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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomp. -- untr. part. mit verb.
zer-hauen; zer-kauen; zer-kochen; zer-kratzen; zer-
laßen; zer-legen; zer-rinnen; zer-rühren; zer-schellen;
zer-schlagen; zer-schmelzen; zer-setzen; zer-stechen; zer-
stieben; zer-stoßen; zer-streuen; zer-tanzen; zer-zeisen;
sich zer-werfen; zer-wühlen; wir sagen aber nicht zer-
geben, -gießen; -führen, -säen, -thun etc.; fortbildbar
sind sie am ersten für den reciproken gebrauch, z. b. sich
zer-ängstigen; zer-plagen, zer-sorgen, zer-schreiben und
dergl. -- 3) eine merkwürdige bedeutung hat die part.
in einigen goth. wörtern. Sie verleugnet ganz ihren
privativen, sondernden sinn und drückt bewältigung aus,
etwa dem lat. ob- oder dem deutschen be- vergleichbar.
Es sind nur vier composita: dis-driusan (epipiptein) Luc.
1, 12; dis-haban (occupare, periekhein, sunekhein) Luc. 5,
9. 8, 37; dis-huljan (operire, kaluptein) Luc. 8, 16; dis-
sitan (obsidere) dis-sat (elabe) Luc, 5, 26. 7, 16. (eikhe)
Marc. 16, 8. Fulda hat in seiner interlinearversion des
letztern worts den gewöhnlichen begriff von dis- zu er-
reichen gesucht: extra se posuit. Allein unrichtig, denn
einmahl müste es heißen dis-satida, weil sitan nie ponere
bedeutet und dann lehrt das parallele dis-haban, daß es
völlig wie dieses zu nehmen sei. Von diesem goth. ge-
brauche des dis- kenne ich in den übrigen dialecten
gar kein beispiel, zer-haben, zer-hüllen, zer-sitzen, nach
unserm heutigen gefühl, wären eher das gegentheil von
dem, was die goth. bildungen aussagen, die sich in ein
ahd. pi-triosan, pi-hapen, pi-huljan, pi-sizan, übertragen
ließen. Offenbar hat das goth. dis- hier die gelindere
bedeutung des gr. dia- und lat. di-, dis- in dia-ginosko,
di-gnosco; dia-bebaioo (obfirmo); di-ligo; dis-tineo (goth.
dis-haba) und in di-gnoscere (ags. to-cnavan) zeigt sich
auch, weil erkennen auf unterscheiden beruht, verwandt-
schaft mit der trennbedeutung. Ulf. braucht disdriusan,
dishaban, dissitan überall transitiv von furcht und staunen
(agis, usfilmei, sildaleik) was unser heutiges durchdringen
und das gr. di-ekhein ausdrückt und wieder an den begriff
von scheiden stößt. Kann das mhd. zer-nat (gestickt, be-
stickt) troj. 92a und Oberl. 2098. hierher gerechnet werden?


Anmerkungen über sämtliche untrennbare partikeln.

1) was von den meisten partikeln überhaupt gilt und
im fünften cap. näher auszuführen ist, daß sie in ihrer
bedeutung verdunkelte, in ihrer form entstellte wörter

I i i

III. partikelcomp. — untr. part. mit verb.
zer-hauen; zer-kauen; zer-kochen; zer-kratzen; zer-
laßen; zer-legen; zer-rinnen; zer-rühren; zer-ſchellen;
zer-ſchlagen; zer-ſchmelzen; zer-ſetzen; zer-ſtechen; zer-
ſtieben; zer-ſtoßen; zer-ſtreuen; zer-tanzen; zer-zeiſen;
ſich zer-werfen; zer-wühlen; wir ſagen aber nicht zer-
geben, -gießen; -führen, -ſäen, -thun etc.; fortbildbar
ſind ſie am erſten für den reciproken gebrauch, z. b. ſich
zer-ängſtigen; zer-plagen, zer-ſorgen, zer-ſchreiben und
dergl. — 3) eine merkwürdige bedeutung hat die part.
in einigen goth. wörtern. Sie verleugnet ganz ihren
privativen, ſondernden ſinn und drückt bewältigung aus,
etwa dem lat. ob- oder dem deutſchen be- vergleichbar.
Es ſind nur vier compoſita: dis-driuſan (ἐπιπίπτειν) Luc.
1, 12; dis-haban (occupare, περιέχειν, συνέχειν) Luc. 5,
9. 8, 37; dis-huljan (operire, καλύπτειν) Luc. 8, 16; dis-
ſitan (obſidere) dis-ſat (ἔλαβε) Luc, 5, 26. 7, 16. (εἶχε)
Marc. 16, 8. Fulda hat in ſeiner interlinearverſion des
letztern worts den gewöhnlichen begriff von dis- zu er-
reichen geſucht: extra ſe poſuit. Allein unrichtig, denn
einmahl müſte es heißen dis-ſatida, weil ſitan nie ponere
bedeutet und dann lehrt das parallele dis-haban, daß es
völlig wie dieſes zu nehmen ſei. Von dieſem goth. ge-
brauche des dis- kenne ich in den übrigen dialecten
gar kein beiſpiel, zer-haben, zer-hüllen, zer-ſitzen, nach
unſerm heutigen gefühl, wären eher das gegentheil von
dem, was die goth. bildungen ausſagen, die ſich in ein
ahd. pi-trioſan, pi-hapên, pi-huljan, pi-ſizan, übertragen
ließen. Offenbar hat das goth. dis- hier die gelindere
bedeutung des gr. διά- und lat. di-, dis- in δια-γινώσκω,
di-gnoſco; δια-βεβαιόω (obfirmo); di-ligo; dis-tineo (goth.
dis-haba) und in di-gnoſcere (agſ. tô-cnâvan) zeigt ſich
auch, weil erkennen auf unterſcheiden beruht, verwandt-
ſchaft mit der trennbedeutung. Ulf. braucht disdriuſan,
dishaban, disſitan überall tranſitiv von furcht und ſtaunen
(agis, usfilmei, ſildaleik) was unſer heutiges durchdringen
und das gr. δι-έχειν ausdrückt und wieder an den begriff
von ſcheiden ſtößt. Kann das mhd. zer-nât (geſtickt, be-
ſtickt) troj. 92a und Oberl. 2098. hierher gerechnet werden?


