Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

I. gothische vocale.
der diphth. au in av (d. h. kurzes a und cons. v) auf-
zulösen (tavida = tauida, mithin gavi, mavi, havi =
gaui, maui, haui). Doch der gebrauch scheint sich bei
einzelnen wörtern meistens für eins oder das andere
zu erklären, ich finde z. b. nur sauil und nur stravida,
gavi, nicht savil und strauida, gaui. 2) folgt auf das
au ein ei, so wird die auflösung in av nothwendig,
als: tavei (fac), naveis (pl. von naus). Ohne zweifel
gilt dasselbe vom e, und der gen. pl. von naus würde
nave lauten *). Bei folgendem a bleibt hingegen au
(staua, bauan, nicht etwa: stava, bavan; in slavan, ta-
cere, favai, pauci ist aber das v. organisch); 3) in dem
bemerkten fall, wo das dem au folgende i in j überge-
hen muß, pflegt au zuweilen sich in o zu wandeln und
das scheint sich wieder individuell zu bestimmen. taui
macht den pl. toja (opera, st. tauja) und zum praet.
stauida lautet der inf. stojan (judicare, st. staujan). Hier-
durch unterscheidet sich fein: tauja (facio) taujis (facis)
von toja (facta) -tojis (- factor). Ich finde nie weder
einen inf. staujan, noch andrerseits froja st. frauja und
bloß der consequenten regel müste man beides toja und
tauja (opera) oder beides taui und tavi (opus) zugeben;
der lebendige gebrauch nimmt toja und taui an. -- Alle
diese angaben bewähren uns die aussprache au (und
nicht au), indem der nachdruck auf a und die flüchtig-
keit des u in dem doppellaut den übertritt des u in v
begünstigte; sobald aber der diphthong durch ein fol-
gendes j festgehalten wurde, die verdumpfung in o ein-
treten konnte. Man spreche: taui (--Breve) beinahe wie
tavi (Breve Breve) und toja beinahe wie tauja aus. Zweifelhaft
bleibt mir, ob aufto (forte) nicht aufto laute. -- Lat.
wörter zeigen in sol (sauil) langes, in oculus (augo)
kurzes o; in auris (auso), audire (hausjan) augere (au-
kan) denselben diphthongen; in caput (haubith) kurzes a.
Daß das lat. au nicht mit dem laut o zusammenfalle,
zeigt Schneider p. 61. 62.

Das goth. au gebührt, außer den ablauten vaurpun,
baurans und allen ähnlichen, nachstehender anzahl:
auhjon (tumultuari). auhns (fornax). auhsns (bos). dauh-

*) Den hebr. eigennamen nauel (noel, denn so und nicht
noe muß der Gothe gelesen haben, wiewohl ich bei Wet-
sten, Woide, Birch keine solche variante finde) wird man
nicht einwenden.

I. gothiſche vocale.
der diphth. àu in av (d. h. kurzes a und conſ. v) auf-
zulöſen (tavida = tauïda, mithin gavi, mavi, havi =
gáuï, máuï, háuï). Doch der gebrauch ſcheint ſich bei
einzelnen wörtern meiſtens für eins oder das andere
zu erklären, ich finde z. b. nur ſáuïl und nur ſtravida,
gavi, nicht ſavil und ſtráuïda, gáuï. 2) folgt auf das
áu ein ei, ſo wird die auflöſung in av nothwendig,
als: tavei (fac), naveis (pl. von náus). Ohne zweifel
gilt daſſelbe vom ê, und der gen. pl. von náus würde
navê lauten *). Bei folgendem a bleibt hingegen áu
(ſtáua, báuan, nicht etwa: ſtava, bavan; in ſlavan, ta-
cere, favái, pauci iſt aber das v. organiſch); 3) in dem
bemerkten fall, wo das dem áu folgende i in j überge-
hen muß, pflegt áu zuweilen ſich in ô zu wandeln und
das ſcheint ſich wieder individuell zu beſtimmen. táuï
macht den pl. tôja (opera, ſt. táuja) und zum praet.
ſtáuïda lautet der inf. ſtôjan (judicare, ſt. ſtáujan). Hier-
durch unterſcheidet ſich fein: táuja (facio) táujis (facis)
von tôja (facta) -tôjis (- factor). Ich finde nie weder
einen inf. ſtáujan, noch andrerſeits frôja ſt. fráuja und
bloß der conſequenten regel müſte man beides tôja und
táuja (opera) oder beides táuï und tavi (opus) zugeben;
der lebendige gebrauch nimmt tôja und táuï an. — Alle
dieſe angaben bewähren uns die ausſprache áu (und
nicht aú), indem der nachdruck auf a und die flüchtig-
keit des u in dem doppellaut den übertritt des u in v
begünſtigte; ſobald aber der diphthong durch ein fol-
gendes j feſtgehalten wurde, die verdumpfung in ô ein-
treten konnte. Man ſpreche: táuï (—⏑) beinahe wie
tavi (⏑ ⏑) und tôja beinahe wie táuja aus. Zweifelhaft
bleibt mir, ob áuftô (forte) nicht aúftô laute. — Lat.
wörter zeigen in ſôl (ſáuïl) langes, in oculus (áugô)
kurzes o; in auris (áuſô), audire (háuſjan) augere (áu-
kan) denſelben diphthongen; in caput (háubiþ) kurzes a.
Daß das lat. au nicht mit dem laut ô zuſammenfalle,
zeigt Schneider p. 61. 62.

