Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.I. mittelhochdeutsche buchstaben. schlußbem. goth. mota) etc.; will man nun hier einen wirklichenübergang des au in ou annehmen (au wird obendrein durch pischolf aus pischouf, nicht pischalf aus pi- schauf widerlegt, s. 444.) folglich ein ouf, hous, houg; so ist das weder ausschließend steirisch, noch einmahl bairisch, sondern streift tiefer in Deutschland hinein. Gegen ei für ei streitet mir theils die kürzung des ei in i (s. 369.) theils die entwickelung des ei aus i; wie sollte pfleit, geit aus pfligt, gibt werden? pfleit, geit begreift sich. Eher oberdeutsch dürfte Ottocars -nus f. -nis, nisse (vancnus:gus, kus reimend) scheinen; hiervon bei der wortbildung; sein sun (filius):tuon, sein vier, trier:mir sind wieder allgemeiner (s. 359. 351.); sein van (st. von):an, man etc. kann noch weniger für steirisch gelten, dem ersten anblick nach fast für niederd., woran auch sein häufiges draven oder dra- fen (tolutim ingredi) in reim auf graven, grafen (denn a:a reimen ihm öfters) und gedraft:geselleschaft er- innert. Ottocar gewährt also kein kennzeichen ober- deutscher mundart, das von den gemeinmittelh. buch- stabenverhältnissen sicher abwiche. Ich habe ihn ab- sichtlich vorangestellt, weil man dergleichen bei ei- nem vom einfluße der künstlichen poesie unabhängi- gen verfaßer, dessen dialectische abweichung in for- men und wörtern auch offenbar ist, gerade am ersten erwarten durfte. Wie viel schwerer wird die unter- suchung bei den berühmten dichtern des 13. jahrh. fallen. Jede freie, edele poesie strebt aus dem beson- deren und gemeinen heraus und über den unendli- chen, ja grellen zwiespalt niederer idiome erhebt sich eine die gebildeten theile des volks verbindende sprache, in welcher zwar landschaftliche grundlagen immer noch vorhanden sind, nur weit leiser hervor- tauchen. Dazu tritt, daß die meisten dichter jener zeit wanderten und mit den sprachabweichungen an- derer gegenden bekannt wurden, wenn sich schon die eigenthümlichkeit ihrer einheimischen mundart nie ganz verwischte. Bei einzelnen müßen wir vorbilder und lehrer voraussetzen, die auf sprache und reim- kunst nicht ohne einfluß geblieben seyn können. Endlich sind wir über den wahren geburtsort man- cher ausgezeichneten meister noch unaufgeklärt. Hart- mann scheint z. b. ein Schwabe, hielt sich aber ver- muthlich in franken auf und sein muster wirkte auf Wirnt, der Wolframs landsmann heißen könnte, I. mittelhochdeutſche buchſtaben. ſchlußbem. goth. môta) etc.; will man nun hier einen wirklichenübergang des û in ou annehmen (au wird obendrein durch piſcholf aus piſchouf, nicht piſchalf aus pi- ſchauf widerlegt, ſ. 444.) folglich ein ouf, hous, houg; ſo iſt das weder ausſchließend ſteiriſch, noch einmahl bairiſch, ſondern ſtreift tiefer in Deutſchland hinein. Gegen ei für î ſtreitet mir theils die kürzung des î in i (ſ. 369.) theils die entwickelung des î aus i; wie ſollte pfleit, geit aus pfligt, gibt werden? pflît, gît begreift ſich. Eher oberdeutſch dürfte Ottocars -nus f. -nis, niſſe (vancnus:gus, kus reimend) ſcheinen; hiervon bei der wortbildung; ſein ſun (filius):tuon, ſein vier, trier:mir ſind wieder allgemeiner (ſ. 359. 351.); ſein van (ſt. von):an, man etc. kann noch weniger für ſteiriſch gelten, dem erſten anblick nach faſt für niederd., woran auch ſein häufiges draven oder dra- fen (tolutim ingredi) in reim auf grâven, grâfen (denn a:â reimen ihm öfters) und gedraft:geſelleſchaft er- innert. Ottocar gewährt alſo kein kennzeichen ober- deutſcher mundart, das von den gemeinmittelh. buch- ſtabenverhältniſſen ſicher abwiche. Ich habe ihn ab- ſichtlich vorangeſtellt, weil man dergleichen bei ei- nem vom einfluße der künſtlichen poeſie unabhängi- gen verfaßer, deſſen dialectiſche abweichung in for- men und wörtern auch offenbar iſt, gerade am erſten erwarten durfte. Wie viel ſchwerer wird die unter- ſuchung bei den berühmten dichtern des 13. jahrh. fallen. Jede freie, edele poëſie ſtrebt aus dem