Anmerkungen über ſämtliche untrennbare partikeln.

1) was von den meiſten partikeln überhaupt gilt und
im fünften cap. näher auszuführen iſt, daß ſie in ihrer
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[865/0883] III. partikelcomp. — untr. part. mit verb. zer-hauen; zer-kauen; zer-kochen; zer-kratzen; zer- laßen; zer-legen; zer-rinnen; zer-rühren; zer-ſchellen; zer-ſchlagen; zer-ſchmelzen; zer-ſetzen; zer-ſtechen; zer- ſtieben; zer-ſtoßen; zer-ſtreuen; zer-tanzen; zer-zeiſen; ſich zer-werfen; zer-wühlen; wir ſagen aber nicht zer- geben, -gießen; -führen, -ſäen, -thun etc.; fortbildbar ſind ſie am erſten für den reciproken gebrauch, z. b. ſich zer-ängſtigen; zer-plagen, zer-ſorgen, zer-ſchreiben und dergl. — 3) eine merkwürdige bedeutung hat die part. in einigen goth. wörtern. Sie verleugnet ganz ihren privativen, ſondernden ſinn und drückt bewältigung aus, etwa dem lat. ob- oder dem deutſchen be- vergleichbar. Es ſind nur vier compoſita: dis-driuſan (ἐπιπίπτειν) Luc. 1, 12; dis-haban (occupare, περιέχειν, συνέχειν) Luc. 5, 9. 8, 37; dis-huljan (operire, καλύπτειν) Luc. 8, 16; dis- ſitan (obſidere) dis-ſat (ἔλαβε) Luc, 5, 26. 7, 16. (εἶχε) Marc. 16, 8. Fulda hat in ſeiner interlinearverſion des letztern worts den gewöhnlichen begriff von dis- zu er- reichen geſucht: extra ſe poſuit. Allein unrichtig, denn einmahl müſte es heißen dis-ſatida, weil ſitan nie ponere bedeutet und dann lehrt das parallele dis-haban, daß es völlig wie dieſes zu nehmen ſei. Von dieſem goth. ge- brauche des dis- kenne ich in den übrigen dialecten gar kein beiſpiel, zer-haben, zer-hüllen, zer-ſitzen, nach unſerm heutigen gefühl, wären eher das gegentheil von dem, was die goth. bildungen ausſagen, die ſich in ein ahd. pi-trioſan, pi-hapên, pi-huljan, pi-ſizan, übertragen ließen. Offenbar hat das goth. dis- hier die gelindere bedeutung des gr. διά- und lat. di-, dis- in δια-γινώσκω, di-gnoſco; δια-βεβαιόω (obfirmo); di-ligo; dis-tineo (goth. dis-haba) und in di-gnoſcere (agſ. tô-cnâvan) zeigt ſich auch, weil erkennen auf unterſcheiden beruht, verwandt- ſchaft mit der trennbedeutung. Ulf. braucht disdriuſan, dishaban, disſitan überall tranſitiv von furcht und ſtaunen (agis, usfilmei, ſildaleik) was unſer heutiges durchdringen und das gr. δι-έχειν ausdrückt und wieder an den begriff von ſcheiden ſtößt. Kann das mhd. zer-nât (geſtickt, be- ſtickt) troj. 92a und Oberl. 2098. hierher gerechnet werden? Anmerkungen über ſämtliche untrennbare partikeln. 1) was von den meiſten partikeln überhaupt gilt und im fünften cap. näher auszuführen iſt, daß ſie in ihrer bedeutung verdunkelte, in ihrer form entſtellte wörter I i i

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 865. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/883>, abgerufen am 22.11.2024.