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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. von den buchstaben insgemein.
einen ton, sey es den hohen oder tiefen; die zweisilbi-
gen auf der penult. die dreisilbigen auf der antepen.
desgleichen. In zweisilbigen wörtern ist die letzte ton-
los, in dreisilbigen die letzte ebenfalls tonlos, die vor-
letzte entweder stumm (bilidot) oder nur tonlos, mitun-
ter vielleicht tieftonig smaheti, frumono, steinotin). Nie
also, und darauf kommt es mir an, kann die letzte silbe
stumm seyn, welches sie wird, wenn eine kurze silbe
vorausgeht; mit andern worten, Otfried bedient sich nie
in seinem ganzen gedicht *) zweisilbiger wörter, deren
erste silbe (d. h. wurzel) prosodisch kurz ist, wohin
eine menge von den geläufigsten wörtern gehört, als:
lesan, wesan, grebir, zelit, sito (mos) buhil, neman,
nimit, himil, thegan, felis etc. Bekommen solche wör-
ter noch eine silbe, verstummt mithin penult., so dienen
sie ihm häufig stumpf oder klingend, nachdem sie auf
ein einsilbiges oder mehrsilbiges wort reimen, menigei.
sitota, obana, fadumon, zelitun, buhiles, giscribauer:
bilibaner etc. II. Mittelhochdeutsche periode. Jetzt gilt
gleichlaut, höchstens reimen einzelne ungleiche doch
verwandte consonanten, aber der vocal muß genau stim-
men, und sprache reimt nicht mehr auf sache. Stumpfe
reime a) einsilb. auf einsilb. wörter. b) einsilb auf mehr-
silbige noch zuweilen, als tot: morderot. c) zweisilb.
auf zweisilb. mit vorletzter kurzer. als lesen, wesen;
site: mite; riten: siten; degen: wegen; legen: stegen;
bliben: geschriben etc. d) zweisilb. auf dreisilbige mit
langer antepen. als ligen: heiligen. e) mehrsilb. auf
mehrsilbige, aber wobei bloß die unbetonte endsilbe in
betracht kommt **). Klingende a) zweisilb. auf zweisilb.
mit vorletzter langer, als jaren: waren; alten: halten.
b) dreisilb. auf dreisilbige mit kurzer antep. als edele:

*) Insofern mir bei der durchsicht nicht einzelne ausuahmen
entgangen seyn sollten, welche der durchgreifenden regel
doch nicht viel benehmen würden. Scheinbare ausnah-
men sind: inan IV. 24, 29. (man verbinde: niminau),
suerit: werit II. 19, 13, (man 1. suerje: werje) und so
laßen sich ähnliche andere rechtsertigen; einigemahl
scheint der dichter wiewohl selten ein solches wort, doch
stets im reim auf ein anderes regelrecht stumpf oder klin-
gendes zuzulaßen; daß ihrer zwei auf einander reimen,
glaube ich nicht.
**) Lachmanns auswahl XVII. not. 8. solche reime sind volks-
mäßig und selten, Otfrieds sämmtliche klingende für
stumpse dieser art zu erklären scheint mir sehr gewagt.
B

I. von den buchſtaben insgemein.
einen ton, ſey es den hohen oder tiefen; die zweiſilbi-
gen auf der penult. die dreiſilbigen auf der antepen.
desgleichen. In zweiſilbigen wörtern iſt die letzte ton-
los, in dreiſilbigen die letzte ebenfalls tonlos, die vor-
letzte entweder ſtumm (bilidôt) oder nur tonlos, mitun-
ter vielleicht tieftonig ſmâhêti, frumôno, ſteinôtin). Nie
alſo, und darauf kommt es mir an, kann die letzte ſilbe
ſtumm ſeyn, welches ſie wird, wenn eine kurze ſilbe
vorausgeht; mit andern worten, Otfried bedient ſich nie
in ſeinem ganzen gedicht *) zweiſilbiger wörter, deren
erſte ſilbe (d. h. wurzel) proſodiſch kurz iſt, wohin
eine menge von den geläufigſten wörtern gehört, als:
lëſan, wëſan, grebir, zelit, ſito (mos) buhil, nëman,
nimit, himil, thëgan, fëlis etc. Bekommen ſolche wör-
ter noch eine ſilbe, verſtummt mithin penult., ſo dienen
ſie ihm häufig ſtumpf oder klingend, nachdem ſie auf
ein einſilbiges oder mehrſilbiges wort reimen, menigî.
ſitôta, obana, fadumon, zelitun, buhiles, giſcribauêr:
bilibanêr etc. II. Mittelhochdeutſche periode. Jetzt gilt
gleichlaut, höchſtens reimen einzelne ungleiche doch
verwandte conſonanten, aber der vocal muß genau ſtim-
men, und ſprâche reimt nicht mehr auf ſache. Stumpfe
reime a) einſilb. auf einſilb. wörter. b) einſilb auf mehr-
ſilbige noch zuweilen, als tôt: morderôt. c) zweiſilb.
auf zweiſilb. mit vorletzter kurzer. als lëſen, wëſen;
ſite: mite; riten: ſiten; dëgen: wëgen; legen: ſtegen;
bliben: geſchriben etc. d) zweiſilb. auf dreiſilbige mit
langer antepen. als ligen: heiligen. e) mehrſilb. auf
mehrſilbige, aber wobei bloß die unbetonte endſilbe in
betracht kommt **). Klingende a) zweiſilb. auf zweiſilb.
mit vorletzter langer, als jâren: wâren; alten: halten.
b) dreiſilb. auf dreiſilbige mit kurzer antep. als edele:

