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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. allg. vergleichung der declination.
muß sie falsch seyn; z. b. der pl. masc. adj. blindir
weist auf ein beßeres blindeir (wie tveir, their) dem
goth. blindai, tvai, thai; alth. plinte etc. angemeßen;
ebenso stehet astir (s. 658.) für asteir; im alth. anst,
gen. ensti scheint aber wirklicher übergang des e in
ein umlautzeugerisches ei anzunehmen, nach dem goth.
ansts, anstais, anstai, pl. ansteis war anst, anste, anste,
pl. enstei erforderlich. Sollte die länge einiger altn. ca-
susvocale nicht aus der verwandlung des ihnen fol-
genden s in r zu schließen seyn? nämlich das goth.
kurze -is gen. sg. bleibt auch im altn. -s; das goth.
-aus, -os (sunaus, gibos) wird zu -ar, -ar, vermuth-
lich -ar (sonar, giafar) desgl. -ais, -eis zu -ar, -eir
(eigentlich -er, eir) als: anstais, ansteis = astar, asteir;
-os zu -ar, als: fiskos, fiskar; ich habe nicht getraut,
diese vermuthung, ohne weitere stützen in der altn.
decl. einzuführen. Im alth. pflegen (während s nach
kurzem voc. in flexionen haftet, z. b. viskes) alle
solche r abzufallen, wo sie nicht ein nachfolgender
voc. schützt, vgl. kepo, visca, enstei (st. kepor, viscar,
ensteir) hingegen plintera (st. plinterar) plintero (goth.
blindaize). Verdient der grundsatz beifall, so ge-
hört er in die buchstabenlehre, leidet aber auf ver-
wandlung des wurzelhaften s in r keine volle an-
wendung.
22) im mitt[e]lh. ergaben sich regeln über beibehaltung
oder wegwerfung tonloser und stummer flexions-
vocale. Auf andere und frühere mundarten passen sie
nicht und es bleibt hier noch vieles zu ergründen.
Wie erklärt sich z. b. die urkundliche flexion des alth.
nom. sg. masc. plinter = goth. blinds (und nicht
blindais) altn. blindr.? nach anm. 21. wäre kein plin-
ter möglich und plintr widerstrebt der alth. mundart,
der auch ein goth. fagrs, fugls ungerecht ist, wofür sie
vakarer, vogal (st. vogaler) sagen muß. Hierauf werde
ich bei den grundsätzen der wortbildung zurückkom-
men. Die alth. syncopiert kaum, apocopiert aber häufig;
die angels. altn. syncopieren öfter, apocopieren selten;
man halte die alth. adj. flexion -er, es, -emu, -an; -u,
-era etc. zum goth. -s, -is, -amma, -ana; -a, -ai-
zos etc. zum angels. -, -es, -um, -ne; -, -re etc.
zum altn. -r, -s, -um, -an; -, -rar etc. Es fehlt
aber nicht an ungleichheiten in einer und derselben
mundart. Die alth. z. b. verwirft die -u des pl.
neutr., hält aber die -i sg. der zweiten neutr. decl.
II. allg. vergleichung der declination.
muß ſie falſch ſeyn; z. b. der pl. maſc. adj. blindir
weiſt auf ein beßeres blindeir (wie tveir, þeir) dem
goth. blindái, tvái, þái; alth. plintê etc. angemeßen;
ebenſo ſtehet âſtir (ſ. 658.) für âſteir; im alth. anſt,
gen. enſtì ſcheint aber wirklicher übergang des ê in
ein umlautzeugeriſches î anzunehmen, nach dem goth.
anſts, anſtáis, anſtái, pl. anſteis war anſt, anſtê, anſtê,
pl. enſtî erforderlich. Sollte die länge einiger altn. ca-
ſusvocale nicht aus der verwandlung des ihnen fol-
genden ſ in r zu ſchließen ſeyn? nämlich das goth.
kurze -is gen. ſg. bleibt auch im altn. -s; das goth.
-áus, -ôs (ſunáus, gibôs) wird zu -ar, -ar, vermuth-
lich -âr (ſonâr, giafâr) desgl. -áis, -eis zu -âr, -îr
(eigentlich -êr, îr) als: anſtáis, anſteis = âſtâr, âſtîr;
-ôs zu -âr, als: fiſkôs, fiſkâr; ich habe nicht getraut,
dieſe vermuthung, ohne weitere ſtützen in der altn.
decl. einzuführen. Im alth. pflegen (während ſ nach
kurzem voc. in flexionen haftet, z. b. viſkes) alle
ſolche r abzufallen, wo ſie nicht ein nachfolgender
voc. ſchützt, vgl. këpô, viſcâ, enſtî (ſt. kepôr, viſcâr,
enſtîr) hingegen plintêrâ (ſt. plintêrâr) plintêrô (goth.
blindáizê). Verdient der grundſatz beifall, ſo ge-
hört er in die buchſtabenlehre, leidet aber auf ver-
wandlung des wurzelhaften ſ in r keine volle an-
wendung.
