Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

I. mittelniederländische consonanten. guttural.
ninghes (nicht coninch, coninchs). darum reimt ganc
(ganghes) auf danc (dankes) dranc Maerl. 3, 23. 1, 138;
hingegen gilt der auslaut rch z. b. berch, gen. berghes
oder berchs (Maerl. 1, 36.) nicht berc, gen. berx, folg-
lich nicht reimend auf werc (opus) clerc (clericus).
Vermutblich auch lch, z. b. balch, balchs, kein balc,
balx. Der mittelh asp. ch ist dieses niederl. ch. nicht
genan zu vergleichen, es scheint mehr auslautende
schärfung des gh. daher meine behauptung s. 424. daß
vom g kein sprung auf ch füge, darunter nicht leidet.
Denn ch entspringt hier aus gh. -- 2) in der verbind.
cht gleicht ch dem mittelh. ht, ausnahmsweise dem st;
mehr davon unten -- 3) ch vertritt das roman. c frem-
der wörter, vgl cheins (census) Maerl. 1, 151. 330. mache-
done 1, 147. perche (persia) perchevael (perceval) woneben
aber auch ts und s geschrieben wird, als tseins 2, 141. perse,
pertsevael. Merkwürdiger ist das aus dem hochd mit
beibehaltnem zischlaut geborgte chieren (ornare) chierleic
(ornatus) chierheit (pretiositas) Maerl. 1, 8, 133. 256. 3,
250. auch cierleic, sierleic geschrieben Huyd op St. 1, 356;
oder gehört es unter die s. 497. besprochenen wörter,
deren ts. s dem hochd. z entspricht? und hat die nie-
derd mundart nicht ein dem hochd. zier analogeres tier
beseßen? (vgl. s. 121. 151.) wobei selbst die niederl. re-
densart goedertiere, quadertiere, meneghertiere, twetiere,
putertiere (Maerl. 1, 8. 277. 322. 2, 30. aant. 143.) erwä-
gung fordert. Wäre aber auch letzteres tier ganz ver-
schieden von ersterem chier so glaube ich doch kaum,
daß man dieses aus dem roman. cher, chier leiten dürfe,
weil das neuniederl. versieren, vercieren ganz die be-
deutung des hochd. verzieren (ausschmücken) hat.

(H) gilt nur anlautend und zwar herrscht hier ganz
der s. 188. bemerkte doppelte fehler 1) daß ein ungehö-
riges h dem reinen vocalanlaut vorgeschoben wird, z. b.
heten, hat, hecht, horen, hoghen, het, heis, hodevaer, hout,
hoever, haut etc. statt eten (edere) at (edebat) echt (postea)
oren (aures) oghen (oculi) et (juramentum) eis (glacies)
odevaer (ciconia) aut (ex) out (vetus) oever (ripa); desgl.
in der composition z. b. ontherven ghehent f. onterven
(exhereditare) gheent (finitus). 2) daß umgekehrt das ge-
hörige h aphärese leidet, z. b. adde, alp, aerde, och, ane f.
hadde (habuit) halp (juvit) haerde (duriter) hoch (altus) hane
(gallus) und inder compos. heilecheit, boef, bendeli ke,
reinaert, reinout f. heilechheit, behoef (necessitas) be-
hendelike, reinhaert, reinhout. Beides ist der sprache

I. mittelniederländiſche conſonanten. guttural.
ninghes (nicht coninch, coninchs). darum reimt ganc
(ganghes) auf danc (dankes) dranc Maerl. 3, 23. 1, 138;
hingegen gilt der auslaut rch z. b. bërch, gen. bërghes
oder bërchs (Maerl. 1, 36.) nicht bërc, gen. bërx, folg-
lich nicht reimend auf wërc (opus) clërc (clericus).
Vermutblich auch lch, z. b. balch, balchs, kein balc,
balx. Der mittelh aſp. ch iſt dieſes niederl. ch. nicht
genan zu vergleichen, es ſcheint mehr auslautende
ſchärfung des gh. daher meine behauptung ſ. 424. daß
vom g kein ſprung auf ch füge, darunter nicht leidet.
Denn ch entſpringt hier aus gh. — 2) in der verbind.
cht gleicht ch dem mittelh. ht, ausnahmsweiſe dem ſt;
mehr davon unten — 3) ch vertritt das roman. c frem-
der wörter, vgl cheins (cenſus) Maerl. 1, 151. 330. machë-
done 1, 147. përche (perſia) përchevael (perceval) woneben
aber auch tſ und ſ geſchrieben wird, als tſeins 2, 141. përſe,
përtſevael. Merkwürdiger iſt das aus dem hochd mit
beibehaltnem ziſchlaut geborgte chieren (ornare) chierlîc
(ornatus) chierheit (pretioſitas) Maerl. 1, 8, 133. 256. 3,
250. auch cierlîc, ſierlîc geſchrieben Huyd op St. 1, 356;
oder gehört es unter die ſ. 497. beſprochenen wörter,
deren tſ. ſ dem hochd. z entſpricht? und hat die nie-
derd mundart nicht ein dem hochd. zier analogeres tier
beſeßen? (vgl. ſ. 121. 151.) wobei ſelbſt die niederl. re-
densart goedertiere, quadertiere, mëneghertiere, twêtiere,
putertiere (Maerl. 1, 8. 277. 322. 2, 30. aant. 143.) erwä-
gung fordert. Wäre aber auch letzteres tier ganz ver-
ſchieden von erſterem chier ſo glaube ich doch kaum,
daß man dieſes aus dem roman. cher, chier leiten dürfe,
weil das neuniederl. verſieren, vercieren ganz die be-
deutung des hochd. verzieren (ausſchmücken) hat.

