Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. consonantische ableitungen. G.
habe ich überlegt, ob das ei der eig-form nicht darin be-
gründet sein könne, daß dem subst., aus welchem das
adj. geleitet wird, in seiner bildung oder flexion ein -i
oder -ei zustehe? dies past auf mehrere adj. wie mahteic,
suhteic, verteic, heißmuoteic u. a. muß aber verworfen
werden wegen megineic, paloweic, jareic, tageic etc. und
weil umgekehrt -ac bei notac besteht. Hauptsache ist also,
das urtheil über ihre bedeutung noch offen haltend, erst
aus den ältesten quellen den unterschied jeder form sicher
zu stellen und die später eingetretenen mischungen zu be-
richtigen. Uebrigens werden diese adj. geleitet 1) aus
subst., wie der augenschein lehrt; selten aus personen
und thiernamen (nhd. geistig, pfaffig, manig?, fischig, lau-
sig). 2) aus verbis: erparamac aus erparamen, pireic aus
peran, stirbeic aus sterban, hruoreic (rührig, frisch, blü-
hend?) aus hruorjan, lopsingeic aus lopsingon? etc. *).
3) aus adv. sliuneic f. sliumeic aus sliumo, chaumeic aus
chaumo, ofteic aus ofto, vgl. hiut-eig (hodiernus) N. 142, 2.
aus hiutau; nhd. heur-ig aus heuer. 4) aus andern adj. vißus,
vißuseic; ewein, eweineic; namentlich denen zweiter decl. die
schon ein ableitungs-i haben: wintiri, wintireic; einmuoti,
einmuoteic; zuomi, zuomeic; andanemis, andanemeigs; last-
arpari, lastarpareic; antsaßi, antsaßeic; obgleich die letz-
tern auch unmittelbar von den verbis stammen können. --

c) die unorganischen -ig, welche sich zumahl im ags.
aus der reinvocalischen ableitung i, die zu j geworden
ist, erzeugen (1, 260. 903. 907. 2, 94. vgl. auch das con-
junctivische g vorhin s. 296.) gehören gar nicht hierher.
Mit diesem falschen -ig stehet übrigens das nhd. -ig der
infinitive, die es früher nicht haben (vorhin s. 306.), in
keiner verbindung, d. h. man darf reinigen nicht aus dem
j im goth. hrainjan erklären wollen. --

d) den deutschen adj. vergleichen sich griech. und lat.
auf -ikos, -akos, -icus, -ix und ax: agroikos, apeile-
tikos, georgikos, daktulikos, dektikos, epithumetikos,
monadikos, peinetikos, potikos, daimoniakos, zodiakos
etc.
hosticus, mordicus, rusticus, unicus, posteicus, pudeicus,
felix, audax, bibax, edax, ferax, minax, tenax, vorax etc.
mithin, wie im deutschen, die vocale a und i (ei) unter-
schieden; nur scheint in den wenigen vergleichbaren ein-

*) slafrec (somnolentus) Barl. 90, 12. vielleicht slaferec, slaferc?
nhd. schläferig, bewiese ein mhd. desiderativum slafern (oben zu
s. 139.)

