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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit subst.
dern-bette, sondern feder-bette, das doch aus einer
menge von federn gemacht ist. Die nhd. sprache besitzt
freilich viele composita, deren erstes wort umlautend,
oder auf-en, -er endigend pluralisches kennzeichen an sich
trägt; bei näherer betrachtung wird sich leicht ergeben,
daß es lauter uneigentliche composita sind, die aus wirk-
lichen gen. pl. erwachsen, z. b. kosten-verzeichnis,
sachen-recht, götzen-dienst, bilder-dienst, hörner-schall,
kinder-stube, kleider-pracht etc. grade wie es auch mit
dem gen. sg. componiert heißt eigenthums-recht, gottes-
dienst etc. Eigentliche zus. setzung streitet in solchen
fällen meistens wider den begriff, es läßt sich z. b. nicht
sagen horn-klang für klang des hornes, wohl aber hor-
nes-klang; bild-seule und bilder-dienst stehen einander
cntgegen als eigentl. und uneigentl. composition, nicht
wie singularische und pluralische. Früherhin kommen
die pluralischen, gleich allen uneigentlichen, viel seltner
vor, vgl. rinder-stal flor. 986b verhir-stal trev. 37b d. h.
ursprünglich hrindiro, verhiro stal *); ein mhd. beleg
ist kinder-spil a. w. 3, 192. MS. 2, 256a (wo kinden
druckf.). Neben dem aufgestellten grundsatz nehme ich
folgende einschränkungen an a) zuweilen ist die nhd.
form ganz tadelhaft, z. b. in brüderschaft, st. bruder-
schaft, in bienen-korb f. bien-korb, augen-braune f.
aug-braune (mhd. ouc-pra En. 24a Herb. 28d) wiewohl
das letzte -en aus dem gen. sg. erklärt werden dürste.
b) oft schwankt der begriff selbst zwischen eigentlicher
und uneigentlicher zusammensetzung und dann hat sich
die neuere sprache fast immer für letztere entschieden,
ohne daß man ihr darum einen fehler zur last legen
könnte; so z. b. heißt es wörter-buch (altn. orda-bok)
bücher-schrank (altn. boka-stoll) st. des ahd. wort-puoh,
buoh-faß.

3) seine ableitungszeichen gibt aber das erste wort
nicht auf, es sei dann, daß sie, wie die reinvocalischen,
auch außerhalb der composition verschwinden, z. b. in
fieg-fried st. sigu-frid, weil sieg f. sigu gesagt wird. In

*) böten denkmähler des 8ten jahrh. wirklich hrindir-stal, so
würde daraus immer noch keine eigentl. pluralcomp. folgen, da
das eingeschobne -ir nicht reinflexivisch, vielmehr bildend er-
scheint, da es zwar meist im pl. aber auch im sg. eintritt (1, 622.
644. 2, 270.) Namentlich gilt das vom ags. hryder, gen. hry-
deres, es findet sich hrydera heord neben hryder-heord (rinder-
heerde).

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
dern-bette, ſondern feder-bette, das doch aus einer
menge von federn gemacht iſt. Die nhd. ſprache beſitzt
freilich viele compoſita, deren erſtes wort umlautend,
oder auf-en, -er endigend pluraliſches kennzeichen an ſich
trägt; bei näherer betrachtung wird ſich leicht ergeben,
daß es lauter uneigentliche compoſita ſind, die aus wirk-
lichen gen. pl. erwachſen, z. b. koſten-verzeichnis,
ſachen-recht, götzen-dienſt, bilder-dienſt, hörner-ſchall,
kinder-ſtube, kleider-pracht etc. grade wie es auch mit
dem gen. ſg. componiert heißt eigenthums-recht, gottes-
dienſt etc. Eigentliche zuſ. ſetzung ſtreitet in ſolchen
fällen meiſtens wider den begriff, es läßt ſich z. b. nicht
ſagen horn-klang für klang des hornes, wohl aber hor-
nes-klang; bild-ſeule und bilder-dienſt ſtehen einander
cntgegen als eigentl. und uneigentl. compoſition, nicht
wie ſingulariſche und pluraliſche. Früherhin kommen
die pluraliſchen, gleich allen uneigentlichen, viel ſeltner
vor, vgl. rinder-ſtal flor. 986b verhir-ſtal trev. 37b d. h.
urſprünglich hrindirô, verhirô ſtal *); ein mhd. beleg
iſt kinder-ſpil a. w. 3, 192. MS. 2, 256a (wo kinden
druckf.). Neben dem aufgeſtellten grundſatz nehme ich
folgende einſchränkungen an a) zuweilen iſt die nhd.
form ganz tadelhaft, z. b. in brüderſchaft, ſt. bruder-
ſchaft, in bienen-korb f. bien-korb, augen-braune f.
aug-braune (mhd. ouc-prâ En. 24a Herb. 28d) wiewohl
das letzte -en aus dem gen. ſg. erklärt werden dürſte.
b) oft ſchwankt der begriff ſelbſt zwiſchen eigentlicher
und uneigentlicher zuſammenſetzung und dann hat ſich
die neuere ſprache faſt immer für letztere entſchieden,
ohne daß man ihr darum einen fehler zur laſt legen
könnte; ſo z. b. heißt es wörter-buch (altn. orda-bôk)
bücher-ſchrank (altn. bôka-ſtôll) ſt. des ahd. wort-puoh,
buoh-faƷ.