(H) gilt nur anlautend und zwar herrſcht hier ganz
der ſ. 188. bemerkte doppelte fehler 1) daß ein ungehö-
riges h dem reinen vocalanlaut vorgeſchoben wird, z. b.
hëten, hat, hëcht, horen, hoghen, hêt, hîs, hodevaer, hout,
hoever, hût etc. ſtatt ëten (edere) at (edebat) ëcht (poſtea)
oren (aures) oghen (oculi) êt (juramentum) îs (glacies)
odevaer (ciconia) ût (ex) out (vetus) oever (ripa); desgl.
in der compoſition z. b. onthërven ghëhënt f. ontërven
(exhereditare) ghëënt (finitus). 2) daß umgekehrt das ge-
hörige h aphäreſe leidet, z. b. adde, alp, aerde, ôch, ane f.
hadde (habuit) halp (juvit) haerde (duriter) hôch (altus) hane
(gallus) und inder compoſ. heilecheit, boef, bëndeli ke,
reinaert, reinout f. heilechheit, behoef (neceſſitas) be-
hëndelike, reinhaert, reinhout. Beides iſt der ſprache

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0528" n="502"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">mittelniederländi&#x017F;che con&#x017F;onanten. guttural.</hi></fw><lb/>
ninghes (nicht coninch, coninchs). darum reimt ganc<lb/>
(ganghes) auf danc (dankes) dranc Maerl. 3, 23. 1, 138;<lb/>
hingegen gilt der auslaut <hi rendition="#i">rch</hi> z. b. bërch, gen. bërghes<lb/>
oder bërchs (Maerl. 1, 36.) nicht bërc, gen. bërx, folg-<lb/>
lich nicht reimend auf wërc (opus) clërc (clericus).<lb/>
Vermutblich auch lch, z. b. balch, balchs, kein balc,<lb/>
balx. Der mittelh a&#x017F;p. ch i&#x017F;t die&#x017F;es niederl. ch. nicht<lb/>
genan zu vergleichen, es &#x017F;cheint mehr auslautende<lb/>
&#x017F;chärfung des gh. daher meine behauptung &#x017F;. 424. daß<lb/>
vom g kein &#x017F;prung auf ch füge, darunter nicht leidet.<lb/>
Denn ch ent&#x017F;pringt hier aus gh. &#x2014; 2) in der verbind.<lb/><hi rendition="#i">cht</hi> gleicht ch dem mittelh. ht, ausnahmswei&#x017F;e dem &#x017F;t;<lb/>
mehr davon unten &#x2014; 3) ch vertritt das roman. c frem-<lb/>
der wörter, vgl cheins (cen&#x017F;us) Maerl. 1, 151. 330. machë-<lb/>
done 1, 147. përche (per&#x017F;ia) përchevael (perceval) woneben<lb/>
aber auch t&#x017F; und &#x017F; ge&#x017F;chrieben wird, als t&#x017F;eins 2, 141. për&#x017F;e,<lb/>
përt&#x017F;evael. Merkwürdiger i&#x017F;t das aus dem hochd mit<lb/>
beibehaltnem zi&#x017F;chlaut geborgte chieren (ornare) chierlîc<lb/>
(ornatus) chierheit (pretio&#x017F;itas) Maerl. 1, 8, 133. 256. 3,<lb/>
250. auch cierlîc, &#x017F;ierlîc ge&#x017F;chrieben Huyd op St. 1, 356;<lb/>
oder gehört es unter die &#x017F;. 497. be&#x017F;prochenen wörter,<lb/>
deren t&#x017F;. &#x017F; dem hochd. z ent&#x017F;pricht? und hat die nie-<lb/>
derd mundart nicht ein dem hochd. zier analogeres tier<lb/>
be&#x017F;eßen? (vgl. &#x017F;. 121. 151.) wobei &#x017F;elb&#x017F;t die niederl. re-<lb/>
densart goedertiere, quadertiere, mëneghertiere, twêtiere,<lb/>
putertiere (Maerl. 1, 8. 277. 322. 2, 30. aant. 143.) erwä-<lb/>
gung fordert. Wäre aber auch letzteres tier ganz ver-<lb/>
&#x017F;chieden von er&#x017F;terem chier &#x017F;o glaube ich doch kaum,<lb/>
daß man die&#x017F;es aus dem roman. cher, chier leiten dürfe,<lb/>
weil das neuniederl. ver&#x017F;ieren, vercieren ganz die be-<lb/>
deutung des hochd. verzieren (aus&#x017F;chmücken) hat.</p><lb/>
              <p>(H) gilt nur anlautend und zwar herr&#x017F;cht hier ganz<lb/>
der &#x017F;. 188. bemerkte doppelte fehler 1) daß ein ungehö-<lb/>
riges h dem reinen vocalanlaut vorge&#x017F;choben wird, z. b.<lb/>
hëten, hat, hëcht, horen, hoghen, hêt, hîs, hodevaer, hout,<lb/>