Das goth. gebührt, außer den ablauten vaúrpun,
baúrans und allen ähnlichen, nachſtehender anzahl:
aúhjôn (tumultuari). aúhns (fornax). aúhſns (bos). daúh-

*) Den hebr. eigennamen naúêl (νοὴλ, denn ſo und nicht
νῶε muß der Gothe geleſen haben, wiewohl ich bei Wet-
ſten, Woide, Birch keine ſolche variante finde) wird man
nicht einwenden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0073" n="47"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">gothi&#x017F;che vocale.</hi></fw><lb/>
der diphth. <hi rendition="#i">àu</hi> in <hi rendition="#i">av</hi> (d. h. kurzes a und con&#x017F;. v) auf-<lb/>
zulö&#x017F;en (tavida = tauïda, mithin gavi, mavi, havi =<lb/>
gáuï, máuï, háuï). Doch der gebrauch &#x017F;cheint &#x017F;ich bei<lb/>
einzelnen wörtern mei&#x017F;tens für eins oder das andere<lb/>
zu erklären, ich finde z. b. nur &#x017F;áuïl und nur &#x017F;travida,<lb/>
gavi, nicht &#x017F;avil und &#x017F;tráuïda, gáuï. 2) folgt auf das<lb/><hi rendition="#i">áu</hi> ein <hi rendition="#i">ei</hi>, &#x017F;o wird die auflö&#x017F;ung in <hi rendition="#i">av</hi> nothwendig,<lb/>
als: tavei (fac), naveis (pl. von náus). Ohne zweifel<lb/>
gilt da&#x017F;&#x017F;elbe vom <hi rendition="#i">ê</hi>, und der gen. pl. von náus würde<lb/>
navê lauten <note place="foot" n="*)">Den hebr. eigennamen naúêl (<hi rendition="#i">&#x03BD;&#x03BF;&#x1F74;&#x03BB;</hi>, denn &#x017F;o und nicht<lb/>
&#x03BD;&#x1FF6;&#x03B5; muß der Gothe gele&#x017F;en haben, wiewohl ich bei Wet-<lb/>
&#x017F;ten, Woide, Birch keine &#x017F;olche variante finde) wird man<lb/>
nicht einwenden.</note>. Bei folgendem a bleibt hingegen áu<lb/>
(&#x017F;táua, báuan, nicht etwa: &#x017F;tava, bavan; in &#x017F;lavan, ta-<lb/>
cere, favái, pauci i&#x017F;t aber das v. organi&#x017F;ch); 3) in dem<lb/>
bemerkten fall, wo das dem <hi rendition="#i">áu</hi> folgende i in j überge-<lb/>
hen muß, pflegt <hi rendition="#i">áu</hi> zuweilen &#x017F;ich in <hi rendition="#i">ô</hi> zu wandeln und<lb/>
das &#x017F;cheint &#x017F;ich wieder individuell zu be&#x017F;timmen. táuï<lb/>
macht den pl. tôja (opera, &#x017F;t. táuja) und zum praet.<lb/>
&#x017F;táuïda lautet der inf. &#x017F;tôjan (judicare, &#x017F;t. &#x017F;táujan). Hier-<lb/>
durch unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich fein: táuja (facio) táujis (facis)<lb/>
von tôja (facta) -tôjis (- factor). Ich finde nie weder<lb/>
einen inf. &#x017F;táujan, noch andrer&#x017F;eits frôja &#x017F;t. fráuja und<lb/>
bloß der con&#x017F;equenten regel mü&#x017F;te man beides tôja und<lb/>
táuja (opera) oder beides táuï und tavi (opus) zugeben;<lb/>
der lebendige gebrauch nimmt tôja und táuï an. &#x2014; Alle<lb/>
die&#x017F;e angaben bewähren uns die aus&#x017F;prache <hi rendition="#i">áu</hi> (und<lb/>
nicht aú), indem der nachdruck auf a und die flüchtig-<lb/>
keit des u in dem doppellaut den übertritt des u in v<lb/>
begün&#x017F;tigte; &#x017F;obald aber der diphthong durch ein fol-<lb/>
gendes j fe&#x017F;tgehalten wurde, die verdumpfung in ô ein-<lb/>
treten konnte. Man &#x017F;preche: táuï (&#x2014;&#x23D1;) beinahe wie<lb/>
tavi (&#x23D1; &#x23D1;) und tôja beinahe wie táuja aus. Zweifelhaft<lb/>
