zer-se jun. 302. becker-sa (pistrix) jun. 352. statt der rein- mhd. klosnaerinne, zolnaerinne, beck-inne. Dieses -se aber erklärt uns den ursprung des noch heute in Nieder- deutschland geltenden -sche in frauennamen meier-sche, wever-sche, naier-sche, auch ohne vorstehendes r: kök- sche (köchin) adam-sche (Adams frau) etc. welche min- der gut aus dem adjectivischen -isc, -isch gedeutet wer- den. Denn in diesem fall hätten sie früher -sk und nicht -s. Auch hat sich im nnl. das -es, -esse erhalten, nicht in -esch, -esche verwandelt, aber ziemlich um sich ge- griffen, vgl. mester-esse (maeitresse), minnar-es, minnar- esse, mordenar-esse, verrader-esse u. a. m. Mnl. tover- esse (venefica) Maerl. 3, 256. Selbst daß aus abbet-isse. ebbed-isse jun. 302. mhd. ept-ischin Bon. 48, 20. (nhd. abt- issin) wurde, vgl. taumer-schin (saltatrix) Herb. 60c (nnl. tuimelar-esse), zeugt wider organ. -fk, woran bei diesen wörtern niemand denken wird. Vgl. die engl. abbat- eß, count-eß, dutch-eß, princ-eß, prophet-eß.
4) es gibt aber auch in abstracten französ. fem. ein -esse, das auf den ersten blick dem deutschen -niss ver- wandt scheinen könnte, vgl. just-esse, trist-esse, fin-esse, vit-esse, grand-esse, jeun-esse, forter-esse u. v. a. Allein das span. -eza, ital. -ezza in gleichen wörtern (alt-eza, grand-eza, trist-eza, vist-eza, fortal-eza, bell-ezza, grand- ezza, fort-ezza, giocond-ezza) lehren die wahre quelle, nämlich das lat. -tia (justitia, tristitia). Daher auch in andern franz. formen -ce waltet (justice, patience) und es ist alle berührung jenes -esse mit den deutschen -nisse zu leugnen.
5) wichtiger ist es für das wesen dieser letzteren, zu untersuchen: welcher art wörter die ableitung hinzu- trete? Das goth. -assus offenbar verbis auf -inon, mit ausnahme von ufar-assus *) und fil-ussi, die aus den par- tikeln ufar und filu (vielleicht also filu-ssi?) gezeugt wer- den. In den übrigen sprachen vervielfältigt sich die ab- leitung, sie tritt a) zu subst. got-nissi, nibul-n, mennisc-n, pouhhan-n. b) häufiger zu adj. finstar-n., war-n., tump- n., saubar-n., gileih-n., eital-n., beraht-n., hrein-n., auch zu denen auf -ac, -eic: heilac-n., zumahl im ags. mo- dig-n., hefig-n., dysig-nis. c) zu part. praet. starker
*) unverwandt dem ahd. compos. ubar-aß? ubar-aß (crapula) T. 146. von ubar-eßan; wenn veinnas (paroinos) Tit. 1, 7. nur ein u hätte, ließe sich ein goth. vein-assus (vinolentia) folgern.
III. conſonantiſche ableitungen. SS.
zer-ſe jun. 302. becker-ſa (piſtrix) jun. 352. ſtatt der rein- mhd. kloſnærinne, zolnærinne, beck-inne. Dieſes -ſe aber erklärt uns den urſprung des noch heute in Nieder- deutſchland geltenden -ſche in frauennamen meier-ſche, wever-ſche, naier-ſche, auch ohne vorſtehendes r: kök- ſche (köchin) adam-ſche (Adams frau) etc. welche min- der gut aus dem adjectiviſchen -iſc, -iſch gedeutet wer- den. Denn in dieſem fall hätten ſie früher -ſk und nicht -ſ. Auch hat ſich im nnl. das -es, -eſſe erhalten, nicht in -eſch, -eſche verwandelt, aber ziemlich um ſich ge- griffen, vgl. mêſter-eſſe (maîtreſſe), minnar-es, minnar- eſſe, môrdenar-eſſe, verrader-eſſe u. a. m. Mnl. tover- eſſe (venefica) Maerl. 3, 256. Selbſt daß aus abbet-iſſe. ebbed-iſſe jun. 302. mhd. ept-iſchin Bon. 48, 20. (nhd. abt- iſſin) wurde, vgl. tûmer-ſchin (ſaltatrix) Herb. 60c (nnl. tuimelar-eſſe), zeugt wider organ. -fk, woran bei dieſen wörtern niemand denken wird. Vgl. die engl. abbat- eß, count-eß, dutch-eß, princ-eß, prophet-eß.
4) es gibt aber auch in abſtracten franzöſ. fem. ein -eſſe, das auf den erſten blick dem deutſchen -niſſ ver- wandt ſcheinen könnte, vgl. juſt-eſſe, triſt-eſſe, fin-eſſe, vit-eſſe, grand-eſſe, jeun-eſſe, forter-eſſe u. v. a. Allein das ſpan. -eza, ital. -ezza in gleichen wörtern (alt-eza, grand-eza, triſt-eza, viſt-eza, fortal-eza, bell-ezza, grand- ezza, fort-ezza, giocond-ezza) lehren die wahre quelle, nämlich das lat. -tia (juſtitia, triſtitia). Daher auch in andern franz. formen -ce waltet (juſtice, patience) und es iſt alle berührung jenes -eſſe mit den deutſchen -niſſe zu leugnen.
