Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit subst.
der bedeutung des ganzen compositums die zweiten wör-
ter ihren eigentlichen wurzelbegriff meist (immer nicht)
verloren; sondern die aussprache, zumahl im munde des
volks, hat sie mitunter formell entstellt, so daß sie sich
wie ableitungselemente ausnehmen, z. b. der gemeine
mann spricht an einigen orten kind-et, ewig-et f. kind-
heit, ewigkeit. Vielleicht sind die altn. -atta (s. 380.) den-
noch aus der composition (ahta) zu deuten? -- Alle diese
composita bilden und mehren sich fast erst später, wann
die sprache geistiger wird; im goth. scheinen sie sogar zu
fehlen. Was sonst noch zu bemerken ist, wird unten bei
der einzelnen aufzählung der beispiele vorkommen.

4) es stehen aber auch begriffe in appofitionsbeziehung
auf die das verhältnis des besondern zum allgemeinen
nicht anwendbar ist, sowohl verwandte als ganz ver-
schiedne.

a) verwandte wörter. Ulf. übersetzt thalassa durch
marei, limne (sumpf? oder ocean?) durch mari-saivs;
ags. heißt ein diener ombiht-scealc, dem das nhd. dienst-
bote gleicht, wenn man sich erinnert, daß früher dienest
einen diener bedeutete und bote im dienstverhältnis vor-
kommt; auch dionost-man, ampaht-man läßt sich so be-
trachten, weil in man der begriff des dienens liegt s. 415.
note). Zweifelhafter scheint das alts. aha-strom, ags. ea-
stream, doch das ags. vaeg-stream entscheidet für die wirk-
liche und eigentliche zusammensetzung. Beides stala und
diuba (?) bedeuten furtum, gleichviel das componierte
dieb-stal MS. 1, 136a. Das ahd. fem. ot-wala (divitiae)
N. 136, 3. Boeth. 120. würde ags. ead-vela, alts. od-welo
(masc.) heißen; ich finde aber nur die einfachen ead und
vela, deren jedes an sich opes, felicitas bedeutet. Der
sprache scheint manchmahl das einzelne wort zu gering,
sie will ihm durch beifügung eines verwandten mehr nach-
druck verschaffen, nicht grade seinen begriff abändern.
Die meisten beispiele bietet hierzu die ags. poesie.

b) verschiedne, die beide einander bestimmen, z. b.
weil-salda (fortuna) N., das wetterwendische glück, mhd.
weile-saelde Geo. 61a vgl. das goth. adj. hveila-hvairbs
(proskairos); mhd. nebel-tac Parc. 142c; nhd. milch-
straße, sturm-wind; feuer-regen, blaut-regen; donner-gott;
wetter-hahn; speck-maus, kind-bett, und eine menge
ähnlicher, wo sache zu sache, sache zu person, person
zu sache, auch wohl person zu person gesetzt wird, z. b.
christ-kind, gott-mensch, thier-mensch, fürst-bischof.

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
der bedeutung des ganzen compoſitums die zweiten wör-
ter ihren eigentlichen wurzelbegriff meiſt (immer nicht)
verloren; ſondern die ausſprache, zumahl im munde des
volks, hat ſie mitunter formell entſtellt, ſo daß ſie ſich
wie ableitungselemente ausnehmen, z. b. der gemeine
mann ſpricht an einigen orten kind-et, ewig-et f. kind-
heit, ewigkeit. Vielleicht ſind die altn. -âtta (ſ. 380.) den-
noch aus der compoſition (ahta) zu deuten? — Alle dieſe
compoſita bilden und mehren ſich faſt erſt ſpäter, wann
die ſprache geiſtiger wird; im goth. ſcheinen ſie ſogar zu
fehlen. Was ſonſt noch zu bemerken iſt, wird unten bei
der einzelnen aufzählung der beiſpiele vorkommen.

4) es ſtehen aber auch begriffe in appofitionsbeziehung
auf die das verhältnis des beſondern zum allgemeinen
nicht anwendbar iſt, ſowohl verwandte als ganz ver-
ſchiedne.

α) verwandte wörter. Ulf. überſetzt θάλασσα durch
marei, λίμνη (ſumpf? oder ocean?) durch mari-ſáivs;
agſ. heißt ein diener ombiht-ſcëalc, dem das nhd. dienſt-
bôte gleicht, wenn man ſich erinnert, daß früher dieneſt
einen diener bedeutete und bote im dienſtverhältnis vor-
kommt; auch dionoſt-man, ampaht-man läßt ſich ſo be-
trachten, weil in man der begriff des dienens liegt ſ. 415.
note). Zweifelhafter ſcheint das altſ. aha-ſtrôm, agſ. éa-
ſtreám, doch das agſ. væg-ſtreám entſcheidet für die wirk-
liche und eigentliche zuſammenſetzung. Beides ſtâla und
diuba (?) bedeuten furtum, gleichviel das componierte
dieb-ſtâl MS. 1, 136a. Das ahd. fem. ôt-wala (divitiae)
N. 136, 3. Boeth. 120. würde agſ. eád-vëla, altſ. ôd-wëlo
(maſc.) heißen; ich finde aber nur die einfachen eád und
vëla, deren jedes an ſich opes, felicitas bedeutet. Der
ſprache ſcheint manchmahl das einzelne wort zu gering,
ſie will ihm durch beifügung eines verwandten mehr nach-
druck verſchaffen, nicht grade ſeinen begriff abändern.
Die meiſten beiſpiele bietet hierzu die agſ. poeſie.