beſon- deren und gemeinen heraus und über den unendli- chen, ja grellen zwieſpalt niederer idiome erhebt ſich eine die gebildeten theile des volks verbindende ſprache, in welcher zwar landſchaftliche grundlagen immer noch vorhanden ſind, nur weit leiſer hervor- tauchen. Dazu tritt, daß die meiſten dichter jener zeit wanderten und mit den ſprachabweichungen an- derer gegenden bekannt wurden, wenn ſich ſchon die eigenthümlichkeit ihrer einheimiſchen mundart nie ganz verwiſchte. Bei einzelnen müßen wir vorbilder und lehrer vorausſetzen, die auf ſprache und reim- kunſt nicht ohne einfluß geblieben ſeyn können. Endlich ſind wir über den wahren geburtsort man- cher ausgezeichneten meiſter noch unaufgeklärt. Hart- mann ſcheint z. b. ein Schwabe, hielt ſich aber ver- muthlich in franken auf und ſein muſter wirkte auf Wirnt, der Wolframs landsmann heißen könnte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <list> <item><pb facs="#f0474" n="448"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">mittelhochdeutſche buchſtaben. ſchlußbem.</hi></fw><lb/> goth. môta) etc.; will man nun hier einen wirklichen<lb/> übergang des û in <hi rendition="#i">ou</hi> annehmen (<hi rendition="#i">au</hi> wird obendrein<lb/> durch piſcholf aus piſchouf, nicht piſchalf aus pi-<lb/> ſchauf widerlegt, ſ. 444.) folglich ein ouf, hous, houg;<lb/> ſo iſt das weder ausſchließend ſteiriſch, noch einmahl<lb/> bairiſch, ſondern ſtreift tiefer in Deutſchland hinein.<lb/> Gegen <hi rendition="#i">ei</hi> für î ſtreitet mir theils die kürzung des î<lb/> in i (ſ. 369.) theils die entwickelung des î aus i; wie<lb/> ſollte pfleit, geit aus pfligt, gibt werden? pflît, gît<lb/> begreift ſich. Eher oberdeutſch dürfte Ottocars <hi rendition="#i">-nus</hi><lb/> f. -nis, niſſe (vancnus:gus, kus reimend) ſcheinen;<lb/> hiervon bei der wortbildung; ſein <hi rendition="#i">ſun</hi> (filius):<hi rendition="#i">tuon</hi>,<lb/> ſein <hi rendition="#i">vier, trier</hi>:<hi rendition="#i">mir</hi> ſind wieder allgemeiner (ſ. 359. 351.);<lb/> ſein <hi rendition="#i">van</hi> (ſt. von):an, man etc. kann noch weniger<lb/> für ſteiriſch gelten, dem erſten anblick nach faſt für<lb/> niederd., woran auch ſein häufiges <hi rendition="#i">draven</hi> oder dra-<lb/> fen (tolutim ingredi) in reim auf grâven, grâfen (denn<lb/> a:â reimen ihm öfters) und <hi rendition="#i">gedraft</hi>:geſelleſchaft er-<lb/> innert. Ottocar gewährt alſo kein kennzeichen ober-<lb/> deutſcher mundart, das von den gemeinmittelh. buch-<lb/> ſtabenverhältniſſen ſicher abwiche. Ich habe ihn ab-<lb/> ſichtlich vorangeſtellt, weil man dergleichen bei ei-<lb/> nem vom einfluße der künſtlichen poeſie unabhängi-<lb/> gen verfaßer, deſſen dialectiſche abweichung in for-<lb/> men und wörtern auch offenbar iſt, gerade am erſten<lb/> erwarten durfte. Wie viel ſchwerer wird die unter-<lb/> ſuchung bei den berühmten dichtern des 13. jahrh.<lb/> fallen. Jede freie, edele poëſie ſtrebt aus dem beſon-<lb/> deren und gemeinen heraus und über den unendli-<lb/> chen, ja grellen zwieſpalt niederer idiome erhebt ſich<lb/> eine die gebildeten theile des volks verbindende<lb/> ſprache, in welcher zwar landſchaftliche grundlagen<lb/> immer noch vorhanden ſind, nur weit leiſer hervor-<lb/> tauchen. Dazu tritt, daß die meiſten dichter jener<lb/> zeit wanderten und mit den ſprachabweichungen an-<lb/> derer gegenden bekannt wurden, wenn ſich ſchon die<lb/> eigenthümlichkeit ihrer einheimiſchen mundart nie<lb/> ganz verwiſchte. Bei einzelnen müßen wir vorbilder<lb/> und lehrer vorausſetzen, die auf ſprache und reim-<lb/> kunſt nicht ohne einfluß geblieben ſeyn können.<lb/> Endlich ſind wir über den wahren geburtsort man-<lb/> cher ausgezeichneten meiſter noch unaufgeklärt. Hart-<lb/> mann ſcheint z. b. ein Schwabe, hielt ſich aber ver-<lb/> muthlich in franken auf und ſein muſter wirkte<lb/> auf Wirnt, der Wolframs landsmann heißen könnte,<lb/></item> </list> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [448/0474]