3) ſeine ableitungszeichen gibt aber das erſte wort
nicht auf, es ſei dann, daß ſie, wie die reinvocaliſchen,
auch außerhalb der compoſition verſchwinden, z. b. in
fieg-fried ſt. ſigu-frid, weil ſieg f. ſigu geſagt wird. In

*) böten denkmähler des 8ten jahrh. wirklich hrindir-ſtal, ſo
würde daraus immer noch keine eigentl. pluralcomp. folgen, da
das eingeſchobne -ir nicht reinflexiviſch, vielmehr bildend er-
ſcheint, da es zwar meiſt im pl. aber auch im ſg. eintritt (1, 622.
644. 2, 270.) Namentlich gilt das vom agſ. hryðer, gen. hry-
ðeres, es findet ſich hryðera hëord neben hryðer-hëord (rinder-
heerde).
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[539/0557] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt. dern-bette, ſondern feder-bette, das doch aus einer menge von federn gemacht iſt. Die nhd. ſprache beſitzt freilich viele compoſita, deren erſtes wort umlautend, oder auf-en, -er endigend pluraliſches kennzeichen an ſich trägt; bei näherer betrachtung wird ſich leicht ergeben, daß es lauter uneigentliche compoſita ſind, die aus wirk- lichen gen. pl. erwachſen, z. b. koſten-verzeichnis, ſachen-recht, götzen-dienſt, bilder-dienſt, hörner-ſchall, kinder-ſtube, kleider-pracht etc. grade wie es auch mit dem gen. ſg. componiert heißt eigenthums-recht, gottes- dienſt etc. Eigentliche zuſ. ſetzung ſtreitet in ſolchen fällen meiſtens wider den begriff, es läßt ſich z. b. nicht ſagen horn-klang für klang des hornes, wohl aber hor- nes-klang; bild-ſeule und bilder-dienſt ſtehen einander cntgegen als eigentl. und uneigentl. compoſition, nicht wie ſingulariſche und pluraliſche. Früherhin kommen die pluraliſchen, gleich allen uneigentlichen, viel ſeltner vor, vgl. rinder-ſtal flor. 986b verhir-ſtal trev. 37b d. h. urſprünglich hrindirô, verhirô ſtal *); ein mhd. beleg iſt kinder-ſpil a. w. 3, 192. MS. 2, 256a (wo kinden druckf.). Neben dem aufgeſtellten grundſatz nehme ich folgende einſchränkungen an a) zuweilen iſt die nhd. form ganz tadelhaft, z. b. in brüderſchaft, ſt. bruder- ſchaft, in bienen-korb f. bien-korb, augen-braune f. aug-braune (mhd. ouc-prâ En. 24a Herb. 28d) wiewohl das letzte -en aus dem gen. ſg. erklärt werden dürſte. b) oft ſchwankt der begriff ſelbſt zwiſchen eigentlicher und uneigentlicher zuſammenſetzung und dann hat ſich die neuere ſprache faſt immer für letztere entſchieden, ohne daß man ihr darum einen fehler zur laſt legen könnte; ſo z. b. heißt es wörter-buch (altn. orda-bôk) bücher-ſchrank (altn. bôka-ſtôll) ſt. des ahd. wort-puoh, buoh-faƷ. 3) ſeine ableitungszeichen gibt aber das erſte wort nicht auf, es ſei dann, daß ſie, wie die reinvocaliſchen, auch außerhalb der compoſition verſchwinden, z. b. in fieg-fried ſt. ſigu-frid, weil ſieg f. ſigu geſagt wird. In *) böten denkmähler des 8ten jahrh. wirklich hrindir-ſtal, ſo würde daraus immer noch keine eigentl. pluralcomp. folgen, da das eingeſchobne -ir nicht reinflexiviſch, vielmehr bildend er- ſcheint, da es zwar meiſt im pl. aber auch im ſg. eintritt (1, 622. 644. 2, 270.) Namentlich gilt das vom agſ. hryðer, gen. hry- ðeres, es findet ſich hryðera hëord neben hryðer-hëord (rinder- heerde).

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/557>, abgerufen am 28.06.2024.