4) zeichen eigentlicher composition ist, daß eine unab- sehbare menge von wörtern, uneigentlicher, daß nur eine beschränkte zahl dafür taugt. Die partikelzusammen- setzung begreift nur leblose, räumliche adverbia, voraus solche, die zugleich auch praepositionen werden. Sind also, nach dem vorigen, die componierten partikeln keine wirklichen praepositionen, so verdienen sie meistens prae- positionale adverbia zu heißen und diese berührung mit den praepositionen wird sich auch darin bewähren, daß solche, deren zweites wort verbum ist, bisweilen in das wirkliche praepositionsverhältnis umgesetzt werden. In den untrennbaren, entstellten partikeln läßt sich der prae- positionsgebrauch nicht immer nachweisen, aber vermu- then; das verneinende un- z. b. muß der praep. in nah- verwandt sein. Es finden sich jedoch hauptsächlich in der zusammensetzung mit dem nomen, auch partikeln, die niemahls praepositionen waren.
5) durch die composition sind untrennbare partikeln vielfacher entstellung und verdunklung unterworfen, wo- von sich hier im allgemeinen folgendes bemerken läßt:
a) der consonant wandelt sich nach dem anlaut des zweiten worts, theils assimilierend: goth. ur-reisan f. us- reisan, ahd. um-meß f. un-meß; theils andern lieblings- verbindungen folgend: nhd. im-biß f. in-biß; emp-fangen f. ent-fangen; emp-finden f. in-finden; ahd. am-paht f. ant-paht (goth. and-bahts).
b) liquida oder spirans fällt weg: altn. o- für un-; ahd. und ags. a- für as? wahrscheinlich noch andere, auf langen vocal endende, z. b. ahd. uo; was haben aber ein- gebüßt, die mit kurzem vocal schließen, z. b. goth. ga-? (vgl. gr. kata) *).
g) schwächung des vocals, vgl. mhd. en- für in-, be- für bi-, ze- für zi-; so wie umgekehrt die zu prae-
praep. nicht an ihr eigentliches subst., sondern an den voraus- gehenden artikel oder ein anderes pron. und adj. (bei N. sogar an den zwischenstehenden gen.) geräth. Diese ungrammatische schreibung wieder aufzunehmen wäre unangemeßen, obgleich sie an die innere gemeinschaft der praepositionen und casus mahnt. -- Etwas anders ist, wenn praep. mit ihrem casus ein neues adverbium bilden, z. b. ahd. in-gimeitaun, zi-samane etc. deren vereinigung freilich beinahe com- position wird.
*) meiner ansicht nach entspringen alle partikeln aus lebendigen wurzeln; da nun, im deutschen wenigstens, keine wurzel vocalisch schließen, geschweige aus bloßem vocal bestehen darf, so muß für alle partikeln wie a-, uo-, ga- etc. der verlorne consonant gesacht werden.
III. partikelcompoſition. — einleitung.
4) zeichen eigentlicher compoſition iſt, daß eine unab- ſehbare menge von wörtern, uneigentlicher, daß nur eine beſchränkte zahl dafür taugt. Die partikelzuſammen- ſetzung begreift nur lebloſe, räumliche adverbia, voraus ſolche, die zugleich auch praepoſitionen werden. Sind alſo, nach dem vorigen, die componierten partikeln keine wirklichen praepoſitionen, ſo verdienen ſie meiſtens prae- poſitionale adverbia zu heißen und dieſe berührung mit den praepoſitionen wird ſich auch darin bewähren, daß ſolche, deren zweites wort verbum iſt, bisweilen in das wirkliche praepoſitionsverhältnis umgeſetzt werden. In den untrennbaren, entſtellten partikeln läßt ſich der prae- poſitionsgebrauch nicht immer nachweiſen, aber vermu- then; das verneinende un- z. b. muß der praep. in nah- verwandt ſein. Es finden ſich jedoch hauptſächlich in der zuſammenſetzung mit dem nomen, auch partikeln, die niemahls praepoſitionen waren.
5) durch die compoſition ſind untrennbare partikeln vielfacher entſtellung und verdunklung unterworfen, wo- von ſich hier im allgemeinen folgendes bemerken läßt:
α) der conſonant wandelt ſich nach dem anlaut des zweiten worts, theils aſſimilierend: goth. ur-reiſan f. us- reiſan, ahd. um-mëƷ f. un-mëƷ; theils andern lieblings- verbindungen folgend: nhd. im-biß f. in-biß; emp-fangen f. ent-fangen; emp-finden f. in-finden; ahd. am-paht f. ant-paht (goth. and-bahts).