hoever, hût etc. &#x017F;tatt ëten (edere) at (edebat) ëcht (po&#x017F;tea)<lb/>
oren (aures) oghen (oculi) êt (juramentum) îs (glacies)<lb/>
odevaer (ciconia) ût (ex) out (vetus) oever (ripa); desgl.<lb/>
in der compo&#x017F;ition z. b. onthërven ghëhënt f. ontërven<lb/>
(exhereditare) ghëënt (finitus). 2) daß umgekehrt das ge-<lb/>
hörige h aphäre&#x017F;e leidet, z. b. adde, alp, aerde, ôch, ane f.<lb/>
hadde (habuit) halp (juvit) haerde (duriter) hôch (altus) hane<lb/>
(gallus) und inder compo&#x017F;. heilecheit, boef, bëndeli ke,<lb/>
reinaert, reinout f. heilechheit, behoef (nece&#x017F;&#x017F;itas) be-<lb/>
hëndelike, reinhaert, reinhout. Beides i&#x017F;t der &#x017F;prache<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[502/0528] I. mittelniederländiſche conſonanten. guttural. ninghes (nicht coninch, coninchs). darum reimt ganc (ganghes) auf danc (dankes) dranc Maerl. 3, 23. 1, 138; hingegen gilt der auslaut rch z. b. bërch, gen. bërghes oder bërchs (Maerl. 1, 36.) nicht bërc, gen. bërx, folg- lich nicht reimend auf wërc (opus) clërc (clericus). Vermutblich auch lch, z. b. balch, balchs, kein balc, balx. Der mittelh aſp. ch iſt dieſes niederl. ch. nicht genan zu vergleichen, es ſcheint mehr auslautende ſchärfung des gh. daher meine behauptung ſ. 424. daß vom g kein ſprung auf ch füge, darunter nicht leidet. Denn ch entſpringt hier aus gh. — 2) in der verbind. cht gleicht ch dem mittelh. ht, ausnahmsweiſe dem ſt; mehr davon unten — 3) ch vertritt das roman. c frem- der wörter, vgl cheins (cenſus) Maerl. 1, 151. 330. machë- done 1, 147. përche (perſia) përchevael (perceval) woneben aber auch tſ und ſ geſchrieben wird, als tſeins 2, 141. përſe, përtſevael. Merkwürdiger iſt das aus dem hochd mit beibehaltnem ziſchlaut geborgte chieren (ornare) chierlîc (ornatus) chierheit (pretioſitas) Maerl. 1, 8, 133. 256. 3, 250. auch cierlîc, ſierlîc geſchrieben Huyd op St. 1, 356; oder gehört es unter die ſ. 497. beſprochenen wörter, deren tſ. ſ dem hochd. z entſpricht? und hat die nie- derd mundart nicht ein dem hochd. zier analogeres tier beſeßen? (vgl. ſ. 121. 151.) wobei ſelbſt die niederl. re- densart goedertiere, quadertiere, mëneghertiere, twêtiere, putertiere (Maerl. 1, 8. 277. 322. 2, 30. aant. 143.) erwä- gung fordert. Wäre aber auch letzteres tier ganz ver- ſchieden von erſterem chier ſo glaube ich doch kaum, daß man dieſes aus dem roman. cher, chier leiten dürfe, weil das neuniederl. verſieren, vercieren ganz die be- deutung des hochd. verzieren (ausſchmücken) hat. (H) gilt nur anlautend und zwar herrſcht hier ganz der ſ. 188. bemerkte doppelte fehler 1) daß ein ungehö- riges h dem reinen vocalanlaut vorgeſchoben wird, z. b. hëten, hat, hëcht, horen, hoghen, hêt, hîs, hodevaer, hout, hoever, hût etc. ſtatt ëten (edere) at (edebat) ëcht (poſtea) oren (aures) oghen (oculi) êt (juramentum) îs (glacies) odevaer (ciconia) ût (ex) out (vetus) oever (ripa); desgl. in der compoſition z. b. onthërven ghëhënt f. ontërven (exhereditare) ghëënt (finitus). 2) daß umgekehrt das ge- hörige h aphäreſe leidet, z. b. adde, alp, aerde, ôch, ane f. hadde (habuit) halp (juvit) haerde (duriter) hôch (altus) hane (gallus) und inder compoſ. heilecheit, boef, bëndeli ke, reinaert, reinout f. heilechheit, behoef (neceſſitas) be- hëndelike, reinhaert, reinhout. Beides iſt der ſprache

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/528
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/528>, abgerufen am 22.11.2024.