I. mittelhochdeutſche buchſtaben. ſchlußbem.
goth. môta) etc.; will man nun hier einen wirklichen
übergang des û in ou annehmen (au wird obendrein
durch piſcholf aus piſchouf, nicht piſchalf aus pi-
ſchauf widerlegt, ſ. 444.) folglich ein ouf, hous, houg;
ſo iſt das weder ausſchließend ſteiriſch, noch einmahl
bairiſch, ſondern ſtreift tiefer in Deutſchland hinein.
Gegen ei für î ſtreitet mir theils die kürzung des î
in i (ſ. 369.) theils die entwickelung des î aus i; wie
ſollte pfleit, geit aus pfligt, gibt werden? pflît, gît
begreift ſich. Eher oberdeutſch dürfte Ottocars -nus
f. -nis, niſſe (vancnus:gus, kus reimend) ſcheinen;
hiervon bei der wortbildung; ſein ſun (filius):tuon,
ſein vier, trier:mir ſind wieder allgemeiner (ſ. 359. 351.);
ſein van (ſt. von):an, man etc. kann noch weniger
für ſteiriſch gelten, dem erſten anblick nach faſt für
niederd., woran auch ſein häufiges draven oder dra-
fen (tolutim ingredi) in reim auf grâven, grâfen (denn
a:â reimen ihm öfters) und gedraft:geſelleſchaft er-
innert. Ottocar gewährt alſo kein kennzeichen ober-
deutſcher mundart, das von den gemeinmittelh. buch-
ſtabenverhältniſſen ſicher abwiche. Ich habe ihn ab-
ſichtlich vorangeſtellt, weil man dergleichen bei ei-
nem vom einfluße der künſtlichen poeſie unabhängi-
gen verfaßer, deſſen dialectiſche abweichung in for-
men und wörtern auch offenbar iſt, gerade am erſten
erwarten durfte. Wie viel ſchwerer wird die unter-
ſuchung bei den berühmten dichtern des 13. jahrh.
fallen. Jede freie, edele poëſie ſtrebt aus dem beſon-
deren und gemeinen heraus und über den unendli-
chen, ja grellen zwieſpalt niederer idiome erhebt ſich
eine die gebildeten theile des volks verbindende
ſprache, in welcher zwar landſchaftliche grundlagen
immer noch vorhanden ſind, nur weit leiſer hervor-
tauchen. Dazu tritt, daß die meiſten dichter jener
zeit wanderten und mit den ſprachabweichungen an-
derer gegenden bekannt wurden, wenn ſich ſchon die
eigenthümlichkeit ihrer einheimiſchen mundart nie
ganz verwiſchte. Bei einzelnen müßen wir vorbilder
und lehrer vorausſetzen, die auf ſprache und reim-
kunſt nicht ohne einfluß geblieben ſeyn können.
Endlich ſind wir über den wahren geburtsort man-
cher ausgezeichneten meiſter noch unaufgeklärt. Hart-
mann ſcheint z. b. ein Schwabe, hielt ſich aber ver-
muthlich in franken auf und ſein muſter wirkte
auf Wirnt, der Wolframs landsmann heißen könnte,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |