in allen diesen belegen ein t hinzutreten und mit dem part. praes. componiert scheinen? Da aber dieselben ahd. denkmähler sonst das t schreiben und die zus. setzung mit dem inf. nichts widersinniges hat, so will ich sie nicht übereilt aufgeben. Ja es spricht dafür das von Lye an- geführte ags. don-lic (practicus) und nhd. häufige thun- lich, nnl. doen-lik, das sich vielleicht noch einmahl im ahd. und mhd. auffinden läßt. Das volk spricht thu-lich, was rein verbales ahd. tuo-l. wäre? oder hätte man wie- der ein ausgefallenes t und tuont-l. anzunehmen?
2) uneigentliche composition findet nhd. mit einzel- nen adj. z. b. sterbens-krank, hauptsächlich aber mit dem adj. werth und würdig statt: dankens-werth, erbarmens- w. fluchens-w. haßens-w. bemitleidens-w. lesens-w. lo- bens-w. meldens-w. merkens-w. nennens-w. rühmens-w. scheltens-w. tadelns-w. und bedauerns-würdig, liebens-wür- dig, sehens-w. verabscheuens-w. neben rein verbalem fluch- würdig, lob-würdig, merk-würdig, denk-würdig. Auch sagt man uncomponiert mit vorgesetztem artikel: des nen- nens werth, des bemerkens, bemitleidens, anführens w. In der älteren sprache überall ohne zus. setzung: den- chennes muodiu N. Cap. 115. fermeidennes mariu ibid. 120. und selbst in späteren volksliedern: es ist nun rei- tens werth (werth, daß darum geritten wird) das lied ist singens (hörens) werth, die sache ist redens werth (verdient besprochen zu werden), der tod sterbens werth etc. Es gibt auch nhd. subst. dieser uneigentlichen zus. setzung: redens-art, lebens-zeichen, lebens-bahn, sterbens-wört- chen, leidens-gefährte, lebens-gefährte. Im ahd. überall ungebundenheit, z. b. anagangonnes cot (Janus) N. Cap. 51. Uneigentlich gebunden auf andere weise ist das nhd. hören-sagen (franz. oui-dire), wo gewissermaßen zwei verba zus. wachsen; es entspringt aus der redensart: ich habe hören sagen, die in der syntax erläutert wer- den wird.
Anmerkungen zu der verbalcomposition insgemein:
a) bei der reinverbalen darf man nicht sagen, daß sie aus dem inf. mit abgeworfnem -en entspringe, denn eben- so practisch könnte sie jetzt aus der III. pl. praes. geleitet werden. Wie die nominale nicht hervorgeht aus dem wegfall einer casusflexion, so bindet auch bei der verba- len der bloße comp. vocal das unflectierte verbum an
III. verbale comp. — particip. inſinitiviſche.
in allen dieſen belegen ein t hinzutreten und mit dem part. praeſ. componiert ſcheinen? Da aber dieſelben ahd. denkmähler ſonſt das t ſchreiben und die zuſ. ſetzung mit dem inf. nichts widerſinniges hat, ſo will ich ſie nicht übereilt aufgeben. Ja es ſpricht dafür das von Lye an- geführte agſ. dôn-lic (practicus) und nhd. häufige thun- lich, nnl. doen-lik, das ſich vielleicht noch einmahl im ahd. und mhd. auffinden läßt. Das volk ſpricht thu-lich, was rein verbales ahd. tuo-l. wäre? oder hätte man wie- der ein ausgefallenes t und tuont-l. anzunehmen?