III. conſonantiſche ableitungen. G.
habe ich überlegt, ob das î der îg-form nicht darin be-
gründet ſein könne, daß dem ſubſt., aus welchem das
adj. geleitet wird, in ſeiner bildung oder flexion ein -i
oder -î zuſtehe? dies paſt auf mehrere adj. wie mahtîc,
ſuhtîc, vertîc, heiƷmuotîc u. a. muß aber verworfen
werden wegen meginîc, palowîc, jârîc, tagîc etc. und
weil umgekehrt -ac bei nôtac beſteht. Hauptſache iſt alſo,
das urtheil über ihre bedeutung noch offen haltend, erſt
aus den älteſten quellen den unterſchied jeder form ſicher
zu ſtellen und die ſpäter eingetretenen miſchungen zu be-
richtigen. Uebrigens werden dieſe adj. geleitet 1) aus
ſubſt., wie der augenſchein lehrt; ſelten aus perſonen
und thiernamen (nhd. geiſtig, pfaffig, manig?, fiſchig, lau-
ſig). 2) aus verbis: ërparamac aus ërparamên, pirîc aus
përan, ſtirbîc aus ſtërban, hruorîc (rührig, friſch, blü-
hend?) aus hruorjan, lopſingîc aus lopſingôn? etc. *).
3) aus adv. ſliunîc f. ſliumîc aus ſliumo, chûmîc aus
chûmo, oftîc aus ofto, vgl. hiut-îg (hodiernus) N. 142, 2.
aus hiutû; nhd. heur-ig aus heuer. 4) aus andern adj. viƷus,
viƷuſîc; êwîn, ewînîc; namentlich denen zweiter decl. die
ſchon ein ableitungs-i haben: wintiri, wintirîc; einmuoti,
einmuotîc; zuomi, zuomîc; andanêmis, andanêmeigs; laſt-
arpâri, laſtarpârîc; antſâƷi, antſâƷîc; obgleich die letz-
tern auch unmittelbar von den verbis ſtammen können. —

c) die unorganiſchen -ig, welche ſich zumahl im agſ.
aus der reinvocaliſchen ableitung i, die zu j geworden
iſt, erzeugen (1, 260. 903. 907. 2, 94. vgl. auch das con-
junctiviſche g vorhin ſ. 296.) gehören gar nicht hierher.
Mit dieſem falſchen -ig ſtehet übrigens das nhd. -ig der
infinitive, die es früher nicht haben (vorhin ſ. 306.), in
keiner verbindung, d. h. man darf reinigen nicht aus dem
j im goth. hráinjan erklären wollen. —

d) den deutſchen adj. vergleichen ſich griech. und lat.
auf -ικός, -ακός, -icus, -ix und ax: ἄγροικός, απειλη-
τικός, γεωργικός, δακτυλικός, δηκτικός, ἐπιθυμητικός,
μοναδικός, πεινητικός, ποτικός, δαιμονιακός, ζωδιακός
etc.
hoſticus, mordicus, ruſticus, unicus, poſtîcus, pudîcus,
felix, audax, bibax, edax, ferax, minax, tenax, vorax etc.
mithin, wie im deutſchen, die vocale a und i (î) unter-
ſchieden; nur ſcheint in den wenigen vergleichbaren ein-