5) wichtiger iſt es für das weſen dieſer letzteren, zu unterſuchen: welcher art wörter die ableitung hinzu- trete? Das goth. -aſſus offenbar verbis auf -inôn, mit ausnahme von ufar-aſſus *) und fil-uſſi, die aus den par- tikeln ufar und filu (vielleicht alſo filu-ſſi?) gezeugt wer- den. In den übrigen ſprachen vervielfältigt ſich die ab- leitung, ſie tritt a) zu ſubſt. got-niſſi, nibul-n, menniſc-n, pouhhan-n. b) häufiger zu adj. finſtar-n., wâr-n., tump- n., ſûbar-n., gilîh-n., îtal-n., bëraht-n., hrein-n., auch zu denen auf -ac, -îc: heilac-n., zumahl im agſ. mô- dig-n., hefig-n., dyſig-nis. c) zu part. praet. ſtarker
*) unverwandt dem ahd. compoſ. ubar-aƷ? ubar-âƷ (crapula) T. 146. von ubar-ëƷƷan; wenn veinnas (πάροινος) Tit. 1, 7. nur ein u hätte, ließe ſich ein goth. vein-aſſus (vinolentia) folgern.
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III. conſonantiſche ableitungen. SS.
zer-ſe jun. 302. becker-ſa (piſtrix) jun. 352. ſtatt der rein-
mhd. kloſnærinne, zolnærinne, beck-inne. Dieſes -ſe
aber erklärt uns den urſprung des noch heute in Nieder-
deutſchland geltenden -ſche in frauennamen meier-ſche,
wever-ſche, naier-ſche, auch ohne vorſtehendes r: kök-
ſche (köchin) adam-ſche (Adams frau) etc. welche min-
der gut aus dem adjectiviſchen -iſc, -iſch gedeutet wer-
den. Denn in dieſem fall hätten ſie früher -ſk und nicht
-ſ. Auch hat ſich im nnl. das -es, -eſſe erhalten, nicht
in -eſch, -eſche verwandelt, aber ziemlich um ſich ge-
griffen, vgl. mêſter-eſſe (maîtreſſe), minnar-es, minnar-
eſſe, môrdenar-eſſe, verrader-eſſe u. a. m. Mnl. tover-
eſſe (venefica) Maerl. 3, 256. Selbſt daß aus abbet-iſſe.
ebbed-iſſe jun. 302. mhd. ept-iſchin Bon. 48, 20. (nhd. abt-
iſſin) wurde, vgl. tûmer-ſchin (ſaltatrix) Herb. 60c (nnl.
tuimelar-eſſe), zeugt wider organ. -fk, woran bei dieſen
wörtern niemand denken wird. Vgl. die engl. abbat-
eß, count-eß, dutch-eß, princ-eß, prophet-eß.
4) es gibt aber auch in abſtracten franzöſ. fem. ein
-eſſe, das auf den erſten blick dem deutſchen -niſſ ver-
wandt ſcheinen könnte, vgl. juſt-eſſe, triſt-eſſe, fin-eſſe,
vit-eſſe, grand-eſſe, jeun-eſſe, forter-eſſe u. v. a. Allein
das ſpan. -eza, ital. -ezza in gleichen wörtern (alt-eza,
grand-eza, triſt-eza, viſt-eza, fortal-eza, bell-ezza, grand-
ezza, fort-ezza, giocond-ezza) lehren die wahre quelle,
nämlich das lat. -tia (juſtitia, triſtitia). Daher auch in
andern franz. formen -ce waltet (juſtice, patience) und
es iſt alle berührung jenes -eſſe mit den deutſchen -niſſe
zu leugnen.
5) wichtiger iſt es für das weſen dieſer letzteren, zu
unterſuchen: welcher art wörter die ableitung hinzu-
trete? Das goth. -aſſus offenbar verbis auf -inôn, mit
ausnahme von ufar-aſſus *) und fil-uſſi, die aus den par-
tikeln ufar und filu (vielleicht alſo filu-ſſi?) gezeugt wer-
den. In den übrigen ſprachen vervielfältigt ſich die ab-
leitung, ſie tritt a) zu ſubſt. got-niſſi, nibul-n, menniſc-n,
pouhhan-n. b) häufiger zu adj. finſtar-n., wâr-n., tump-
n., ſûbar-n., gilîh-n., îtal-n., bëraht-n., hrein-n., auch
zu denen auf -ac, -îc: heilac-n., zumahl im agſ. mô-
dig-n., hefig-n., dyſig-nis. c) zu part. praet. ſtarker
*) unverwandt dem ahd. compoſ. ubar-aƷ? ubar-âƷ (crapula)
T. 146. von ubar-ëƷƷan; wenn veinnas (πάροινος) Tit. 1, 7. nur ein
u hätte, ließe ſich ein goth. vein-aſſus (vinolentia) folgern.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/347>, abgerufen am 22.11.2024.
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