bleibt mir, ob áuftô (forte) nicht aúftô laute. &#x2014; Lat.<lb/>
wörter zeigen in &#x017F;ôl (&#x017F;áuïl) langes, in oculus (áugô)<lb/>
kurzes o; in auris (áu&#x017F;ô), audire (háu&#x017F;jan) augere (áu-<lb/>
kan) den&#x017F;elben diphthongen; in caput (háubiþ) kurzes a.<lb/>
Daß das lat. <hi rendition="#i">au</hi> nicht mit dem laut ô zu&#x017F;ammenfalle,<lb/>
zeigt Schneider p. 61. 62.</p><lb/>
          <p>Das goth. <hi rendition="#i"></hi> gebührt, außer den ablauten vaúrpun,<lb/>
baúrans und allen ähnlichen, nach&#x017F;tehender anzahl:<lb/>
aúhjôn (tumultuari). aúhns (fornax). aúh&#x017F;ns (bos). daúh-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0073] I. gothiſche vocale. der diphth. àu in av (d. h. kurzes a und conſ. v) auf- zulöſen (tavida = tauïda, mithin gavi, mavi, havi = gáuï, máuï, háuï). Doch der gebrauch ſcheint ſich bei einzelnen wörtern meiſtens für eins oder das andere zu erklären, ich finde z. b. nur ſáuïl und nur ſtravida, gavi, nicht ſavil und ſtráuïda, gáuï. 2) folgt auf das áu ein ei, ſo wird die auflöſung in av nothwendig, als: tavei (fac), naveis (pl. von náus). Ohne zweifel gilt daſſelbe vom ê, und der gen. pl. von náus würde navê lauten *). Bei folgendem a bleibt hingegen áu (ſtáua, báuan, nicht etwa: ſtava, bavan; in ſlavan, ta- cere, favái, pauci iſt aber das v. organiſch); 3) in dem bemerkten fall, wo das dem áu folgende i in j überge- hen muß, pflegt áu zuweilen ſich in ô zu wandeln und das ſcheint ſich wieder individuell zu beſtimmen. táuï macht den pl. tôja (opera, ſt. táuja) und zum praet. ſtáuïda lautet der inf. ſtôjan (judicare, ſt. ſtáujan). Hier- durch unterſcheidet ſich fein: táuja (facio) táujis (facis) von tôja (facta) -tôjis (- factor). Ich finde nie weder einen inf. ſtáujan, noch andrerſeits frôja ſt. fráuja und bloß der conſequenten regel müſte man beides tôja und táuja (opera) oder beides táuï und tavi (opus) zugeben; der lebendige gebrauch nimmt tôja und táuï an. — Alle dieſe angaben bewähren uns die ausſprache áu (und nicht aú), indem der nachdruck auf a und die flüchtig- keit des u in dem doppellaut den übertritt des u in v begünſtigte; ſobald aber der diphthong durch ein fol- gendes j feſtgehalten wurde, die verdumpfung in ô ein- treten konnte. Man ſpreche: táuï (—⏑) beinahe wie tavi (⏑ ⏑) und tôja beinahe wie táuja aus. Zweifelhaft bleibt mir, ob áuftô (forte) nicht aúftô laute. — Lat. wörter zeigen in ſôl (ſáuïl) langes, in oculus (áugô) kurzes o; in auris (áuſô), audire (háuſjan) augere (áu- kan) denſelben diphthongen; in caput (háubiþ) kurzes a. Daß das lat. au nicht mit dem laut ô zuſammenfalle, zeigt Schneider p. 61. 62. Das goth. aú gebührt, außer den ablauten vaúrpun, baúrans und allen ähnlichen, nachſtehender anzahl: aúhjôn (tumultuari). aúhns (fornax). aúhſns (bos). daúh- *) Den hebr. eigennamen naúêl (νοὴλ, denn ſo und nicht νῶε muß der Gothe geleſen haben, wiewohl ich bei Wet- ſten, Woide, Birch keine ſolche variante finde) wird man nicht einwenden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/73
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/73>, abgerufen am 27.11.2024.