*) ſlâfrec (ſomnolentus) Barl. 90, 12. vielleicht ſlâferec, ſlâferc?
nhd. ſchläferig, bewieſe ein mhd. deſiderativum ſlâfern (oben zu
ſ. 139.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0327" n="309"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">con&#x017F;onanti&#x017F;che ableitungen. G.</hi></hi></fw><lb/>
habe ich überlegt, ob das î der îg-form nicht darin be-<lb/>
gründet &#x017F;ein könne, daß dem &#x017F;ub&#x017F;t., aus welchem das<lb/>
adj. geleitet wird, in &#x017F;einer bildung oder flexion ein -i<lb/>
oder -î zu&#x017F;tehe? dies pa&#x017F;t auf mehrere adj. wie mahtîc,<lb/>
&#x017F;uhtîc, vertîc, hei&#x01B7;muotîc u. a. muß aber verworfen<lb/>
werden wegen meginîc, palowîc, jârîc, tagîc etc. und<lb/>
weil umgekehrt -ac bei nôtac be&#x017F;teht. Haupt&#x017F;ache i&#x017F;t al&#x017F;o,<lb/>
das urtheil über ihre bedeutung noch offen haltend, er&#x017F;t<lb/>
aus den älte&#x017F;ten quellen den unter&#x017F;chied jeder form &#x017F;icher<lb/>
zu &#x017F;tellen und die &#x017F;päter eingetretenen mi&#x017F;chungen zu be-<lb/>
richtigen. Uebrigens werden die&#x017F;e adj. geleitet 1) aus<lb/>
&#x017F;ub&#x017F;t., wie der augen&#x017F;chein lehrt; &#x017F;elten aus per&#x017F;onen<lb/>
und thiernamen (nhd. gei&#x017F;tig, pfaffig, manig?, fi&#x017F;chig, lau-<lb/>
&#x017F;ig). 2) aus verbis: ërparamac aus ërparamên, pirîc aus<lb/>
përan, &#x017F;tirbîc aus &#x017F;tërban, hruorîc (rührig, fri&#x017F;ch, blü-<lb/>
hend?) aus hruorjan, lop&#x017F;ingîc aus lop&#x017F;ingôn? etc. <note place="foot" n="*)">&#x017F;lâfrec (&#x017F;omnolentus) Barl. 90, 12. vielleicht &#x017F;lâferec, &#x017F;lâferc?<lb/>
nhd. &#x017F;chläferig, bewie&#x017F;e ein mhd. de&#x017F;iderativum &#x017F;lâfern (oben zu<lb/>
&#x017F;. 139.)</note>.<lb/>
3) aus adv. &#x017F;liunîc f. &#x017F;liumîc aus &#x017F;liumo, chûmîc aus<lb/>
chûmo, oftîc aus ofto, vgl. hiut-îg (hodiernus) N. 142, 2.<lb/>
aus hiutû; nhd. heur-ig aus heuer. 4) aus andern adj. vi&#x01B7;us,<lb/>
vi&#x01B7;u&#x017F;îc; êwîn, ewînîc; namentlich denen zweiter decl. die<lb/>
&#x017F;chon ein ableitungs-i haben: wintiri, wintirîc; einmuoti,<lb/>
einmuotîc; zuomi, zuomîc; andanêmis, andanêmeigs; la&#x017F;t-<lb/>
arpâri, la&#x017F;tarpârîc; ant&#x017F;â&#x01B7;i, ant&#x017F;â&#x01B7;îc; obgleich die letz-<lb/>
tern auch unmittelbar von den verbis &#x017F;tammen können. &#x2014;</p><lb/>
                <p>c) die unorgani&#x017F;chen -ig, welche &#x017F;ich zumahl im ag&#x017F;.<lb/>
aus der reinvocali&#x017F;chen ableitung i, die zu j geworden<lb/>
i&#x017F;t, erzeugen (1, 260. 903. 907. 2, 94. vgl. auch das con-<lb/>
junctivi&#x017F;che g vorhin &#x017F;. 296.) gehören gar nicht hierher.<lb/>
Mit die&#x017F;em fal&#x017F;chen -ig &#x017F;tehet übrigens das nhd. -ig der<lb/>
infinitive, die es früher nicht haben (vorhin &#x017F;. 306.), in<lb/>
keiner verbindung, d. h. man darf reinigen nicht aus dem<lb/>
j im goth. hráinjan erklären wollen. &#x2014;</p><lb/>
                <p>d) den deut&#x017F;chen adj. vergleichen &#x017F;ich griech. und lat.<lb/>
auf <hi rendition="#i">-&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, -&#x03B1;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;</hi>, -icus, -ix und ax: <hi rendition="#i">&#x1F04;&#x03B3;&#x03C1;&#x03BF;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, &#x03B1;&#x03C0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BB;&#x03B7;-<lb/>
&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, &#x03B3;&#x03B5;&#x03C9;&#x03C1;&#x03B3;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, &#x03B4;&#x03B1;&#x03BA;&#x03C4;&#x03C5;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, &#x03B4;&#x03B7;&#x03BA;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, &#x1F10;&#x03C0;&#x03B9;&#x03B8;&#x03C5;&#x03BC;&#x03B7;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;,<lb/>