β) liquida oder ſpirans fällt weg: altn. ô- für un-; ahd. und agſ. â- für as? wahrſcheinlich noch andere, auf langen vocal endende, z. b. ahd. uo; was haben aber ein- gebüßt, die mit kurzem vocal ſchließen, z. b. goth. ga-? (vgl. gr. κατά) *).
γ) ſchwächung des vocals, vgl. mhd. ën- für in-, bë- für bi-, zë- für zi-; ſo wie umgekehrt die zu prae-
praep. nicht an ihr eigentliches ſubſt., ſondern an den voraus- gehenden artikel oder ein anderes pron. und adj. (bei N. ſogar an den zwiſchenſtehenden gen.) geräth. Dieſe ungrammatiſche ſchreibung wieder aufzunehmen wäre unangemeßen, obgleich ſie an die innere gemeinſchaft der praepoſitionen und caſus mahnt. — Etwas anders iſt, wenn praep. mit ihrem caſus ein neues adverbium bilden, z. b. ahd. in-gimeitûn, zi-ſamane etc. deren vereinigung freilich beinahe com- poſition wird.
*) meiner anſicht nach entſpringen alle partikeln aus lebendigen wurzeln; da nun, im deutſchen wenigſtens, keine wurzel vocaliſch ſchließen, geſchweige aus bloßem vocal beſtehen darf, ſo muß für alle partikeln wie â-, uo-, ga- etc. der verlorne conſonant geſacht werden.
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III. partikelcompoſition. — einleitung.
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ſehbare menge von wörtern, uneigentlicher, daß nur eine
beſchränkte zahl dafür taugt. Die partikelzuſammen-
ſetzung begreift nur lebloſe, räumliche adverbia, voraus
ſolche, die zugleich auch praepoſitionen werden. Sind
alſo, nach dem vorigen, die componierten partikeln keine
wirklichen praepoſitionen, ſo verdienen ſie meiſtens prae-
poſitionale adverbia zu heißen und dieſe berührung mit
den praepoſitionen wird ſich auch darin bewähren, daß
ſolche, deren zweites wort verbum iſt, bisweilen in das
wirkliche praepoſitionsverhältnis umgeſetzt werden. In
den untrennbaren, entſtellten partikeln läßt ſich der prae-
poſitionsgebrauch nicht immer nachweiſen, aber vermu-
then; das verneinende un- z. b. muß der praep. in nah-
verwandt ſein. Es finden ſich jedoch hauptſächlich in
der zuſammenſetzung mit dem nomen, auch partikeln, die
niemahls praepoſitionen waren.
5) durch die compoſition ſind untrennbare partikeln
vielfacher entſtellung und verdunklung unterworfen, wo-
von ſich hier im allgemeinen folgendes bemerken läßt:
α) der conſonant wandelt ſich nach dem anlaut des
zweiten worts, theils aſſimilierend: goth. ur-reiſan f. us-
reiſan, ahd. um-mëƷ f. un-mëƷ; theils andern lieblings-
verbindungen folgend: nhd. im-biß f. in-biß; emp-fangen
f. ent-fangen; emp-finden f. in-finden; ahd. am-paht f.
ant-paht (goth. and-bahts).
β) liquida oder ſpirans fällt weg: altn. ô- für un-;
ahd. und agſ. â- für as? wahrſcheinlich noch andere, auf
langen vocal endende, z. b. ahd. uo; was haben aber ein-
gebüßt, die mit kurzem vocal ſchließen, z. b. goth. ga-?
(vgl. gr. κατά) *).
γ) ſchwächung des vocals, vgl. mhd. ën- für in-,
bë- für bi-, zë- für zi-; ſo wie umgekehrt die zu prae-
*)
*) meiner anſicht nach entſpringen alle partikeln aus lebendigen
wurzeln; da nun, im deutſchen wenigſtens, keine wurzel vocaliſch
ſchließen, geſchweige aus bloßem vocal beſtehen darf, ſo muß für
alle partikeln wie â-, uo-, ga- etc. der verlorne conſonant geſacht
werden.
*) praep. nicht an ihr eigentliches ſubſt., ſondern an den voraus-
gehenden artikel oder ein anderes pron. und adj. (bei N. ſogar an den
zwiſchenſtehenden gen.) geräth. Dieſe ungrammatiſche ſchreibung
wieder aufzunehmen wäre unangemeßen, obgleich ſie an die innere
gemeinſchaft der praepoſitionen und caſus mahnt. — Etwas anders
iſt, wenn praep. mit ihrem caſus ein neues adverbium bilden, z. b. ahd.
in-gimeitûn, zi-ſamane etc. deren vereinigung freilich beinahe com-
poſition wird.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/717>, abgerufen am 22.11.2024.
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