*) Inſofern mir bei der durchſicht nicht einzelne ausuahmen
entgangen ſeyn ſollten, welche der durchgreifenden regel
doch nicht viel benehmen würden. Scheinbare ausnah-
men ſind: inan IV. 24, 29. (man verbinde: niminau),
ſuerit: werit II. 19, 13, (man 1. ſuerje: werje) und ſo
laßen ſich ähnliche andere rechtſertigen; einigemahl
ſcheint der dichter wiewohl ſelten ein ſolches wort, doch
ſtets im reim auf ein anderes regelrecht ſtumpf oder klin-
gendes zuzulaßen; daß ihrer zwei auf einander reimen,
glaube ich nicht.
**) Lachmanns auswahl XVII. not. 8. ſolche reime ſind volks-
mäßig und ſelten, Otfrieds ſämmtliche klingende für
ſtumpſe dieſer art zu erklären ſcheint mir ſehr gewagt.
B
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[17/0043] I. von den buchſtaben insgemein. einen ton, ſey es den hohen oder tiefen; die zweiſilbi- gen auf der penult. die dreiſilbigen auf der antepen. desgleichen. In zweiſilbigen wörtern iſt die letzte ton- los, in dreiſilbigen die letzte ebenfalls tonlos, die vor- letzte entweder ſtumm (bilidôt) oder nur tonlos, mitun- ter vielleicht tieftonig ſmâhêti, frumôno, ſteinôtin). Nie alſo, und darauf kommt es mir an, kann die letzte ſilbe ſtumm ſeyn, welches ſie wird, wenn eine kurze ſilbe vorausgeht; mit andern worten, Otfried bedient ſich nie in ſeinem ganzen gedicht *) zweiſilbiger wörter, deren erſte ſilbe (d. h. wurzel) proſodiſch kurz iſt, wohin eine menge von den geläufigſten wörtern gehört, als: lëſan, wëſan, grebir, zelit, ſito (mos) buhil, nëman, nimit, himil, thëgan, fëlis etc. Bekommen ſolche wör- ter noch eine ſilbe, verſtummt mithin penult., ſo dienen ſie ihm häufig ſtumpf oder klingend, nachdem ſie auf ein einſilbiges oder mehrſilbiges wort reimen, menigî. ſitôta, obana, fadumon, zelitun, buhiles, giſcribauêr: bilibanêr etc. II. Mittelhochdeutſche periode. Jetzt gilt gleichlaut, höchſtens reimen einzelne ungleiche doch verwandte conſonanten, aber der vocal muß genau ſtim- men, und ſprâche reimt nicht mehr auf ſache. Stumpfe reime a) einſilb. auf einſilb. wörter. b) einſilb auf mehr- ſilbige noch zuweilen, als tôt: morderôt. c) zweiſilb. auf zweiſilb. mit vorletzter kurzer. als lëſen, wëſen; ſite: mite; riten: ſiten; dëgen: wëgen; legen: ſtegen; bliben: geſchriben etc. d) zweiſilb. auf dreiſilbige mit langer antepen. als ligen: heiligen. e) mehrſilb. auf mehrſilbige, aber wobei bloß die unbetonte endſilbe in betracht kommt **). Klingende a) zweiſilb. auf zweiſilb. mit vorletzter langer, als jâren: wâren; alten: halten. b) dreiſilb. auf dreiſilbige mit kurzer antep. als edele: *) Inſofern mir bei der durchſicht nicht einzelne ausuahmen entgangen ſeyn ſollten, welche der durchgreifenden regel doch nicht viel benehmen würden. Scheinbare ausnah- men ſind: inan IV. 24, 29. (man verbinde: niminau), ſuerit: werit II. 19, 13, (man 1. ſuerje: werje) und ſo laßen ſich ähnliche andere rechtſertigen; einigemahl ſcheint der dichter wiewohl ſelten ein ſolches wort, doch ſtets im reim auf ein anderes regelrecht ſtumpf oder klin- gendes zuzulaßen; daß ihrer zwei auf einander reimen, glaube ich nicht. **) Lachmanns auswahl XVII. not. 8. ſolche reime ſind volks- mäßig und ſelten, Otfrieds ſämmtliche klingende für ſtumpſe dieſer art zu erklären ſcheint mir ſehr gewagt. B

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/43>, abgerufen am 21.11.2024.