Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit verb.
Trist. tobe-trunken Barl. und goit-gewunden pf. ch. 69b
(fragm. 35a); schaffen und trunken habe ich mit unrecht
s. 165. zu den adj. gezählt, für beide comp. ist aber die
subst. natur des ersten worts noch zweifelhaft, golt-ge-
wunden scheint ein altepischer ausdruck. In der regel
setzen die dichter den casus, z. b. mit golde wol bewun-
den. wol bew. m. g. Wigal. 35. 67. von golde durch-
slagen a. w. 3, 236. von liebe trunken troj. 74b. -- Ge-
gen diesen sparsamen gebrauch sticht der nhd. überfluß
ab, den wir aber erst den dichtern (seit 1750) verdanken;
die schlesischen wagten noch nicht so zu componieren.
Luther bedient sich nur einzelner wortbildungen, nament-
lich des ausdruckes schrift-gelehrt (legis peritus). Ade-
lung erkannte wohl einige an, z. b. ehr-vergeßen, pflicht-
verg. kunft-beflißen, kunst-erfahren und sträubte sich ge-
gen die menge der übrigen *). Vergebens; denn was der
hochd. mundart fremdgeworden, nicht völlig unbekannt
war, was sich in der poesie der verschwisterten stämme
deutlich entfaltet hatte, durfte auch unsrer neugelösten
zunge angemuthet werden und heutzutage klingen zusam-
mensetzungen wie folgende durchaus nicht undeutsch:
knecht-geboren, staub-geboren, schiff-befahren, dorn-ge-
flochten, meer-umfloßen, gott-ergeben, tuch-behangen.
fluch-beladen, qual-entladen, gold-beschlagen, fisch-ver-
schlungen, lied-besungen, wonne-trunken, gras-bewach-
sen, land-verwiesen; moos-bedeckt, ruhm-bedeckt, schnee-
bedeckt, sturm-bedroht, blut-befleckt, gold-geflügelt, angst-
erfüllt, gott-geführt, wald-bekränzt, berg-gekrönt, gram-
belastet, gift-vermischt, gott-gesandt, see-bespült, pelz-
besetzt, schwert-bewafnet, wind-bewegt, gold-gewirkt.
feuer-verzehrt **) u. a. m. Doch dürfen keine neue nüch-
tern erfunden werden und ihre anwendung muß über-
haupt maß halten, etwa wie die im vorigen abschnitt an-
geführten zus. gesetzten adjectiva (deren zweites wort
nicht abstract geworden ist) häufigen gebrauch nicht ver-

*) lehrgeb. II. §. 465. p. 25; den hauptgrund wuste er nicht
einmahl geltend zu machen, daß sie im ahd. und mhd. beinahe
fehlen.
**) gewöhnlich werden sie sich durch die praep. von, mit, aus
erklären; selten durch ein bewegendes in, an (s. 431. 433.) wiewohl
an sich nichts dawider siritte; heim-gegangen, heim-gefahren ist
zweifelhaftes beispiel (wie heim-gang, heim-fahrt), himmel-gefah-
ren, thier-verwandelt, meer-versunken scheineu mir zuläßig, vgl.
das schw. berg-tagen und altn. hel-genginn.
P p

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb.
Triſt. tobe-trunken Barl. und goit-gewunden pf. ch. 69b
(fragm. 35a); ſchaffen und trunken habe ich mit unrecht
ſ. 165. zu den adj. gezählt, für beide comp. iſt aber die
ſubſt. natur des erſten worts noch zweifelhaft, golt-ge-
wunden ſcheint ein altepiſcher ausdruck. In der regel
ſetzen die dichter den caſus, z. b. mit golde wol bewun-
den. wol bew. m. g. Wigal. 35. 67. von golde durch-
ſlagen a. w. 3, 236. von liebe trunken troj. 74b. — Ge-
gen dieſen ſparſamen gebrauch ſticht der nhd. überfluß
ab, den wir aber erſt den dichtern (ſeit 1750) verdanken;
die ſchleſiſchen wagten noch nicht ſo zu componieren.
Luther bedient ſich nur einzelner wortbildungen, nament-
lich des ausdruckes ſchrift-gelehrt (legis peritus). Ade-
lung erkannte wohl einige an, z. b. ehr-vergeßen, pflicht-
verg. kunft-beflißen, kunſt-erfahren und ſträubte ſich ge-
gen die menge der übrigen *). Vergebens; denn was der
hochd. mundart fremdgeworden, nicht völlig unbekannt
war, was ſich in der poeſie der verſchwiſterten ſtämme
deutlich entfaltet hatte, durfte auch unſrer neugelöſten
zunge angemuthet werden und heutzutage klingen zuſam-
menſetzungen wie folgende durchaus nicht undeutſch:
knecht-geboren, ſtaub-geboren, ſchiff-befahren, dorn-ge-
flochten, meer-umfloßen, gott-ergeben, tuch-behangen.
fluch-beladen, qual-entladen, gold-beſchlagen, fiſch-ver-
ſchlungen, lied-beſungen, wonne-trunken, gras-bewach-
ſen, land-verwieſen; moos-bedeckt, ruhm-bedeckt, ſchnee-
bedeckt, ſturm-bedroht, blut-befleckt, gold-geflügelt, angſt-
erfüllt, gott-geführt, wald-bekränzt, berg-gekrönt, gram-
belaſtet, gift-vermiſcht, gott-geſandt, ſee-beſpült, pelz-
beſetzt, ſchwert-bewafnet, wind-bewegt, gold-gewirkt.
feuer-verzehrt **) u. a. m. Doch dürfen keine neue nüch-
tern erfunden werden und ihre anwendung muß über-
haupt maß halten, etwa wie die im vorigen abſchnitt an-
geführten zuſ. geſetzten adjectiva (deren zweites wort
nicht abſtract geworden iſt) häufigen gebrauch nicht ver-

*) lehrgeb. II. §. 465. p. 25; den hauptgrund wuſte er nicht
einmahl geltend zu machen, daß ſie im ahd. und mhd. beinahe
fehlen.
**) gewöhnlich werden ſie ſich durch die praep. von, mit, aus
erklären; ſelten durch ein bewegendes in, an (ſ. 431. 433.) wiewohl
an ſich nichts dawider ſiritte; heim-gegangen, heim-gefahren iſt
zweifelhaftes beiſpiel (wie heim-gang, heim-fahrt), himmel-gefah-
ren, thier-verwandelt, meer-verſunken ſcheineu mir zuläßig, vgl.
das ſchw. berg-tagen und altn. hel-genginn.
P p
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0611" n="593"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">&#x017F;ub&#x017F;t. eigentl. comp. &#x2014; &#x017F;ub&#x017F;t. mit verb.</hi></hi></fw><lb/>
Tri&#x017F;t. tobe-trunken Barl. und goit-gewunden pf. ch. 69<hi rendition="#sup">b</hi><lb/>
(fragm. 35<hi rendition="#sup">a</hi>); &#x017F;chaffen und trunken habe ich mit unrecht<lb/>
&#x017F;. 165. zu den adj. gezählt, für beide comp. i&#x017F;t aber die<lb/>
&#x017F;ub&#x017F;t. natur des er&#x017F;ten worts noch zweifelhaft, golt-ge-<lb/>
wunden &#x017F;cheint ein altepi&#x017F;cher ausdruck. In der regel<lb/>
&#x017F;etzen die dichter den ca&#x017F;us, z. b. mit golde wol bewun-<lb/>
den. wol bew. m. g. Wigal. 35. 67. von golde durch-<lb/>
&#x017F;lagen a. w. 3, 236. von liebe trunken troj. 74<hi rendition="#sup">b</hi>. &#x2014; Ge-<lb/>
gen die&#x017F;en &#x017F;par&#x017F;amen gebrauch &#x017F;ticht der nhd. überfluß<lb/>
ab, den wir aber er&#x017F;t den dichtern (&#x017F;eit 1750) verdanken;<lb/>
die &#x017F;chle&#x017F;i&#x017F;chen wagten noch nicht &#x017F;o zu componieren.<lb/>
Luther bedient &#x017F;ich nur einzelner wortbildungen, nament-<lb/>
lich des ausdruckes &#x017F;chrift-gelehrt (legis peritus). Ade-<lb/>
lung erkannte wohl einige an, z. b. ehr-vergeßen, pflicht-<lb/>
verg. kunft-beflißen, kun&#x017F;t-erfahren und &#x017F;träubte &#x017F;ich ge-<lb/>
gen die menge der übrigen <note place="foot" n="*)">lehrgeb. II. §. 465. p. 25; den hauptgrund wu&#x017F;te er nicht<lb/>
einmahl geltend zu machen, daß &#x017F;ie im ahd. und mhd. beinahe<lb/>
fehlen.</note>. Vergebens; denn was der<lb/>
hochd. mundart fremdgeworden, nicht völlig unbekannt<lb/>
war, was &#x017F;ich in der poe&#x017F;ie der ver&#x017F;chwi&#x017F;terten &#x017F;tämme<lb/>
deutlich entfaltet hatte, durfte auch un&#x017F;rer neugelö&#x017F;ten<lb/>
zunge angemuthet werden und heutzutage klingen zu&#x017F;am-<lb/>
men&#x017F;etzungen wie folgende durchaus nicht undeut&#x017F;ch:<lb/>
knecht-geboren, &#x017F;taub-geboren, &#x017F;chiff-befahren, dorn-ge-<lb/>
flochten, meer-umfloßen, gott-ergeben, tuch-behangen.<lb/>
fluch-beladen, qual-entladen, gold-be&#x017F;chlagen, fi&#x017F;ch-ver-<lb/>
&#x017F;chlungen, lied-be&#x017F;ungen, wonne-trunken, gras-bewach-<lb/>
&#x017F;en, land-verwie&#x017F;en; moos-bedeckt, ruhm-bedeckt, &#x017F;chnee-<lb/>
bedeckt, &#x017F;turm-bedroht, blut-befleckt, gold-geflügelt, ang&#x017F;t-<lb/>
erfüllt, gott-geführt, wald-bekränzt, berg-gekrönt, gram-<lb/>
bela&#x017F;tet, gift-vermi&#x017F;cht, gott-ge&#x017F;andt, &#x017F;ee-be&#x017F;pült, pelz-<lb/>