2) uneigentliche compoſition findet nhd. mit einzel- nen adj. z. b. ſterbens-krank, hauptſächlich aber mit dem adj. werth und würdig ſtatt: dankens-werth, erbarmens- w. fluchens-w. haßens-w. bemitleidens-w. leſens-w. lo- bens-w. meldens-w. merkens-w. nennens-w. rühmens-w. ſcheltens-w. tadelns-w. und bedauerns-würdig, liebens-wür- dig, ſehens-w. verabſcheuens-w. neben rein verbalem fluch- würdig, lob-würdig, merk-würdig, denk-würdig. Auch ſagt man uncomponiert mit vorgeſetztem artikel: des nen- nens werth, des bemerkens, bemitleidens, anführens w. In der älteren ſprache überall ohne zuſ. ſetzung: den- chennes muodiu N. Cap. 115. fermîdennes mâriu ibid. 120. und ſelbſt in ſpäteren volksliedern: es iſt nun rei- tens werth (werth, daß darum geritten wird) das lied iſt ſingens (hörens) werth, die ſache iſt redens werth (verdient beſprochen zu werden), der tod ſterbens werth etc. Es gibt auch nhd. ſubſt. dieſer uneigentlichen zuſ. ſetzung: redens-art, lebens-zeichen, lebens-bahn, ſterbens-wört- chen, leidens-gefährte, lebens-gefährte. Im ahd. überall ungebundenheit, z. b. anagangônnes cot (Janus) N. Cap. 51. Uneigentlich gebunden auf andere weiſe iſt das nhd. hören-ſagen (franz. oui-dire), wo gewiſſermaßen zwei verba zuſ. wachſen; es entſpringt aus der redensart: ich habe hören ſagen, die in der ſyntax erläutert wer- den wird.
Anmerkungen zu der verbalcompoſition insgemein:
a) bei der reinverbalen darf man nicht ſagen, daß ſie aus dem inf. mit abgeworfnem -en entſpringe, denn eben- ſo practiſch könnte ſie jetzt aus der III. pl. praeſ. geleitet werden. Wie die nominale nicht hervorgeht aus dem wegfall einer caſusflexion, ſo bindet auch bei der verba- len der bloße comp. vocal das unflectierte verbum an
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denkmähler ſonſt das t ſchreiben und die zuſ. ſetzung mit
dem inf. nichts widerſinniges hat, ſo will ich ſie nicht
übereilt aufgeben. Ja es ſpricht dafür das von Lye an-
geführte agſ. dôn-lic (practicus) und nhd. häufige thun-
lich, nnl. doen-lik, das ſich vielleicht noch einmahl im
ahd. und mhd. auffinden läßt. Das volk ſpricht thu-lich,
was rein verbales ahd. tuo-l. wäre? oder hätte man wie-
der ein ausgefallenes t und tuont-l. anzunehmen?
2) uneigentliche compoſition findet nhd. mit einzel-
nen adj. z. b. ſterbens-krank, hauptſächlich aber mit dem
adj. werth und würdig ſtatt: dankens-werth, erbarmens-
w. fluchens-w. haßens-w. bemitleidens-w. leſens-w. lo-
bens-w. meldens-w. merkens-w. nennens-w. rühmens-w.
ſcheltens-w. tadelns-w. und bedauerns-würdig, liebens-wür-
dig, ſehens-w. verabſcheuens-w. neben rein verbalem fluch-
würdig, lob-würdig, merk-würdig, denk-würdig. Auch
ſagt man uncomponiert mit vorgeſetztem artikel: des nen-
nens werth, des bemerkens, bemitleidens, anführens w.
In der älteren ſprache überall ohne zuſ. ſetzung: den-
chennes muodiu N. Cap. 115. fermîdennes mâriu ibid.
120. und ſelbſt in ſpäteren volksliedern: es iſt nun rei-
tens werth (werth, daß darum geritten wird) das lied
iſt ſingens (hörens) werth, die ſache iſt redens werth
(verdient beſprochen zu werden), der tod ſterbens werth etc.
Es gibt auch nhd. ſubſt. dieſer uneigentlichen zuſ. ſetzung:
redens-art, lebens-zeichen, lebens-bahn, ſterbens-wört-
chen, leidens-gefährte, lebens-gefährte. Im ahd. überall
ungebundenheit, z. b. anagangônnes cot (Janus) N. Cap.
51. Uneigentlich gebunden auf andere weiſe iſt das nhd.
hören-ſagen (franz. oui-dire), wo gewiſſermaßen zwei
verba zuſ. wachſen; es entſpringt aus der redensart: ich
habe hören ſagen, die in der ſyntax erläutert wer-
den wird.
Anmerkungen zu der verbalcompoſition insgemein:
a) bei der reinverbalen darf man nicht ſagen, daß ſie
aus dem inf. mit abgeworfnem -en entſpringe, denn eben-
ſo practiſch könnte ſie jetzt aus der III. pl. praeſ. geleitet
werden. Wie die nominale nicht hervorgeht aus dem
wegfall einer caſusflexion, ſo bindet auch bei der verba-
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 695. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/713>, abgerufen am 22.11.2024.
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