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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomposition. -- part. mit nom.
mons. 342. zur-wani (suspiciosus) jun. 252. 260. zur-wa-
nen (desperare) T. 32, 8. (wo der übersetzer inde spe-
rantes f. desperantes nahm?); zur-wari (scandalizatus)
mons. 413. zur-warei (suspicio) doc. 246b mons. 373. zur-
warida (scandalum) jun. 225; zur-werf (repudium) mons.
323. Altn. tor-boenn (dusparaitetos) saem. edd. 223b;
tor-feldr (auch -veldr, difficilis); tor-foera (dusbaton);
tor-gaetr (aegre reparabilis); tor-höfn (atrophia); tor-
kendr (notu difficilis); tor-leidi (via impedita) tor-merki
(difficultas); tor-naemr (hebes) tor-naemi (hebetudo); tor-
radr (difficultate pressus); tor-rek (amissio); tor-sottr (dif-
ficilis acquisitu); tor-tryggr (suspicax) tor-trygd (suspicio)
tor-tryggja (dubitare, fidem non habere); tor-tion (grave
damnum). Diese ganz untrennbare part. kommt in ihrer
wirkung der eigentl. comp. mit missa- (s. 470.) und wa-
na- (s. 655.) ziemlich nahe, vgl. zur-triuwa mit mis-trauen,
zur-heil mit wana-heil. Das ahd. zur- hat mit zar-,
zer- (s. 723.) bloß zufällige und äußerliche ähnlichkeit,
denn 1) letzteres lautet goth. dis-, ersteres tus-; 2) letz-
teres mangelt im altn., ersteres ist, als tor-, vorhanden.
3) letzteres componiert sich nur mit dem verbum, erste-
res nur mit dem nomen *). 4) letzteres ist zus. gesetzt
aus zi-ar, zi-ir, ersteres scheint mir unzusammengesetzt,
da kein goth. tus aus du-us hervorgeht. Ist es aber wur-
zelhaft, so kann es mit tairan (nr. 326.), wie ich oben
s. 31. irrig annahm, nichts zu thun haben, welche wur-
zel auf taur, nicht auf tus führt. Die verlorne scheint
vielmehr tiufan, taus, tusun (wie liusan, kiusan) daher
auch ahd. zur- wie chur (nicht zor, chor). 5) der sinn
beider partikeln ist verschieden, tus- bedeutet schwierig-
keit und mangel, dis- trennung, beide begegnen sich
bloß, insofern beide verneinen. So möchte freilich zur-
ganc und zur-werf an die verba zergehen, zerwerfen er-
innern, sagt aber eigentlich misgang, fehlgang, miswurf
aus, nicht untergang, zerwerfung. Eher berührt sich
das ahd. zur- mit ahd. ur- (ex), vgl. ur-druß (taedium)
ur-wani (desperatus) ur-luster (desidiosus), ohne daß hier-
aus eine förmliche verwandtschaft dürfte gefolgert wer-
den. Zur- drückt wie mis-, un- bisweilen das böse aus:
zur-wan (argwohn) zur-lust (prava cupido, voluptas).

*) dieser grund, wenn er der einzige wäre, würde von geringem
gewicht sein; man könnte nämlich zur- (wie ant-) für die vollere
form der part. vor dem nomen, zer- (wie int-, ent-) für die
schwächere vor dem verbum nehmen.
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III. partikelcompoſition. — part. mit nom.
monſ. 342. zur-wâni (ſuſpicioſus) jun. 252. 260. zur-wâ-
nen (deſperare) T. 32, 8. (wo der überſetzer inde ſpe-
rantes f. deſperantes nahm?); zur-wâri (ſcandalizatus)
monſ. 413. zur-wârî (ſuſpicio) doc. 246b monſ. 373. zur-
wârida (ſcandalum) jun. 225; zur-wërf (repudium) monſ.
323. Altn. tor-bœnn (δυςπαραίτητος) ſæm. edd. 223b;
tor-feldr (auch -veldr, difficilis); tor-fœra (δύςβατον);
tor-gætr (aegre reparabilis); tor-höfn (atrophia); tor-
kendr (notu difficilis); tor-leidi (via impedita) tor-merki
(difficultas); tor-næmr (hebes) tor-næmi (hebetudo); tor-
râdr (difficultate preſſus); tor-rëk (amiſſio); tor-ſôttr (dif-
ficilis acquiſitu); tor-tryggr (ſuſpicax) tor-trygd (ſuſpicio)
tor-tryggja (dubitare, fidem non habere); tor-tión (grave
damnum). Dieſe ganz untrennbare part. kommt in ihrer
wirkung der eigentl. comp. mit miſſa- (ſ. 470.) und wa-
na- (ſ. 655.) ziemlich nahe, vgl. zur-triuwa mit mis-trauen,
zur-heil mit wana-heil. Das ahd. zur- hat mit zar-,
zër- (ſ. 723.) bloß zufällige und äußerliche ähnlichkeit,
denn 1) letzteres lautet goth. dis-, erſteres tus-; 2) letz-
teres mangelt im altn., erſteres iſt, als tor-, vorhanden.
3) letzteres componiert ſich nur mit dem verbum, erſte-
res nur mit dem nomen *). 4) letzteres iſt zuſ. geſetzt
aus zi-ar, zi-ir, erſteres ſcheint mir unzuſammengeſetzt,
da kein goth. tus aus du-us hervorgeht. Iſt es aber wur-
zelhaft, ſo kann es mit taíran (nr. 326.), wie ich oben
ſ. 31. irrig annahm, nichts zu thun haben, welche wur-
zel auf taúr, nicht auf tus führt. Die verlorne ſcheint
vielmehr tiufan, táus, tuſun (wie liuſan, kiuſan) daher
auch ahd. zur- wie chur (nicht zor, chor). 5) der ſinn
beider partikeln iſt verſchieden, tus- bedeutet ſchwierig-
keit und mangel, dis- trennung, beide begegnen ſich
bloß, inſofern beide verneinen. So möchte freilich zur-
ganc und zur-wërf an die verba zergehen, zerwerfen er-
innern, ſagt aber eigentlich misgang, fehlgang, miswurf
aus, nicht untergang, zerwerfung. Eher berührt ſich
das ahd. zur- mit ahd. ur- (ex), vgl. ur-druƷ (taedium)
ur-wâni (deſperatus) ur-luſtêr (deſidioſus), ohne daß hier-
aus eine förmliche verwandtſchaft dürfte gefolgert wer-
den. Zur- drückt wie mis-, un- bisweilen das böſe aus:
zur-wân (argwohn) zur-luſt (prava cupido, voluptas).