be&#x017F;etzt, &#x017F;chwert-bewafnet, wind-bewegt, gold-gewirkt.<lb/>
feuer-verzehrt <note place="foot" n="**)">gewöhnlich werden &#x017F;ie &#x017F;ich durch die praep. <hi rendition="#i">von</hi>, <hi rendition="#i">mit</hi>, <hi rendition="#i">aus</hi><lb/>
erklären; &#x017F;elten durch ein <hi rendition="#i">bewegendes in</hi>, <hi rendition="#i">an</hi> (&#x017F;. 431. 433.) wiewohl<lb/>
an &#x017F;ich nichts dawider &#x017F;iritte; heim-gegangen, heim-gefahren i&#x017F;t<lb/>
zweifelhaftes bei&#x017F;piel (wie heim-gang, heim-fahrt), himmel-gefah-<lb/>
ren, thier-verwandelt, meer-ver&#x017F;unken &#x017F;cheineu mir zuläßig, vgl.<lb/>
das &#x017F;chw. berg-tagen und altn. hel-genginn.</note> u. a. m. Doch dürfen keine neue nüch-<lb/>
tern erfunden werden und ihre anwendung muß über-<lb/>
haupt maß halten, etwa wie die im vorigen ab&#x017F;chnitt an-<lb/>
geführten zu&#x017F;. ge&#x017F;etzten adjectiva (deren zweites wort<lb/>
nicht ab&#x017F;tract geworden i&#x017F;t) häufigen gebrauch nicht ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P p</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[593/0611] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb. Triſt. tobe-trunken Barl. und goit-gewunden pf. ch. 69b (fragm. 35a); ſchaffen und trunken habe ich mit unrecht ſ. 165. zu den adj. gezählt, für beide comp. iſt aber die ſubſt. natur des erſten worts noch zweifelhaft, golt-ge- wunden ſcheint ein altepiſcher ausdruck. In der regel ſetzen die dichter den caſus, z. b. mit golde wol bewun- den. wol bew. m. g. Wigal. 35. 67. von golde durch- ſlagen a. w. 3, 236. von liebe trunken troj. 74b. — Ge- gen dieſen ſparſamen gebrauch ſticht der nhd. überfluß ab, den wir aber erſt den dichtern (ſeit 1750) verdanken; die ſchleſiſchen wagten noch nicht ſo zu componieren. Luther bedient ſich nur einzelner wortbildungen, nament- lich des ausdruckes ſchrift-gelehrt (legis peritus). Ade- lung erkannte wohl einige an, z. b. ehr-vergeßen, pflicht- verg. kunft-beflißen, kunſt-erfahren und ſträubte ſich ge- gen die menge der übrigen *). Vergebens; denn was der hochd. mundart fremdgeworden, nicht völlig unbekannt war, was ſich in der poeſie der verſchwiſterten ſtämme deutlich entfaltet hatte, durfte auch unſrer neugelöſten zunge angemuthet werden und heutzutage klingen zuſam- menſetzungen wie folgende durchaus nicht undeutſch: knecht-geboren, ſtaub-geboren, ſchiff-befahren, dorn-ge- flochten, meer-umfloßen, gott-ergeben, tuch-behangen. fluch-beladen, qual-entladen, gold-beſchlagen, fiſch-ver- ſchlungen, lied-beſungen, wonne-trunken, gras-bewach- ſen, land-verwieſen; moos-bedeckt, ruhm-bedeckt, ſchnee- bedeckt, ſturm-bedroht, blut-befleckt, gold-geflügelt, angſt- erfüllt, gott-geführt, wald-bekränzt, berg-gekrönt, gram- belaſtet, gift-vermiſcht, gott-geſandt, ſee-beſpült, pelz- beſetzt, ſchwert-bewafnet, wind-bewegt, gold-gewirkt. feuer-verzehrt **) u. a. m. Doch dürfen keine neue nüch- tern erfunden werden und ihre anwendung muß über- haupt maß halten, etwa wie die im vorigen abſchnitt an- geführten zuſ. geſetzten adjectiva (deren zweites wort nicht abſtract geworden iſt) häufigen gebrauch nicht ver- *) lehrgeb. II. §. 465. p. 25; den hauptgrund wuſte er nicht einmahl geltend zu machen, daß ſie im ahd. und mhd. beinahe fehlen. **) gewöhnlich werden ſie ſich durch die praep. von, mit, aus erklären; ſelten durch ein bewegendes in, an (ſ. 431. 433.) wiewohl an ſich nichts dawider ſiritte; heim-gegangen, heim-gefahren iſt zweifelhaftes beiſpiel (wie heim-gang, heim-fahrt), himmel-gefah- ren, thier-verwandelt, meer-verſunken ſcheineu mir zuläßig, vgl. das ſchw. berg-tagen und altn. hel-genginn. P p

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/611
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/611>, abgerufen am 22.11.2024.