22) im mitt[e]lh. ergaben ſich regeln über beibehaltung
oder wegwerfung tonloſer und ſtummer flexions-
vocale. Auf andere und frühere mundarten paſſen ſie
nicht und es bleibt hier noch vieles zu ergründen.
Wie erklärt ſich z. b. die urkundliche flexion des alth.
nom. ſg. maſc. plintêr = goth. blinds (und nicht
blindáis) altn. blindr.? nach anm. 21. wäre kein plin-
tër möglich und plintr widerſtrebt der alth. mundart,
der auch ein goth. fagrs, fugls ungerecht iſt, wofür ſie
vakarêr, vogal (ſt. vogalêr) ſagen muß. Hierauf werde
ich bei den grundſätzen der wortbildung zurückkom-
men. Die alth. ſyncopiert kaum, apocopiert aber häufig;
die angelſ. altn. ſyncopieren öfter, apocopieren ſelten;
man halte die alth. adj. flexion -êr, ës, -emu, -an; -u,
-êrâ etc. zum goth. -s, -is, -amma, -ana; -a, -ái-
zôs etc. zum angelſ. -, -es, -um, -ne; -, -re etc.
zum altn. -r, -s, -um, -an; -, -râr etc. Es fehlt
aber nicht an ungleichheiten in einer und derſelben
mundart. Die alth. z. b. verwirft die -u des pl.
neutr., hält aber die -i ſg. der zweiten neutr. decl.
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[809/0835] II. allg. vergleichung der declination. muß ſie falſch ſeyn; z. b. der pl. maſc. adj. blindir weiſt auf ein beßeres blindeir (wie tveir, þeir) dem goth. blindái, tvái, þái; alth. plintê etc. angemeßen; ebenſo ſtehet âſtir (ſ. 658.) für âſteir; im alth. anſt, gen. enſtì ſcheint aber wirklicher übergang des ê in ein umlautzeugeriſches î anzunehmen, nach dem goth. anſts, anſtáis, anſtái, pl. anſteis war anſt, anſtê, anſtê, pl. enſtî erforderlich. Sollte die länge einiger altn. ca- ſusvocale nicht aus der verwandlung des ihnen fol- genden ſ in r zu ſchließen ſeyn? nämlich das goth. kurze -is gen. ſg. bleibt auch im altn. -s; das goth. -áus, -ôs (ſunáus, gibôs) wird zu -ar, -ar, vermuth- lich -âr (ſonâr, giafâr) desgl. -áis, -eis zu -âr, -îr (eigentlich -êr, îr) als: anſtáis, anſteis = âſtâr, âſtîr; -ôs zu -âr, als: fiſkôs, fiſkâr; ich habe nicht getraut, dieſe vermuthung, ohne weitere ſtützen in der altn. decl. einzuführen. Im alth. pflegen (während ſ nach kurzem voc. in flexionen haftet, z. b. viſkes) alle ſolche r abzufallen, wo ſie nicht ein nachfolgender voc. ſchützt, vgl. këpô, viſcâ, enſtî (ſt. kepôr, viſcâr, enſtîr) hingegen plintêrâ (ſt. plintêrâr) plintêrô (goth. blindáizê). Verdient der grundſatz beifall, ſo ge- hört er in die buchſtabenlehre, leidet aber auf ver- wandlung des wurzelhaften ſ in r keine volle an- wendung. 22) im mittelh. ergaben ſich regeln über beibehaltung oder wegwerfung tonloſer und ſtummer flexions- vocale. Auf andere und frühere mundarten paſſen ſie nicht und es bleibt hier noch vieles zu ergründen. Wie erklärt ſich z. b. die urkundliche flexion des alth. nom. ſg. maſc. plintêr = goth. blinds (und nicht blindáis) altn. blindr.? nach anm. 21. wäre kein plin- tër möglich und plintr widerſtrebt der alth. mundart, der auch ein goth. fagrs, fugls ungerecht iſt, wofür ſie vakarêr, vogal (ſt. vogalêr) ſagen muß. Hierauf werde ich bei den grundſätzen der wortbildung zurückkom- men. Die alth. ſyncopiert kaum, apocopiert aber häufig; die angelſ. altn. ſyncopieren öfter, apocopieren ſelten; man halte die alth. adj. flexion -êr, ës, -emu, -an; -u, -êrâ etc. zum goth. -s, -is, -amma, -ana; -a, -ái- zôs etc. zum angelſ. -, -es, -um, -ne; -, -re etc. zum altn. -r, -s, -um, -an; -, -râr etc. Es fehlt aber nicht an ungleichheiten in einer und derſelben mundart. Die alth. z. b. verwirft die -u des pl. neutr., hält aber die -i ſg. der zweiten neutr. decl.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/835>, abgerufen am 22.11.2024.