β) verſchiedne, die beide einander beſtimmen, z. b.
wîl-ſâlda (fortuna) N., das wetterwendiſche glück, mhd.
wîle-ſælde Geo. 61a vgl. das goth. adj. hveila-hvaírbs
(πρόςκαιρος); mhd. nëbel-tac Parc. 142c; nhd. milch-
ſtraße, ſturm-wind; feuer-rêgen, blût-regen; donner-gott;
wetter-hahn; ſpeck-maus, kind-bett, und eine menge
ähnlicher, wo ſache zu ſache, ſache zu perſon, perſon
zu ſache, auch wohl perſon zu perſon geſetzt wird, z. b.
chriſt-kind, gott-menſch, thier-menſch, fürſt-biſchof.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0460" n="442"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">&#x017F;ub&#x017F;t. eigentl. comp. &#x2014; &#x017F;ub&#x017F;t. mit &#x017F;ub&#x017F;t.</hi></hi></fw><lb/>
der bedeutung des ganzen compo&#x017F;itums die zweiten wör-<lb/>
ter ihren eigentlichen wurzelbegriff mei&#x017F;t (immer nicht)<lb/>
verloren; &#x017F;ondern die aus&#x017F;prache, zumahl im munde des<lb/>
volks, hat &#x017F;ie mitunter formell ent&#x017F;tellt, &#x017F;o daß &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
wie ableitungselemente ausnehmen, z. b. der gemeine<lb/>
mann &#x017F;pricht an einigen orten kind-et, ewig-et f. kind-<lb/>
heit, ewigkeit. Vielleicht &#x017F;ind die altn. -âtta (&#x017F;. 380.) den-<lb/>
noch aus der compo&#x017F;ition (ahta) zu deuten? &#x2014; Alle die&#x017F;e<lb/>
compo&#x017F;ita bilden und mehren &#x017F;ich fa&#x017F;t er&#x017F;t &#x017F;päter, wann<lb/>
die &#x017F;prache gei&#x017F;tiger wird; im goth. &#x017F;cheinen &#x017F;ie &#x017F;ogar zu<lb/>
fehlen. Was &#x017F;on&#x017F;t noch zu bemerken i&#x017F;t, wird unten bei<lb/>
der einzelnen aufzählung der bei&#x017F;piele vorkommen.</p><lb/>
                <p>4) es &#x017F;tehen aber auch begriffe in appofitionsbeziehung<lb/>
auf die das verhältnis des be&#x017F;ondern zum allgemeinen<lb/>
nicht anwendbar i&#x017F;t, &#x017F;owohl verwandte als ganz ver-<lb/>
&#x017F;chiedne.</p><lb/>
                <p><hi rendition="#i">&#x03B1;</hi>) <hi rendition="#i">verwandte</hi> wörter. Ulf. über&#x017F;etzt <hi rendition="#i">&#x03B8;&#x03AC;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C3;&#x03C3;&#x03B1;</hi> durch<lb/>
marei, <hi rendition="#i">&#x03BB;&#x03AF;&#x03BC;&#x03BD;&#x03B7;</hi> (&#x017F;umpf? oder ocean?) durch mari-&#x017F;áivs;<lb/>
ag&#x017F;. heißt ein diener ombiht-&#x017F;cëalc, dem das nhd. dien&#x017F;t-<lb/>
bôte gleicht, wenn man &#x017F;ich erinnert, daß früher diene&#x017F;t<lb/>
einen diener bedeutete und bote im dien&#x017F;tverhältnis vor-<lb/>
kommt; auch diono&#x017F;t-man, ampaht-man läßt &#x017F;ich &#x017F;o be-<lb/>
trachten, weil in man der begriff des dienens liegt &#x017F;. 415.<lb/>
note). Zweifelhafter &#x017F;cheint das alt&#x017F;. aha-&#x017F;trôm, ag&#x017F;. éa-<lb/>
&#x017F;treám, doch das ag&#x017F;. væg-&#x017F;treám ent&#x017F;cheidet für die wirk-<lb/>
liche und eigentliche zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung. Beides &#x017F;tâla und<lb/>
diuba (?) bedeuten furtum, gleichviel das componierte<lb/>
dieb-&#x017F;tâl MS. 1, 136<hi rendition="#sup">a</hi>. Das ahd. fem. ôt-wala (divitiae)<lb/>
N. 136, 3. Boeth. 120. würde ag&#x017F;. eád-vëla, alt&#x017F;. ôd-wëlo<lb/>
(ma&#x017F;c.) heißen; ich finde aber nur die einfachen eád und<lb/>
vëla, deren jedes an &#x017F;ich opes, felicitas bedeutet. Der<lb/>
&#x017F;prache &#x017F;cheint manchmahl das einzelne wort zu gering,<lb/>
&#x017F;ie will ihm durch beifügung eines verwandten mehr nach-<lb/>
druck ver&#x017F;chaffen, nicht grade &#x017F;einen begriff abändern.<lb/>
Die mei&#x017F;ten bei&#x017F;piele bietet hierzu die ag&#x017F;. poe&#x017F;ie.</p><lb/>
