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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit subst.
der regel scheint keine consonantische ableitung ausge-
schloßen, häufig stehen die liquiden (himmel-reich, don-
ner-keil, boden-treppe, raben-stein) aber auch derivata
mit mutis, z. b. goth. vitoda-fasteis, ahd. houpit-man, ma-
gad-burt, leitid-duom, pilid-puoh mons. 319. manot-fen-
gida (calendae) alts. jugud-hed etc. und mit zwei conso-
nanten, z. b. goth. undaurni-mats, ahd. dionust-man, chu-
ninc-reihhi, ags. ombiht-scealc, ahd. offerunc-gelstar (sa-
criticium) J. 395. (zweimahl) hamalunc-stat jun. 218.
Letztere sind die einzigen mir bekannten ahd. beispiele
einer comp. mit -unc, -unka, mhd. weiß ich gar keins,
nhd. werden sie ganz häufig (unten §. 6.). Subst. mit
-iss, -niss bringt die ältere sprache auch nicht in compo-
sition, wohl aber die nhd. (geheimnis-kraemerei, begraeb-
nis-kosten). Im nhd. wüste ich, was sich gegen eigent-
liche comp. sträubte, nur die diminutiva auf -lein, -chen
zu nennen; füßlein-tritt, schwertlein-schlag, vöglein-fang,
mädchen-schaft, bübchen-streich u. dgl. läßt sich kaum
sagen, vielleicht weil ihr -n ursprünglich flexivisch
ist (1, 631.); ohne das n componieren sie wirklich, vgl.
ahd. wunscili-gerta (caduceus) nhd. wünschel-ruthe und
die n. pr. entili-puoh schweiz. entli-buch, fügli-staller.
Indessen sagt man auch mädchen-herz, -stimme.

4) da in unzähligen ersten wörtern ein ableitungs-el,
-en, -er steht, so ist begreiflich, wie einzelne verdunkelte
ein ungehöriges el, en, er annehmen und gleichsam an
die stelle des verwischten compos. vocals treten laßen.
Doch das -en läßt sich auch in solchen fällen lieber ge-
nitivisch aus uneigentlicher comp. erklären, nur daß selbst
dieses uneigentliche -en in -el überschwankt. Beispiele
des -el und -er liefern hauptsächlich die eigennamen von
pflanzen und örtern. Aus dem alten esci-pah entspringt
neben eschen-bach die form eschel-bach, eschil-bach; aus
gunda-reba gundel-rebe und gunder-rebe (gunder-mann,
gunder-lunze); vermuthlich heidel-beere, heidel-berg,
fichtel-berg aus heid-beri, heidan-berc *), fihtono-berc.
Mhd. handschriften (schwerlich alte und gute) gewäh-
ren ougel-weide (troj. 7525. Vrib. Trist. 575.) f. ougen-
weide. Gehört hierher das -el in hiesal-tera, niederl.
notel-tere von hiefe, not? Wer es in solchen formen

*) die form heidel-berg begegnet nicht vor dem 12. jahrh. und
neben ihr findet sich heiden-berg (Dumbeck geogr. pagor. 166.
170.); mons myrtillorum (das wäre heidelberberg) kann es nicht
bedeuten.

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
der regel ſcheint keine conſonantiſche ableitung ausge-
ſchloßen, häufig ſtehen die liquiden (himmel-reich, don-
ner-keil, boden-treppe, raben-ſtein) aber auch derivata
mit mutis, z. b. goth. vitôda-faſteis, ahd. houpit-man, ma-
gad-burt, leitid-duom, pilid-puoh monſ. 319. mânôt-fen-
gida (calendae) altſ. jugud-hêd etc. und mit zwei conſo-
nanten, z. b. goth. undaúrni-mats, ahd. dionuſt-man, chu-
ninc-rîhhi, agſ. ombiht-ſcëalc, ahd. offerunc-gëlſtar (ſa-
criticium) J. 395. (zweimahl) hamalunc-ſtat jun. 218.
Letztere ſind die einzigen mir bekannten ahd. beiſpiele
einer comp. mit -unc, -unka, mhd. weiß ich gar keins,
nhd. werden ſie ganz häufig (unten §. 6.). Subſt. mit
-iſſ, -niſſ bringt die ältere ſprache auch nicht in compo-
ſition, wohl aber die nhd. (geheimnis-kræmerei, begræb-
nis-koſten). Im nhd. wüſte ich, was ſich gegen eigent-
liche comp. ſträubte, nur die diminutiva auf -lein, -chen
zu nennen; füßlein-tritt, ſchwertlein-ſchlag, vöglein-fang,
mädchen-ſchaft, bübchen-ſtreich u. dgl. läßt ſich kaum
ſagen, vielleicht weil ihr -n urſprünglich flexiviſch
iſt (1, 631.); ohne das n componieren ſie wirklich, vgl.
ahd. wunſcili-gerta (caduceus) nhd. wünſchel-ruthe und
die n. pr. entili-puoh ſchweiz. entli-buch, fügli-ſtaller.
Indeſſen ſagt man auch mädchen-herz, -ſtimme.