*) dieſer grund, wenn er der einzige wäre, würde von geringem
gewicht ſein; man könnte nämlich zur- (wie ant-) für die vollere
form der part. vor dem nomen, zër- (wie int-, ent-) für die
ſchwächere vor dem verbum nehmen.
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[769/0787] III. partikelcompoſition. — part. mit nom. monſ. 342. zur-wâni (ſuſpicioſus) jun. 252. 260. zur-wâ- nen (deſperare) T. 32, 8. (wo der überſetzer inde ſpe- rantes f. deſperantes nahm?); zur-wâri (ſcandalizatus) monſ. 413. zur-wârî (ſuſpicio) doc. 246b monſ. 373. zur- wârida (ſcandalum) jun. 225; zur-wërf (repudium) monſ. 323. Altn. tor-bœnn (δυςπαραίτητος) ſæm. edd. 223b; tor-feldr (auch -veldr, difficilis); tor-fœra (δύςβατον); tor-gætr (aegre reparabilis); tor-höfn (atrophia); tor- kendr (notu difficilis); tor-leidi (via impedita) tor-merki (difficultas); tor-næmr (hebes) tor-næmi (hebetudo); tor- râdr (difficultate preſſus); tor-rëk (amiſſio); tor-ſôttr (dif- ficilis acquiſitu); tor-tryggr (ſuſpicax) tor-trygd (ſuſpicio) tor-tryggja (dubitare, fidem non habere); tor-tión (grave damnum). Dieſe ganz untrennbare part. kommt in ihrer wirkung der eigentl. comp. mit miſſa- (ſ. 470.) und wa- na- (ſ. 655.) ziemlich nahe, vgl. zur-triuwa mit mis-trauen, zur-heil mit wana-heil. Das ahd. zur- hat mit zar-, zër- (ſ. 723.) bloß zufällige und äußerliche ähnlichkeit, denn 1) letzteres lautet goth. dis-, erſteres tus-; 2) letz- teres mangelt im altn., erſteres iſt, als tor-, vorhanden. 3) letzteres componiert ſich nur mit dem verbum, erſte- res nur mit dem nomen *). 4) letzteres iſt zuſ. geſetzt aus zi-ar, zi-ir, erſteres ſcheint mir unzuſammengeſetzt, da kein goth. tus aus du-us hervorgeht. Iſt es aber wur- zelhaft, ſo kann es mit taíran (nr. 326.), wie ich oben ſ. 31. irrig annahm, nichts zu thun haben, welche wur- zel auf taúr, nicht auf tus führt. Die verlorne ſcheint vielmehr tiufan, táus, tuſun (wie liuſan, kiuſan) daher auch ahd. zur- wie chur (nicht zor, chor). 5) der ſinn beider partikeln iſt verſchieden, tus- bedeutet ſchwierig- keit und mangel, dis- trennung, beide begegnen ſich bloß, inſofern beide verneinen. So möchte freilich zur- ganc und zur-wërf an die verba zergehen, zerwerfen er- innern, ſagt aber eigentlich misgang, fehlgang, miswurf aus, nicht untergang, zerwerfung. Eher berührt ſich das ahd. zur- mit ahd. ur- (ex), vgl. ur-druƷ (taedium) ur-wâni (deſperatus) ur-luſtêr (deſidioſus), ohne daß hier- aus eine förmliche verwandtſchaft dürfte gefolgert wer- den. Zur- drückt wie mis-, un- bisweilen das böſe aus: zur-wân (argwohn) zur-luſt (prava cupido, voluptas). *) dieſer grund, wenn er der einzige wäre, würde von geringem gewicht ſein; man könnte nämlich zur- (wie ant-) für die vollere form der part. vor dem nomen, zër- (wie int-, ent-) für die ſchwächere vor dem verbum nehmen. C c c

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 769. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/787>, abgerufen am 22.11.2024.