                <p><hi rendition="#i">&#x03B2;</hi>) <hi rendition="#i">ver&#x017F;chiedne</hi>, die beide einander be&#x017F;timmen, z. b.<lb/>
wîl-&#x017F;âlda (fortuna) N., das wetterwendi&#x017F;che glück, mhd.<lb/>
wîle-&#x017F;ælde Geo. 61<hi rendition="#sup">a</hi> vgl. das goth. adj. hveila-hvaírbs<lb/>
(<hi rendition="#i">&#x03C0;&#x03C1;&#x03CC;&#x03C2;&#x03BA;&#x03B1;&#x03B9;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C2;</hi>); mhd. nëbel-tac Parc. 142<hi rendition="#sup">c</hi>; nhd. milch-<lb/>
&#x017F;traße, &#x017F;turm-wind; feuer-rêgen, blût-regen; donner-gott;<lb/>
wetter-hahn; &#x017F;peck-maus, kind-bett, und eine menge<lb/>
ähnlicher, wo &#x017F;ache zu &#x017F;ache, &#x017F;ache zu per&#x017F;on, per&#x017F;on<lb/>
zu &#x017F;ache, auch wohl per&#x017F;on zu per&#x017F;on ge&#x017F;etzt wird, z. b.<lb/>
chri&#x017F;t-kind, gott-men&#x017F;ch, thier-men&#x017F;ch, für&#x017F;t-bi&#x017F;chof.<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[442/0460] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt. der bedeutung des ganzen compoſitums die zweiten wör- ter ihren eigentlichen wurzelbegriff meiſt (immer nicht) verloren; ſondern die ausſprache, zumahl im munde des volks, hat ſie mitunter formell entſtellt, ſo daß ſie ſich wie ableitungselemente ausnehmen, z. b. der gemeine mann ſpricht an einigen orten kind-et, ewig-et f. kind- heit, ewigkeit. Vielleicht ſind die altn. -âtta (ſ. 380.) den- noch aus der compoſition (ahta) zu deuten? — Alle dieſe compoſita bilden und mehren ſich faſt erſt ſpäter, wann die ſprache geiſtiger wird; im goth. ſcheinen ſie ſogar zu fehlen. Was ſonſt noch zu bemerken iſt, wird unten bei der einzelnen aufzählung der beiſpiele vorkommen. 4) es ſtehen aber auch begriffe in appofitionsbeziehung auf die das verhältnis des beſondern zum allgemeinen nicht anwendbar iſt, ſowohl verwandte als ganz ver- ſchiedne. α) verwandte wörter. Ulf. überſetzt θάλασσα durch marei, λίμνη (ſumpf? oder ocean?) durch mari-ſáivs; agſ. heißt ein diener ombiht-ſcëalc, dem das nhd. dienſt- bôte gleicht, wenn man ſich erinnert, daß früher dieneſt einen diener bedeutete und bote im dienſtverhältnis vor- kommt; auch dionoſt-man, ampaht-man läßt ſich ſo be- trachten, weil in man der begriff des dienens liegt ſ. 415. note). Zweifelhafter ſcheint das altſ. aha-ſtrôm, agſ. éa- ſtreám, doch das agſ. væg-ſtreám entſcheidet für die wirk- liche und eigentliche zuſammenſetzung. Beides ſtâla und diuba (?) bedeuten furtum, gleichviel das componierte dieb-ſtâl MS. 1, 136a. Das ahd. fem. ôt-wala (divitiae) N. 136, 3. Boeth. 120. würde agſ. eád-vëla, altſ. ôd-wëlo (maſc.) heißen; ich finde aber nur die einfachen eád und vëla, deren jedes an ſich opes, felicitas bedeutet. Der ſprache ſcheint manchmahl das einzelne wort zu gering, ſie will ihm durch beifügung eines verwandten mehr nach- druck verſchaffen, nicht grade ſeinen begriff abändern. Die meiſten beiſpiele bietet hierzu die agſ. poeſie. β) verſchiedne, die beide einander beſtimmen, z. b. wîl-ſâlda (fortuna) N., das wetterwendiſche glück, mhd. wîle-ſælde Geo. 61a vgl. das goth. adj. hveila-hvaírbs (πρόςκαιρος); mhd. nëbel-tac Parc. 142c; nhd. milch- ſtraße, ſturm-wind; feuer-rêgen, blût-regen; donner-gott; wetter-hahn; ſpeck-maus, kind-bett, und eine menge ähnlicher, wo ſache zu ſache, ſache zu perſon, perſon zu ſache, auch wohl perſon zu perſon geſetzt wird, z. b. chriſt-kind, gott-menſch, thier-menſch, fürſt-biſchof.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/460
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/460>, abgerufen am 22.11.2024.