(callidus) frâr (pernix) grâr (canus) hâr (crinis) hlâr (laxus)
hnâr (ſtrenuus) hrâr (crudus) kl[ä]r (clarus) nâr (funus)
blâſa (ſpirare) dâs (candela tenuis) krâs (pulpamentum)
vâs (udor) lâs (ſera) mâs (anhelitus) gât (cura) grâta (flere)
kâtr (laetus) lâta (linquere) mâti (modus) etc. — 3) durch
den ausfall eines organiſchen h. ſcheint die verlängerung des
a entſprungen in: â (aqua) lân (mutuum) târ (lacrima)

*) Ueber dieſes o hernaoh bei dem 5ten fall des nord. â; aber
auch ſonſt haben alte hſſ. o für â und umgekehrt â für o
(ſtatt ö) z. b. hânom (illi) f. hönum (ſ. unten beim ö).
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[285/0311] I. altnordiſche vocale. (AA) â, ich brauche für dieſen und alle übrigen dehnlaute den circumflex, ſt. des in den nord. ausgaben befindlichen acutus, wie auch ſchon Raſk §. 13. vor- ſchlägt. Das nord. â entſpricht dem alth. â in den wör- tern und wohl auch in der ausſprache, welche urſprüng- lich áa geweſen ſeyn muß, allmählig aber nach zeit und ort in áo, áu, av, å und ſelbſt o *) vergierte. Raſk nimmt die ausſprache av als regel, bei vorausſtehendem v ausnahmsweiſe o an, weil ſich z. b. ſvâ, vâru nicht wohl ſvav, vavru ſprechen ließe, ſondern ſvo, voru, und eben darum ſchreiben viele: vo, vogr, vopn, vos, vod ſt. vâ, vâgr, vâs, vâd etc. Da indeſſen im hâtta- lykill ſvâ: â (habet) reimt und letzteres wort damahls ſchwerlich wie ein bloßes o lautete, ſo mag man we- der av noch o, vielmehr áa, vielleicht áe, mit hin- neigung zum angelſ. æ und goth. ê geſprochen haben. Übrigens ſind nicht alle nord. â organiſch, ſondern einige in fällen entſprungen, wo ihnen kein goth. ê und alth. â parallel ſteht, wie ſich ſogleich ergeben wird. Die einzelnen fälle des nord. â ſind nämlich: 1) die ablaute im pl. praet. gâfu, lâſu, bâru etc. 2) bei folgendem einfachen conſ. ohne daß andere weggefallen ſcheinen: brâd (eſca) brâdr (citus) dâd (virtus) fâdr (ornatus) grâ- dugr (avidus) hâd (ludibrium) hâdr (commiſſus) klâdi (ſcabies) mâdr (tritus) nâd (gratia) râd (conſilium) ſâd (ſemen) ſnâd (cibus) þrâdr (filum) gâfa (donum) bâgr (protervus) mâgr (affinis) lâgr (brevis) tâg (vimen) vâgr (mare) krâka (cornix) râk (diſcrimen) ſkâk (ludus latrunc.) ſprâk (laeſio levis) âl (lorum) âll (anguilla) bâl (rogus) kâl (caulis) mâl (tempus) mâla (pingere) ſkâl (patera) ſkâli (cubile) tâl (dolus) klâm (obſcoenitas) nâm (praeda) þâm (aër egelidus) frân (nitens) mâni (luna) rân (rapina) drâp (caedes) ſnâpr (ſtultus) tâp (vigor) âr (annus) âr (miniſter) blâr (lividus) dâri (ſtnltus) fâr (periculum) flâr (callidus) frâr (pernix) grâr (canus) hâr (crinis) hlâr (laxus) hnâr (ſtrenuus) hrâr (crudus) klär (clarus) nâr (funus) blâſa (ſpirare) dâs (candela tenuis) krâs (pulpamentum) vâs (udor) lâs (ſera) mâs (anhelitus) gât (cura) grâta (flere) kâtr (laetus) lâta (linquere) mâti (modus) etc. — 3) durch den ausfall eines organiſchen h. ſcheint die verlängerung des a entſprungen in: â (aqua) lân (mutuum) târ (lacrima) *) Ueber dieſes o hernaoh bei dem 5ten fall des nord. â; aber auch ſonſt haben alte hſſ. o für â und umgekehrt â für o (ſtatt ö) z. b. hânom (illi) f. hönum (ſ. unten beim ö).

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/311>, abgerufen am 22.11.2024.