&#x03BC;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B1;&#x03B4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, &#x03C0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;&#x03B7;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, &#x03C0;&#x03BF;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, &#x03B4;&#x03B1;&#x03B9;&#x03BC;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;, &#x03B6;&#x03C9;&#x03B4;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BA;&#x03CC;&#x03C2;</hi> etc.<lb/>
ho&#x017F;ticus, mordicus, ru&#x017F;ticus, unicus, po&#x017F;tîcus, pudîcus,<lb/>
felix, audax, bibax, edax, ferax, minax, tenax, vorax etc.<lb/>
mithin, wie im deut&#x017F;chen, die vocale a und i (î) unter-<lb/>
&#x017F;chieden; nur &#x017F;cheint in den wenigen vergleichbaren ein-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0327] III. conſonantiſche ableitungen. G. habe ich überlegt, ob das î der îg-form nicht darin be- gründet ſein könne, daß dem ſubſt., aus welchem das adj. geleitet wird, in ſeiner bildung oder flexion ein -i oder -î zuſtehe? dies paſt auf mehrere adj. wie mahtîc, ſuhtîc, vertîc, heiƷmuotîc u. a. muß aber verworfen werden wegen meginîc, palowîc, jârîc, tagîc etc. und weil umgekehrt -ac bei nôtac beſteht. Hauptſache iſt alſo, das urtheil über ihre bedeutung noch offen haltend, erſt aus den älteſten quellen den unterſchied jeder form ſicher zu ſtellen und die ſpäter eingetretenen miſchungen zu be- richtigen. Uebrigens werden dieſe adj. geleitet 1) aus ſubſt., wie der augenſchein lehrt; ſelten aus perſonen und thiernamen (nhd. geiſtig, pfaffig, manig?, fiſchig, lau- ſig). 2) aus verbis: ërparamac aus ërparamên, pirîc aus përan, ſtirbîc aus ſtërban, hruorîc (rührig, friſch, blü- hend?) aus hruorjan, lopſingîc aus lopſingôn? etc. *). 3) aus adv. ſliunîc f. ſliumîc aus ſliumo, chûmîc aus chûmo, oftîc aus ofto, vgl. hiut-îg (hodiernus) N. 142, 2. aus hiutû; nhd. heur-ig aus heuer. 4) aus andern adj. viƷus, viƷuſîc; êwîn, ewînîc; namentlich denen zweiter decl. die ſchon ein ableitungs-i haben: wintiri, wintirîc; einmuoti, einmuotîc; zuomi, zuomîc; andanêmis, andanêmeigs; laſt- arpâri, laſtarpârîc; antſâƷi, antſâƷîc; obgleich die letz- tern auch unmittelbar von den verbis ſtammen können. — c) die unorganiſchen -ig, welche ſich zumahl im agſ. aus der reinvocaliſchen ableitung i, die zu j geworden iſt, erzeugen (1, 260. 903. 907. 2, 94. vgl. auch das con- junctiviſche g vorhin ſ. 296.) gehören gar nicht hierher. Mit dieſem falſchen -ig ſtehet übrigens das nhd. -ig der infinitive, die es früher nicht haben (vorhin ſ. 306.), in keiner verbindung, d. h. man darf reinigen nicht aus dem j im goth. hráinjan erklären wollen. — d) den deutſchen adj. vergleichen ſich griech. und lat. auf -ικός, -ακός, -icus, -ix und ax: ἄγροικός, απειλη- τικός, γεωργικός, δακτυλικός, δηκτικός, ἐπιθυμητικός, μοναδικός, πεινητικός, ποτικός, δαιμονιακός, ζωδιακός etc. hoſticus, mordicus, ruſticus, unicus, poſtîcus, pudîcus, felix, audax, bibax, edax, ferax, minax, tenax, vorax etc. mithin, wie im deutſchen, die vocale a und i (î) unter- ſchieden; nur ſcheint in den wenigen vergleichbaren ein- *) ſlâfrec (ſomnolentus) Barl. 90, 12. vielleicht ſlâferec, ſlâferc? nhd. ſchläferig, bewieſe ein mhd. deſiderativum ſlâfern (oben zu ſ. 139.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/327
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/327>, abgerufen am 22.11.2024.