4) da in unzähligen erſten wörtern ein ableitungs-el,
-en, -er ſteht, ſo iſt begreiflich, wie einzelne verdunkelte
ein ungehöriges el, en, er annehmen und gleichſam an
die ſtelle des verwiſchten compoſ. vocals treten laßen.
Doch das -en läßt ſich auch in ſolchen fällen lieber ge-
nitiviſch aus uneigentlicher comp. erklären, nur daß ſelbſt
dieſes uneigentliche -en in -el überſchwankt. Beiſpiele
des -el und -er liefern hauptſächlich die eigennamen von
pflanzen und örtern. Aus dem alten eſci-pah entſpringt
neben eſchen-bach die form eſchel-bach, eſchil-bach; aus
gunda-rëba gundel-rebe und gunder-rebe (gunder-mann,
gunder-lunze); vermuthlich heidel-beere, heidel-berg,
fichtel-berg aus heid-beri, heidan-bërc *), fihtôno-bërc.
Mhd. handſchriften (ſchwerlich alte und gute) gewäh-
ren ougel-weide (troj. 7525. Vrib. Triſt. 575.) f. ougen-
weide. Gehört hierher das -el in hieſal-tera, niederl.
notel-tere von hiefe, not? Wer es in ſolchen formen

*) die form heidel-bërg begegnet nicht vor dem 12. jahrh. und
neben ihr findet ſich heiden-bërg (Dumbeck geogr. pagor. 166.
170.); mons myrtillorum (das wäre heidelberberg) kann es nicht
bedeuten.
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[540/0558] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt. der regel ſcheint keine conſonantiſche ableitung ausge- ſchloßen, häufig ſtehen die liquiden (himmel-reich, don- ner-keil, boden-treppe, raben-ſtein) aber auch derivata mit mutis, z. b. goth. vitôda-faſteis, ahd. houpit-man, ma- gad-burt, leitid-duom, pilid-puoh monſ. 319. mânôt-fen- gida (calendae) altſ. jugud-hêd etc. und mit zwei conſo- nanten, z. b. goth. undaúrni-mats, ahd. dionuſt-man, chu- ninc-rîhhi, agſ. ombiht-ſcëalc, ahd. offerunc-gëlſtar (ſa- criticium) J. 395. (zweimahl) hamalunc-ſtat jun. 218. Letztere ſind die einzigen mir bekannten ahd. beiſpiele einer comp. mit -unc, -unka, mhd. weiß ich gar keins, nhd. werden ſie ganz häufig (unten §. 6.). Subſt. mit -iſſ, -niſſ bringt die ältere ſprache auch nicht in compo- ſition, wohl aber die nhd. (geheimnis-kræmerei, begræb- nis-koſten). Im nhd. wüſte ich, was ſich gegen eigent- liche comp. ſträubte, nur die diminutiva auf -lein, -chen zu nennen; füßlein-tritt, ſchwertlein-ſchlag, vöglein-fang, mädchen-ſchaft, bübchen-ſtreich u. dgl. läßt ſich kaum ſagen, vielleicht weil ihr -n urſprünglich flexiviſch iſt (1, 631.); ohne das n componieren ſie wirklich, vgl. ahd. wunſcili-gerta (caduceus) nhd. wünſchel-ruthe und die n. pr. entili-puoh ſchweiz. entli-buch, fügli-ſtaller. Indeſſen ſagt man auch mädchen-herz, -ſtimme. 4) da in unzähligen erſten wörtern ein ableitungs-el, -en, -er ſteht, ſo iſt begreiflich, wie einzelne verdunkelte ein ungehöriges el, en, er annehmen und gleichſam an die ſtelle des verwiſchten compoſ. vocals treten laßen. Doch das -en läßt ſich auch in ſolchen fällen lieber ge- nitiviſch aus uneigentlicher comp. erklären, nur daß ſelbſt dieſes uneigentliche -en in -el überſchwankt. Beiſpiele des -el und -er liefern hauptſächlich die eigennamen von pflanzen und örtern. Aus dem alten eſci-pah entſpringt neben eſchen-bach die form eſchel-bach, eſchil-bach; aus gunda-rëba gundel-rebe und gunder-rebe (gunder-mann, gunder-lunze); vermuthlich heidel-beere, heidel-berg, fichtel-berg aus heid-beri, heidan-bërc *), fihtôno-bërc. Mhd. handſchriften (ſchwerlich alte und gute) gewäh- ren ougel-weide (troj. 7525. Vrib. Triſt. 575.) f. ougen- weide. Gehört hierher das -el in hieſal-tera, niederl. notel-tere von hiefe, not? Wer es in ſolchen formen *) die form heidel-bërg begegnet nicht vor dem 12. jahrh. und neben ihr findet ſich heiden-bërg (Dumbeck geogr. pagor. 166. 170.); mons myrtillorum (das wäre heidelberberg) kann es nicht bedeuten.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/558>, abgerufen am 16.07.2024.